Dieses Kapitel orientiert sich an den gesetzlichen Bestimmungen des Landesjustizvollzugsgesetz (LJVollzG) Nordrhein-Westfalen (NRW). Alle nachführenden Paragraphen beziehen sich auf das LJVollzG Nordrhein-Westfalen. Wie die gesetzlichen Bestimmungen in anderen Bundesländern sind, erfährst du im Anhang.
Briefe, Pakete und Besuche werden für dich äußerst wichtig, um die Isolation, die von Knast und Richterinnen betrieben wird, aufzubrechen und dich im Knast zu stabilisieren. Alle Briefe in und aus dem Knast werden zwar kontrolliert. Dennoch sind sie auch für deine Freundinnen draußen wichtig, weil sie nur darüber über deine Situation wissen und dir helfen können.
Briefe sind eine der wenigen Möglichkeiten, um Kontakte und Beziehungen nach draußen aufrechtzuerhalten und weiterzuführen. Die Gefangene kann darin u. a. ihre Wut ausdrücken und versuchen, ihren Freundinnen ihre Lage, Gedanken und Gefühle zu vermitteln, damit sie verstehen, was mit ihr passiert. Es ist wichtig, dass beide Briefpartnerinnen viel von sich und ihrem Alltag schreiben, wie es einer geht, was man denkt und fühlt und macht, vor allem auch was sonst so geschieht. Aber Vorsicht dabei, Bedienstete lesen mit! Der Schriftwechsel darf überwacht werden. Begründet wird dies mit der „Sicherheit und Ordnung“ der Anstalt. Grundsätzlich musst du deine Post offen herausgeben, auch an Ämter, Gerichte u. Ä. Ausgenommen ist die Post an deine Anwältin, sofern du sie bei der JVA als solche eingetragen hast. Verteidigerinnenpost darf vom Knast nicht kontrolliert und überwacht werden. Hier gilt die Ausnahme: Sofern du wegen einer Straftat nach § 129a Strafgesetzbuch (StGB) auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1 StGB in U-Haft sitzt, kann auch deine Anwältinnenpost eingesehen werden (§ 148 Strafprozessordnung- StPO). Das kann dir auch in Strafhaft passieren, jedoch sind hier die Voraussetzungen strenger.
Tipp: Sollte deine Anwältin noch nicht eingetragen sein, wehre dich erstmal gegen die Öffnung, auch im Beisein der Bediensteten. Lass es darauf ankommen, dann soll im Notfall die Bereichsleiterin oder Abteilungsleitung entscheiden. Stellen sie dich vor die Wahl, ihn zu öffnen oder sie schicken ihn zurück, musst du für dich entscheiden, wie wichtig der Brief ist. In beiden Fällen kannst du dich SOFORT dagegen beschweren (→Kapitel 23.1. Rechtsmittel in U-Haft bzw. 24.1. Rechtsmittel in Strafhaft).
WICHTIG: Du solltest deine Anwältinnenpost in der Zelle geschlossen aufbewahren. Schreib auf die jeweiligen Briefe Verteidigerinnenpost rauf. Bei Zellenkontrollen müssen sie dich aber eigentlich auch auf dieses Recht hinweisen. Sollten sie diese Post lesen oder Kenntnis von ihrem Inhalt nehmen, SOFORT Beschwerde einlegen – das ist nicht legal! Dies verstößt gegen dein Recht auf unüberwachten Kontakt mit deiner Verteidigung. Briefbeilagen wie Fotos oder Sonstiges meldet ihr immer besser vorher per Antrag „Zusendung von Gegenständen“ an – ansonsten sagen sie: „Illegal zugesendet“ und nehmen es zur Habe. Bestätigt euch stets gegenseitig den Empfang. Nummeriert die Briefe. Dann wisst ihr, ob alle Briefe ankommen, und wenn mal eine Nummer fehlt – forscht gleich bei der Anstaltsleitung nach.
Briefe am besten immer mit Durchschlag schreiben, dann kann man sich später noch darauf beziehen. Keine direkten Beleidigungen in die Briefe schreiben, wie etwa: „Die Richterin ist ein faschistisches Arschloch“. Solche Briefe werden garantiert nicht weitergeleitet und man bekommt unter Umständen noch eine Strafanzeige wegen Beleidigung angehängt. Phantasievoll-verschwommene Briefe, um die Anstalt oder die Richterin zu verarschen (und aus denen die dann Fluchtpläne oder ähnlich Konspiratives konstruieren können), sollte man sich auch verkneifen, denn ein Brief wird schneller angehalten, als man denkt.
Tipp: Das Oberste Gericht (Bundesverfassungsgericht- BVerfG) hat die Rechte von Gefangenen, was die Zensur angeht, gestärkt, so dass freie Meinungsäußerung, wenn auch beschränkt, besteht.
So kannst du vieles schreiben, solange du den Namen einer Beamtin nicht direkt nennst (→Kapitel 25.3. Allgemeine Rechtsmittel Musterbegründungen Nr. 10).
Tipp für U-Häftlinge für den Fall, dass nach § 119 Abs. 1 Nr. 2 StPO die Überwachung deines Briefverkehrs angeordnet wurde: Gib deinen Leuten das Aktenzeichen und den Namen der Richterin/Staatsanwältin, die die Überwachung angeordnet hat (grundsätzlich ist das Gericht für solche Anordnungen zuständig, es kann aber die Ausführung der Überwachungsanordnung an die Staatsanwaltschaft übertragen). Dann sollen sie an die Richterin/Staatsanwältin schreiben und darin deine Briefe beilegen (wie z. B. auf eine Chiffre antworten), dann geht es schneller, da ja sonst der Brief erst zum Knast geht und dann zur Richterin/Staatsanwältin.
Briefe an andere Gefangene
Im Knast kannst du auch anderen Gefangenen schreiben, die du dort kennengelernt hast oder von denen du aus Zeitungen oder so erfahren hast. Es gibt zwischen Gefangenen in den verschiedenen Knästen einen regen Briefverkehr. Durch diese Briefe entsteht eine Basis für gemeinsame Aktivitäten und gemeinsamen (rechtlichen) Widerstand. Außerdem ist dir ein Knast, in den du verlegt wirst – z. B. von U-Haft in Strafhaft – nicht ganz so fremd, wenn du dir bereits vorher mit Gefangenen dort geschrieben hast.
Wie der Kontakt innerhalb eines Knastes aussehen kann, wird in →Kapitel 3 Gefangene unter sich beschrieben.
Wenn Briefe angehalten werden
In U-Haft bekommst du in der Regel einen Beschluss mit einer Begründung. In Strafhaft gibt man dir den Grund bekannt. Du kannst aber darauf bestehen, dass der Brief trotzdem versendet wird, entweder durch Schwärzen der Stellen, an denen sie was auszusetzen haben, oder die Anstalt macht sich eine Kopie. →In Kapitel 23 Rechtsmittel in U-Haft und 24 Rechtsmittel in Strafhaft werden dir die Beschwerdemöglichkeiten und Musteranträge aufgezeigt.
10.2. Kontakte zu Knastgruppen,
Initiativen usw.
Auch die Briefkontakte mit Knastgruppen sind wichtig für Gefangene. Einerseits als Anlaufadressen zur Vermittlung von Anwältinnen, Bücherbestellungen oder Adressen von anderen Gefangenen. Andererseits sind das eben Leute, die versuchen, Öffentlichkeit für die Situation in Knästen herzustellen, und die daher auch sehr interessiert sind an Situationsberichten aus dem Knast. Überschätze aber nicht die Möglichkeiten. Es gibt ein breites Spektrum von Knastgruppen bis „Resozialisierungsvereinen“.
Im Anhang des Ratgebers findest du eine Liste mit Knastgruppen und Beratungsstellen.
10.3. Zeitungen, Zeitschriften,
Bücher von draußen
Die Gefängnisbibliothek bzw. deren Katalog solltest du dir ruhig mal anschauen, sie wird jedoch kaum geeignet sein, dich über das, was draußen geschieht, diskutiert und geschrieben wird, auf dem Laufenden zu halten. Wir wollen daher einige Möglichkeiten zeigen, Lesestoff von draußen zu beziehen. Es sollte dabei selbstverständlich sein, dass du deine Lektüre nicht alleine liest. Meist ist der Zeitungstausch auch dann möglich und geduldet, wenn er von der Hausordnung offiziell verboten ist. Das Kursierenlassen von Zeitschriften usw. ist dann besonders interessant, wenn jede Leserin Kommentare und Randbemerkungen reinschreibt. Es empfiehlt sich, die Weitergabe zu organisieren, d. h. genau festzulegen, wer in welcher Reihenfolge dran ist, sonst passiert es immer wieder, dass eine Sache stecken bleibt, verschwindet oder Wochen bis Monate braucht, bis es die Letzte in die Finger bekommt.
Tageszeitungen und Zeitschriften
Am günstigsten ist es natürlich, wenn euch Freundinnen draußen ein Abonnement besorgen und bezahlen. Nur wenige Zeitungsverlage gewähren Freiabonnements für Gefangene – und dann auch nur ausnahmsweise.
Die Organisation Freiabos für Gefangene in Berlin (Köpenicker Str. 175, 10997 Berlin) schickt dir eine Liste mit Zeitungen und Zeitschriften, für die du Freiabos bekommst. Wartezeiten sind von einem Monat (die meisten Zeitungen) bis 36 Monate (z. B. Kicker). Sie schicken auch meist zu Weihnachten eine Buchspende nach Wunsch (Stand 2015). Im Anhang findest du nochmal die Adresse. Du kannst auch einfach selber einen Zeitungsverlag anschreiben und um ein Freiabo bitten; du kannst aber auch einfach einige Probenummern anfordern. Eventuell bekommst du dann für eine Woche oder länger kostenlos eine Tageszeitung zugeschickt, wenn sich der Verlag davon verspricht, langfristig eine zahlende Kundin zu gewinnen. Wenn es verschiedene Leute bei mehreren Zeitungen versuchen, dann habt ihr für einige Zeit was zu lesen. Mit Zeitschriften könnte es ähnlich klappen – manche Verlage schicken allerdings veraltete Nummern als Probeexemplare.
„Alternativpresse“, linke Presse
Es gibt verschiedene kleine Zeitungen, die einen anderen Schwerpunkt setzen als die großen markt- und/oder staatskonformen Zeitungen. Es gibt dabei die verschiedensten Konzeptionen: Informationsdienste, Stadtteilzeitungen, „Szene“-Blätter, Literaturzeitschriften usw. Wenn du dir ein Abo einer Zeitung, die dich interessiert, nicht leisten kannst und auch niemanden hast, der die Kosten für dich übernimmt: Einige dieser Zeitungen geben kostenlose Knastabos – natürlich nicht in unbegrenzter Zahl. Auch hier gilt: Am besten mal nachfragen. Du musst gerade bei diesen Zeitungen immer damit rechnen, dass sie angehalten werden. Schaue dir deshalb mal den Rechtsmittelteil an.
Knastzeitungen
In vielen Knästen gibt es „hauseigene“ Knastzeitungen. Die Ausrichtung dieser ist unterschiedlich und hängt von der Zusammensetzung der (Gefangenen-)Redaktion und der Politik des jeweiligen Knastes ab. Von knastkritischen bis hin zu sehr obrigkeitskonformen Zeitungen ist eigentlich alles vertreten. Eigentlich alle Knastzeitungen (bis auf den „Lichtblick“ aus Berlin Tegel) werden von der Knastleitung zensiert. Knastzeitungen bieten die Möglichkeit, in begrenzter Form Öffentlichkeit herzustellen und die Themen der Gefangenen aufzugreifen, um so Kampagnen zu starten oder zu unterstützen, wie z. B. beim Protest von Gefangenen gegen TELIO (Telekommunikationsunternehmen im Knast). Im Anhang findest du eine Auflistung und die Bezugsadressen.
Partei-Gewerkschaftspresse
Du solltest nicht alles glauben, was drin steht, vor allem was dort an „politischer Ideologie“ verbraten wird, wonach jede Partei für sich in Anspruch nimmt, die Wahrheit für sich gepachtet zu haben. Da manche Parteizeitungen an Gefangene kostenlos geliefert werden und weil sich zwischen der Parteipropaganda hin und wieder auch interessante Informationen finden lassen, frage die Sozialarbeiterinnen nach den Adressen der Parteien und Gewerkschaften und schreib diese dann direkt an.
Bücher
Bücher sind sehr teuer. Auch hier kannst du einzelne Verlage anschreiben und um kostenlose Exemplare bitten. Viele der linken Verlage und Buchläden stellen einen bestimmten Etat für die Versorgung von Gefangenen mit Büchern bereit – natürlich hat auch das seine Grenzen.
Bücher und natürlich auch Zeitschriften sollten mit einem schriftlichen Eigentumsvorbehalt für den Fall versehen sein, dass sie der Gefangenen nicht persönlich ausgehändigt, sondern wegen ihres nicht genehmen Inhalts zurückgehalten werden. Damit soll verhindert werden, dass ein Buch nutzlos bei der „Habe“ der Gefangenen liegt, ohne dass sie drankommt, sondern dass die Anstalt in solchen Fällen das Buch an die Absenderin zurückschickt. Ob das dann wirklich passiert, ist eine andere Sache. Eine Möglichkeit ist auch, das Buch offiziell als Leihgabe zuzusenden.
Es gibt in jeder JVA eine Anstaltsbücherei, doch mitunter hat die sich auf den TV-Konsum der Gefangenen umgestellt und kauft lieber aktuelle DVDs oder CDs anstatt Bücher.
Tipp: Wende dich an die Leiterin der Bücherei und weise sie darauf hin, dass sie verpflichtet sind, die aktuellen Ausgaben der Rechtsbücher wie z. B. Strafvollzugsgesetze der Länder (StVollzG), Strafgesetzbuch (StGB) vorrätig zu haben, und dass Ausgaben, die nicht mehr aktuell sind, dir nichts bringen. Solltest du darüber hinaus Wünsche nach bestimmten Büchern haben, wende dich einfach mit deinen Anregungen an das Personal der Bibliothek.
Tipp: Die Gefangenenbücherei Dortmund hat über 50.000 Bücher in ihrem Programm und du kannst dich auch mit Wünschen an sie wenden. Sie besorgen dir eigentlich alles, was möglich ist. Da sie nur von Spenden lebt, schicke die Bücher, die du dir leihst, auch immer wieder zügig zurück. Denn denk daran, wenn du das Buch X nicht zurückgibst, ist es auch nicht mehr im Sortiment! Falls du kein Geld für Porto hast, zahlt dir das die BFL-Dortmund (Buch-Fernmedienleihe für Gefangene, Beratgerstr. 36, 44149 Dortmund, Tel.: 0231-448111).
Rechtliches zum Bezug von Lesestoff
Nach § 52 StVollzG NRW darfst du als Gefangene dir Zeitungen, Zeitschriften sowie Bücher zukommen lassen. Probleme gibt es bei pornographischen Inhalten sowie „rechtsradikalem“ (zu Recht auch mögliche Probleme mit Mitgefangenen) und „linksradikalem“ Gedankengut in Büchern, Zeitschriften, und es liegt im Ermessen der Anstalt, welches „Schriftgut“ die Sicherheit und Ordnung der Anstalt gefährden würde und deswegen einbehalten wird. So hat die Anstalt die Möglichkeit, den für dich zugänglichen Lesestoff massiv zu zensieren. Da es sich aber zum Teil um alte Gerichtsentscheidungen handelt, auf die sich die Anstalten in ihren Entscheidungen stützen, solltest du, falls man dir etwas verbietet, den Weg übers Gericht suchen → Kapitel 24 Rechtsmittel in Strafhaft.
Tipp: Es ist für die Anstalt rechtlich schwieriger zu begründen, dir eine Zeitschrift/Zeitung zu verweigern, wenn eine Bekannte von draußen dir Zeitungen/Zeitschriften zukommen lässt, um mit dir in Kontakt zu kommen, also durch dieses Druckwerk mit dir in Gedankenaustausch kommen will. Ein Nichtaushändigen stellt damit auch eine Beschneidung deines Rechts auf Kommunikation mit der Außenwelt dar und widerspricht dem „Vollzugsziel“ der „Resozialisierung“ (vgl. § 1 StVollzG NRW). In diesem Fall solltest du einen Antrag nach § 109 StVollzG bei der Strafvollstreckungskammer stellen → Kapitel 24 Rechtsmitel in Strafhaft. Aber auch die Person, die dir das Druckwerk geschickt hat, kann einen solchen Antrag stellen. Spreche dich mit ihr ab und stellt den Antrag gemeinsam.
In der Regel wird das Gericht (Strafvollstreckungskammer) relativ schnell reagieren!
Ansonsten soll die JVA die einzelnen Artikel/Passagen, mit denen sie ein Problem hat, entfernen oder schwärzen und nicht die komplette Ausgabe verbieten. Darauf hat die Anstalt jedoch häufig keine Lust, da das ein bisschen Aufwand für die Beamtinnen bedeutet. In diesem Fall solltet ihr in eurem Antrag bei der Strafvollstreckungskammer auf das „Gebot der Verhältnismäßigkeit“ hinweisen (es ist unverhältnismäßig, euch das ganze Buch/die ganze Zeitung zu verbieten, wenn es möglich ist, einige Passagen zu entfernen; Näheres zum Argument der „Verhältnismäßigkeit“ findet ihr im Rechtsteil in → Kapitel 23 Rechtsmittel in U-Haft und 24 Rechtsmittel in Strafhaft).
Für Bücher solltet ihr immer erst die Empfangsgenehmigung bei der Anstalt beantragen und eine Paketmarke für Bücher besorgen. Die Paketmarke bekommt man ohne Probleme. Die Bücher müssen in Strafhaft normalerweise nicht verschweißt sein (in U-Haft jedoch schon). Der Bezug von Zeitschriften liegt im „Ermessen“ der Anstalt, aber vier Tageszeitungen sollten kein Problem sein, sowie zwei bis vier Wochen-/Monatszeitungen. Grundsätzlich muss alles, was an Lesematerial reinkommt, beantragt werden. Ansonsten können sie dir das wegnehmen, mit dem Argument, dass es „illegal zugesendet“ ist.
In der Regel darfst du 20 Bücher, fünf Aktenordner und fünf Schnellhefter in der Zelle haben. Je nach JVA 25–30 DVDs, CDs, Kassetten. Die Zelle muss „überschaubar“ sein. Was das konkret heißt, ist je nach Anstalt unterschiedlich und liegt in ihrem Ermessen.
Tipp: Schau, dass du Unterlagen, Papiere, Briefe, Schreibmaterial u. Ä. in Ordnern unterbringst, das spart Platz für wichtige Unterlagen und Bücher und schaff eine „Überschaubarkeit“.
Gefangene verfügen bekanntermaßen in den wenigsten Knästen über ein eigenes Telefon auf der Zelle (in der JVA Heidering z. B. wurde jetzt die sogenannte „Haftraumtelefonie“ eingeführt) noch über Internet (auch da wird sich in der nächsten Zeit höchstwahrscheinlich was tun). Das ist natürlich vor dem Hintergrund eine Frechheit, dass das Leben hinter den Mauern dem Leben draußen möglichst angeglichen werden soll (§ 2 Abs. 1 StVollzG NRW).
Telefon
In den meisten deutschen Knästen hat gegenwärtig die Firma Telio das Monopol über Telefone. Deren überteuerte Preise sind Gegenstand ständiger Kritik durch die Gefangenen; den meisten Knästen ist das aber bislang noch egal. Willst du mit Telio telefonieren, musst du zunächst bei der Anstalt die Genehmigung zum Telefonieren mit einer bestimmten Person beantragen. Steht dem aus Sicht der JVA nichts entgegen, muss deine Gesprächspartnerin schriftlich zustimmen, dass die Gespräche ggf. aufgezeichnet und/oder überwacht werden dürfen. Dann schaltet eine Beamtin die Nummer frei, und die Gefangene kann, wenn sie ein Guthaben bei Telio hat, zu den Zellenöffnungszeiten an einem im Flur installierten Telefonapparat (nur) diese Nummer wählen. In einigen Knästen gibt es gerade auch Bestrebungen, in den Zellen Telio-Telefone zu installieren, was auch für Telio interessant, da profitsteigernd ist. Die Tarife (Stand 2014) sind 0,09 €/Min. für Ortsgespräche, 0,18 €/Min. für Ferngespräche, 0,60 €/Min.für Handygespräche und ca. 1,40 €/Min für Gespräche ins Ausland. Dass es sich lohnt, gegen das Monopol von Telio und damit gegen die überteuerten Preise auch rechtlich vorzugehen, zeigt ein Gerichtsurteil vom 30.12.2014 (LG Stendal Az.: 509 StVK 179/13). Nun ist die JVA Burg aufgefordert, neue Verträge auszuhandeln. Inwieweit und wann sich das auf Gefangene auswirkt, wird sich zeigen.
Darüber hinaus gibt es einen regen Verkehr von mobilen Telefonen innerhalb des Knastes – was natürlich verboten ist (Disziplinarstrafen). Einige Knäste haben aus diesem Grund schon aufgerüstet und Störsender installiert, wodurch es dann nicht möglich ist, mit den Handys zu telefonieren. Darüber hinaus gibt es auch Modelle, mit denen sie dich bzw. dein Handy lokalisieren können.
Natürlich muss dir klar sein, dass dein Handy auch abgehört werden kann. Heikle Sachen sollte man eh nicht am Telefon besprechen.
Internet
In so gut wie allen Knästen gibt es kein Internet für Gefangene. Dies schließt „natürlich“ auch die Nutzung von Smartphones mit ein. Inwieweit dies mit dem Angleichungsgrundsatz vereinbar ist, nach dem ja das Leben hinter Gittern dem Leben draußen so weit als möglich angeglichen sein soll, bleibt das Geheimnis der deutschen Sicherheitsarchitektinnen. Es gibt Möglichkeiten, wenn du an einer Weiterbildung teilnimmst und Internetnutzung oder überhaupt Computer dabei „bildungsrelevant“ sind (IT-Ausbildung), dass du Zugang zu Computern mit Internetanschluss bekommst. Aber für das Gros der Gefangenen spielt sich das Leben hinter Gittern kommunikationsmäßig in den 80ern ab (Telefone auf dem Gang und Briefe schreiben).
Die neuen Strafvollzugsgesetze haben trotz dessen die modernen Kommunikationsmittel entdeckt, ohne dies jedoch konkret gesetzlich für Gefangene abzusichern. Ob also und wenn ja, wie (z. B. durch Haftraummediensysteme) ein Zugang zu „anderen Formen der Telekommunikation“ geschaffen wird, bleibt abzuwarten. In NRW soll ab dem Jahr 2015 ein Pilotprojekt (E-Learning) für die schulische und berufliche Weiterbildung stattfinden. Dies soll bis 2018 auf 180 Lernplätze ausgebaut werden (§ 27 Kommentar zu A Allgemeiner Teil Artikel 1 Abs. 3 Entwurf StVollzG NRW). Ansonsten wird abgewartet, bis ein System gefunden wird, dass für die Sicherheit und Ordnung der Anstalten keine „Bedrohung“ darstellt. Das ist nämlich der Grundgedanke und die Angst, die hinter der ganzen Beschränkung der Kommunikation der Gefangenen steht.
Fernseh- und Radiogeräte sind in jeder JVA gestattet. Oft darfst du auch eine Vielzahl anderer Geräte besitzen bzw. verwenden, z. B. Tauchsieder, Wasserkocher, Kaffeemaschine, Leselampe, Elektrorasierer, Haarschneidemaschinen, DVD-Player und Spielkonsolen. Es gibt dabei aber eine Beschränkung, was die Anzahl an Elektrogeräten im Haftraum betrifft. Das ist von Knast zu Knast unterschiedlich. Erkundige dich am besten, was genau in „deinem“ Knast erlaubt ist und was nicht, da dies stark variiert. Wichtig bei allen Elektrogeräten ist, dass diese verplombt (speziell verklebt, damit du nichts darin verstecken oder daran rumbasteln kannst) sind, sonst dürfen sie nicht genutzt werden bzw. werden dir nicht ausgehändigt. Es sei denn, du zahlst für die Verplombung, was recht teuer ist. Die Preise sind hier von Knast zu Knast unterschiedlich. Sollte eine Verplombung beschädigt werden, werden sie dir wahrscheinlich das Gerät wegnehmen und es droht eine Disziplinarstrafe.
Tipp: Bei einer häufigen Verwendung, wie z. B. Fernbedienung für den Fernseher, ist es sinnvoll, eine Plastiktüte als Schutz zu benutzen. Sonst geht die Verplombung relativ schnell kaputt, dir wird die Fernbedienung weggenommen und dann sitzt du da mit nur einem Programm.
Ebenfalls wichtig ist die Höhe der Leistungsaufnahme. Frage auch hier am besten nach, welche Obergrenzen für welche Geräte im jeweiligen Knast zugelassen sind. In der Regel liegt diese bei Wasserkochern, Tauchsiedern u. Ä. bei 800 Watt. Solltest du keinen eigenen Fernseher mitgebracht haben, gibt es selten die Möglichkeit, einen zu leihen, und meist die Möglichkeit, einen neuen Fernseher überteuert zu kaufen. Hier hat die JVA einen Vertrag mit einer bestimmten Händlerin, ähnlich wie bei den Knastshops. Meist brauchst du aber noch einen Receiver und eine Antenne. Frag am besten nach dem verwendeten Empfangssystem.
Am besten ist es, wenn du dir das meiste vor Haftantritt besorgst, solltest du „freiwillig“ in den Knast gehen wollen und dies bei dem jeweiligen Knast erlaubt sein. Du erhältst zusammen mit der Ladung zum Strafantritt ein Merkblatt, auf dem steht, was du mitbringen darfst.
Wenn du einen DVD-Player oder eine Spielkonsole hast (welches System erlaubt ist, vorher erfragen), wirst du in den meisten Fällen in der JVA-Bibliothek Spiele und DVDs ausleihen können.
Besuche sind eine weitere Möglichkeit, Kontakte aufrechtzuerhalten und auch neue Leute kennenzulernen, die einem z. B. aus einer Knastgruppe schreiben. Beim Besuch sieht man die Leute, kann sie ggf. anfassen und ihre Stimme hören. Allerdings merkt man dabei auch direkt die Kontrolle durch die dabeisitzende Knastwärterin.
Besuchssituation
In U-Haft sind sämtliche Besuche überwachte Einzelbesuche, also die Gefangene und ihr Besuch sitzen sich in der Besucherinnenzelle an einem Tisch gegenüber, einschließlich akustischer Besuchsüberwachung.
Tipp: Mittlerweile haben auch U-Gefangene die Möglichkeit, die akustische Besuchsüberwachung aufheben zu lassen. Das steht der jeweiligen Anstalt frei. In der Regel greift die zuständige Richterin nur ein, wenn Verdunkelungsgefahr besteht. Natürlich auch wenn eine Tatgenossin zu Besuch kommen will. Bei bestimmten Gefangenen – vor allem solchen, die der „organisierten Kriminalität“ zugerechnet werden – hockt außerdem noch eine Beamtin vom zuständigen Landeskriminalamt dabei und schreibt eifrig mit. Bei den meisten Gefangenen aus „terroristischen Vereinigungen“ (§ 129a und § 129b StGB) sowie unter Umständen auch bei Gefangenen, die der organisierten Kriminalität zugerechnet werden, kommt noch die „Trennscheibe“ dazu. Dabei sitzt die Besucherin in einem Raum (samt LKA-Bewacherin) und die Gefangene in dem Raum daneben. In der Wand zwischen den beiden Räumen ist eine dicke Glasscheibe mit Sprechlöchern. Man hört die Stimme nur verzerrt, kann sich schlecht sehen und nicht anfassen und denkt, die andere sei in einem Aquarium. Überlegt euch – als Gefangene und als Besucherin – vorher, ob ihr eine solche Besuchssituation aushalten könnt und wollt, und verständigt euch brieflich darüber.
In Strafhaft sehen die überwachten Einzelbesuche ähnlich aus. Diese sind jedoch relativ selten. Trotzdem erschwert die (in den meisten Fällen gegebene) Kameraüberwachung so einen Besuch enorm; versucht am besten, die Bediensteten dabei zu vergessen, weil man sonst die ganze Zeit gehemmt und unkonzentriert ist.
In Strafhaft werden Besuche normalerweise als sogenannte unüberwachte Sammelbesuche organisiert. Also mehrere Gefangene mit ihrem Besuch sitzen in einem größeren Raum und eine Bedienstete sitzt irgendwo in der Ecke. Eine Gefangene kann i. d. R. maximal von drei Leuten gleichzeitig besucht werden. Außerdem gibt es in Strafhaft die Möglichkeit für Langzeitbesuche (LZB), je nach Anstalt drei bis sechs Stunden. Regelungen für Langzeitbesuche sind nicht nur für Verheiratete anzuwenden, sondern auch für Verlobte und Lebensgefährtinnen. Besonders wenn Kinder da sind, muss die Anstalt alles Mögliche tun, um eben LZB oder Familienbesuche zu ermöglichen (vgl. OLG Frankfurt NStZ RR 2008, 261).
Tipp: Du kannst dich auf § 1684 Abs. 1 BGB berufen, wonach nicht nur Eltern das Recht auf Umgang mit ihren Kindern haben, sondern auch das Kind das Recht auf Umgang mit seinen Eltern! Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze (BMJ 2006) enthalten in Nr. 24.4. die Vorschrift: „Die Besuchsregelungen müssen so gestaltet sein, dass Gefangene Familienbeziehungen so normal wie möglich pflegen und entwickeln können!“
Tipp: Den Anspruch auf Besuch kann die Gefangene (auch die besuchende Person in Einzelfällen) gerichtlich einklagen. Bevor du den Weg zum Gericht nimmst (→ Kapitel 23 Rechtsmittel in U-Haft und 24 Rechtsmittel in Strafhaft), solltest du allerdings versuchen, eine Lösung im Knast zu finden. Wenn dein Antrag auf Besuch abgelehnt wird, kannst du dich zunächst nach § 84 StVollzG NRW bei der Anstaltsleitung beschweren. Die Anstalt muss Gefangenen und Besucherinnen genaue Gründe benennen, warum sie den Antrag auf Besuch abgelehnt hat! Gegebenenfalls kannst du auch erst einmal zum Anstaltsbeirat, den es in jeder JVA gibt, und versuchen ohne die „Gerichtskeule“ dein Interesse durchzusetzen.
Wie und wo beantragt man einen Besuch
Bevor ein Besuch beantragt wird, sollten sich Besucherin und Gefangene brieflich verständigen, wer wann und wie lange mit wem kommen soll. In Strafhaft werden Besuche telefonisch angemeldet oder die Anstalt schickt der Besucherin einen Besuchsschein zu (mit den Zeiten). Gleiches gilt für die U-Haft. In U-Haft kann man sich für die Besucherin eine Dauerbesuchserlaubnis holen, die meistens für drei Monate gültig ist.
Falls die Anstalten versuchen, den Besuch nach einer Viertelstunde schon abzubrechen, dann lasst euch nicht einschüchtern, die angegebene Zeit auf dem Schein ist bindend. In der Regel hat man in Strafhaft zwei- bis viermal im Monat je 60 bis 90 Minuten Besuchszeit. Wenn du sechs Monate in Strafhaft bist, kommt (nach dem Gesetz) noch der LZB von drei bis sechs Stunden hinzu. Ob dir LZB gestattet wird, hängt vom Ermessen der Anstalt ab. Wenn du aber das Gefühl hast, dass der Knast dir willkürlich oder mit absurden „Ein-Satz“-Begründungen den LZB verweigert, solltest du auch hier versuchen, dir auf dem rechtlichen Weg zu deinem dir zustehenden Besuch zu verhelfen.
Die Zeiten und Besuchsregelungen sind von JVA zu JVA unterschiedlich.
Informiere dich hierüber am besten bei deinen Mitgefangenen!
Vorbereitung auf den Besuch
Man sollte sich beim Besuch schon vorher überlegen, worüber man reden will, und sich am besten einen Spickzettel machen, denn in der angespannten Situation im Knast vergisst man leicht die wichtigsten Sachen und bis zum nächsten Termin ist es lang hin. Beim Besuch ist grundsätzlich der Automateneinkauf vorgeschrieben, bei dem man dann Getränke, Süßigkeiten und Zigaretten/Tabak ziehen kann. Wenn du deiner Besucherin Gegenstände aus der Habe herausgeben willst, stelle rechtzeitig vorher einen Antrag, damit dir die Suche in der Habe nicht von der Besuchszeit verloren geht.
Es passiert manchmal, dass die Wärterinnen behaupten, die Freundin, die man besuchen will, sei inzwischen in einen anderen Knast verlegt worden. Verlangt als Besucherinnen in solchen Fällen immer jemand von der Anstaltsleitung, die euch das bestätigt, und lasst euch dann Adresse und Telefonnummer von dem neuen Knast geben, damit ihr das nachprüfen könnt. In den meisten Warteräumen im Knast gibt es Telefonzellen. Macht gewaltig Putz, wenn die euch angelogen haben. Dieses Spielchen wird vor allem mit Menschen ohne deutschen Pass getrieben. Versucht euch als Besucherinnen gegenseitig zu helfen, wenn ihr so was mitbekommt, denn manche Menschen ohne deutschen Pass können sich wegen ihrer Sprachschwierigkeiten kaum dagegen wehren. Über all diesen Extraschikanen sollte nicht vergessen werden, dass die Besuchssituation als solche schon eine Schikane darstellt. Deinen Besuch (Freundin, Kind usw.) unter Umständen nicht anfassen zu dürfen, die Nähe nicht zu haben, ist für viele schon Schikane genug. Darüber hinaus kann es auch vorkommen, dass es nach dem Besuch zu Durchsuchungen und Leibesvisitationen kommt.
Pakete sind für eine Gefangene ungeheuer wichtig, zum einen als lieber Gruß von draußen und zum anderen können sie die Einsamkeit zumindest ein wenig mindern.
Bis zum Jahr 2014 gab es noch die Regelung, dass Gefangene genehmigungsfrei dreimal im Jahr Pakete empfangen durften (Weihnachten, Ostern bzw. Ramadan, Geburtstag). Diese Regelung wurde mit den neuen Strafvollzugsgesetzen gestrichen. Argumentiert wurde dies damit, dass ja mittlerweile Gefangene die Möglichkeit haben, (überteuert) in Knastshops einzukaufen, und sowieso die Bedeutung der Pakete für Gefangene abgenommen hat. Danke an die deutschen Sicherheitsarchitektinnen, die die Bedürfnisse der Gefangenen besser kennen als diese selbst.
Tipp: In jeder JVA ist der Paketinhalt bestimmt mit einer Liste, was an Mengen rein darf. Erkundige dich bei deinen Mitgefangenen!
Wann und wie oft kann man Pakete schicken?
U-Haft: Nach § 23 UVollzG NRW dürfen Untersuchungsgefangene Pakete nach „näherer Maßgabe“ der Anstalt empfangen. In der Praxis sieht es dann so aus, dass U-Gefangene gar keine Pakete mehr erhalten dürfen. Der Spielraum, der der JVA mit den neuen gesetzlichen Regelungen eingeräumt wird („nähere Maßgaben“), wird also grundsätzlich gegen die Interessen der Gefangenen ausgenutzt! Versuche es trotzdem und immer wieder!
Strafhaft: Jede Strafgefangene darf Pakete erhalten. Jedes Paket bedarf der Genehmigung durch die Anstalt. Im Gegensatz zum früheren Bundesstrafvollzugsgesetz gehen nun die neuen Länderstrafvollzugsgesetze – wie bereits gesagt – davon aus, dass Pakete heutzutage nicht mehr den Stellenwert für Gefangene haben, da sie ja auch (überteuert) im Knastshop einkaufen können. Außerdem, so eine weitere Begründung, stellt die Kontrolle der Pakete für die Bediensteten einen enormen Arbeitsaufwand dar. Pakete können also von der Anstalt genehmigt werden. Ob sie dies auch tun, hängt von der jeweiligen Anstalt ab – und sicherlich auch von deinen „Resozialisierungsbemühungen“.
Aber selbst diese kleine Möglichkeit des Empfangs wird für dich noch weiter eingeschränkt, da Pakete mit Nahrungs- und Genussmitteln ausgenommen sind sowie Pakete und Verpackungsmaterialien(!), die einen „unverhältnismäßigen“ Kontrollaufwand erfordern. Informiert euch also am besten in der jeweiligen JVA, welche Gegenstände verschickt werden können.
Was und wie packt man ein
Es ist schon sinnvoll, sich an das Merkblatt, das du von der JVA bekommst, zu halten, denn in der Regel schmeißen die alles andere raus. Auch an das vorgeschriebene Gewicht sollte man sich halten.
Man sollte darauf achten, dass das Verpackungsmaterial nicht zu schwer ist. Über eine liebevolle Verpackung freut sich die Empfängerin aber schon (vielleicht kann sie das Papier dann als Plakat an die Wand hängen). Wenn die Pakete ordentlich gepackt sind und ein sauber geschriebenes Inhaltsverzeichnis dabei liegt, dann werden die Sachen bei der Kontrolle erfahrungsgemäß nicht ganz so zerpflückt. Generell musst du aber darauf gefasst sein, dass alles kleingemacht wird und nach Waffen, Ausbruchswerkzeug und Drogen durchsucht wird. Wenn der Paketempfang grundlos abgelehnt wird, dann sollten beide (Gefangene und Absenderin) sofort eine dicke Beschwerde an die Anstaltsleiterin loslassen bzw. gerichtlich gegen sie vorgehen. Im Rechtsmittelteil findest du Musterbegründungen für solche Beschwerden (→ U-Haft Kapitel 23.3. Muster Nr. 7 → Strafhaft Kapitel 24.4. Muster Nr. 12).
Tipp für Frauen: Die Berliner Gruppe Kiralina verschickt Weihnachtspakete an Gefangene, wenn es sonst niemand macht – allerdings nur an Frauen. Wende dich möglichst frühzeitig an sie. Den Kontakt findest du im Anhang. Wie die Gruppe mit der neuen gesetzlichen Regelung umgeht, ist noch nicht klar.
10.8. Urlaub, Ausgang, offener Vollzug
„Urlaub“ und „Sonderurlaub“ (Langzeitausgang)
Unter bestimmten Voraussetzungen gibt es für Strafgefangene (nicht aber für U-Häftlinge) die Möglichkeit, Urlaub zu bekommen. Den „Jahresurlaub“ von insgesamt 24 Tagen (§ 54 StVollzG NRW) muss man bei der Anstaltsleitung beantragen, und zwar möglichst einen Monat vor Urlaubsbeginn. Der Urlaub wird in der Regel nur gewährt, wenn man bisher keinen Fluchtversuch unternommen hat und schon mehr als sechs Monate eingesperrt ist. Eine Lebenslängliche muss in der Regel zehn Jahre gesessen haben, bis sie Urlaub nehmen darf (was nicht heißt, dass man es nicht schon vorher mal probieren sollte). Eine frühere Einschränkung, wonach Gefangene erst 1 1/2 Jahre vor der voraussichtlichen Haftentlassung Urlaub bekommen dürfen, ist inzwischen von verschiedenen Gerichten für rechtswidrig erklärt worden. Darauf sollte man gegebenenfalls hinweisen.
Wichtig ist es, sich rechtzeitig um eine unverfängliche „Urlaubsanschrift“ zu kümmern, die bei der Anstalt angegeben werden muss.
Außerdem kann man „aus wichtigem Anlass“ Sonderurlaub (Langzeitausgang) beantragen.
„Wichtiger Anlass“ ist: die Erledigung wichtiger persönlicher, rechtlicher und geschäftlicher Angelegenheiten, z. B. Gerichtstermine, Todesfälle, Eheschließung, Erziehungsprobleme mit den Kindern, Renovierung oder Reparaturen in der Familienwohnung, Umzug, ärztliche Behandlung, Besprechung mit künftigen Arbeitgeberinnen, Scheidungsdrohung der Ehefrau bzw. des Ehemanns, Krankheit der Ehepartnerin oder der Kinder und Ähnliches.
Es empfiehlt sich, Zeuginnen oder Schriftstücke zum Nachweis des wichtigen Grundes anzubieten. Wird der Antrag dennoch abgelehnt, so sollte man in eiligen Fällen sofort eine „einstweilige Anordnung“ bei der Strafvollstreckungskammer beantragen. Näheres hierzu findest du →Kapitel 24.1. Rechtsmittel in der Strafhaft. Notfalls beantragt man dann hilfsweise einen normalen Urlaub (vorausgesetzt, man hat noch etwas übrig) und versucht gleichzeitig diesen später doch noch als Sonderurlaub anerkannt zu bekommen: Denn der Sonderurlaub darf nicht auf den „Jahresurlaub“ angerechnet werden (§ 55 StVollzG NRW).
Der Sonderurlaub darf maximal sieben Tage im Jahr betragen. Die Sieben-Tage-Grenze gilt aber dann nicht, wenn eine lebensgefährliche Erkrankung oder der Tod einer Angehörigen der Grund für den Sonderurlaubsantrag ist.
Zwar sieht das Strafvollzugsgesetz den Sonderurlaub vor und er ist auch dein „Recht“, jedoch wirst du feststellen müssen, dass in vielen Fällen an dem jeweiligen Tag, an dem du Sonderurlaub nehmen möchtest, nicht genug Bedienstete da sind, um deinen Sonderurlaub zu ermöglichen. Auch dann kannst du versuchen, den Sonderurlaub per einstweiliger Anordnung (bei der Strafvollstreckungskammer) zu erzwingen (siehe weiter unten „Ausgang und Ausführung“).
Zur Vorbereitung der Entlassung kann innerhalb der letzten drei Monate zusätzlich ein Entlassungsurlaub von zehn Tagen gewährt werden, um Wohnung und Job zu suchen (§ 59 StVollzG NRW). Auch diese Zeit darf nicht vom Jahresurlaub abgezogen werden. Für Gefangene, welche die Voraussetzungen für Freigang erfüllen, kann innerhalb von neun Monaten vor der Entlassung sechs Tage pro Monat Langzeitausgang gewährt werden (§ 59 StVollzG NRW). Jedoch kannst du nicht beides (Langzeitausgang und Freigang) parallel beantragen.
Im Rechtsmittelteil (Kapitel 24.2.) findest du unter Nr. 18 Musterbegründungen für Rechtsmittel gegen die Ablehnung eines Urlaubsantrags.
In der U-Haft gibt es – wie gesagt – keinen Urlaub. Möglich ist hier, bei der Haftrichterin die (befristete) Aussetzung des Vollzugs zu beantragen.
Diese können Strafgefangenen als sogenannte „Lockerungen des Vollzugs“ (§ 11 StVollzG NRW) gewährt werden. Hier wird der Strafgefangenen zu einer bestimmten Tageszeit das Verlassen des Knastes ohne oder unter Aufsicht einer Beamtin gestattet. Gewährt wird der Ausgang hauptsächlich zur Teilnahme am Unterricht, der nicht in der Anstalt angeboten wird. Das kann auch ein berufsqualifizierender Kurs an der Volkshochschule sein. Auch zur Teilnahme an kulturellen, religiösen, politischen oder sportlichen Veranstaltungen kann Ausgang genehmigt werden. Ein weiterer Grund kann das Zusammentreffen mit Angehörigen außerhalb des Knastes sein. Darüber hinaus können Ausgang und Ausführung „aus wichtigem Anlass“ gewährt werden. Hier gelten die gleichen Gründe wie oben beim Sonderurlaub/Langzeitausgang aufgezählt.
In der U-Haft werden nur Ausführungen in Begleitung einer Beamtin in wichtigen und unaufschiebbaren Angelegenheiten ermöglicht. Liegt eine solche Angelegenheit vor, so darf die Ausführung nicht mit der Begründung abgelehnt werden, es gäbe nicht genug Bewachungspersonal (BVerfG NSTZ 2008, 521).
Auch der Freigang fällt unter die Kategorie „Vollzugsöffnende Maßnahmen“ (§ 53 StVollzG NRW). Unter bestimmten Voraussetzungen wird hier der Strafgefangenen ermöglicht, einer regelmäßigen Tätigkeit außerhalb der Anstalt nachzugehen. Im Gegensatz zur „Außenbeschäftigung“ geschieht dies ohne Aufsicht einer Knastbeamtin. Die Freigängerinnen werden meist von den übrigen Gefangenen strikt getrennt; in besonderen Abteilungen oder in sogenannten „offenen Anstalten“. Unter Beschäftigung sind hier von der Anstalt vermittelte oder selbst gesuchte Arbeitsverhältnisse zu verstehen. Auch die Teilnahme an Maßnahmen der Aus- bzw. Weiterbildung fällt hierunter, sofern diese regelmäßig wahrgenommen werden. Freigang kann sowohl während der normalen Arbeitszeit als auch während der Freizeit erteilt werden; Letzteres gilt vornehmlich für die Teilnahme an Maßnahmen der Aus- bzw. Weiterbildung. Zu beantragen ist der Freigang, wie alle „Lockerungen des Vollzugs“, bei der Anstaltsleiterin. Gewährt wird er nur, wenn du den Eindruck erweckt hast, „an der Erreichung des Vollzugsziels mitzuwirken“, wenn du also:
Ein Rechtsanspruch auf die Erteilung von Freigang besteht allerdings nicht, sondern nur ein Recht auf „fehlerfreien Ermessensgebrauch“, d. h., der Freigang kann trotz Erfüllung der Voraussetzungen jederzeit versagt werden, wenn z. B. kein Arbeitsplatz gefunden wird, das Freigängerinnenhaus belegt ist o. Ä. Mittlerweile werden hauptsächlich aus wirtschaftlichen Gründen (offener Vollzug ist billiger) in vielen Bundesländern eine feste Quote von Gefangenen (in Berlin z. B. 25 %) von der Einweisung direkt in den offenen Vollzug geschickt. Für den offenen Vollzug geeignet bist du, wenn deine Strafe nicht zu hoch ist, bei dir keine Drogenproblematik festgestellt wurde und sie von dir erwarten, dass du dich an die Regeln des offenen Vollzugs halten wirst. Wenn du feststellst, dass überwiegend angepasste, fleißige, unauffällige Gefangene in den offenen Vollzug gelangen, so heißt das nicht, dass ein derartiges Verhalten tatsächlich dazu führen muss. Von einigen Anstalten weiß man, dass besonders gute Fachkräfte unter den Gefangenen nie in den offenen Vollzug kommen, weil die Anstalt nicht auf ihre Arbeitskraft verzichten will.
10.9. Presseerklärungen aus
dem Knast
Für die bürgerliche Presse existieren die Probleme der Gefangenen nicht. Du wirst daher als Gefangene in dieser Presse kaum zu Wort kommen. Versuchen kann man es trotzdem: in Form von Pressemitteilungen und Leserinnenbriefen. Bei beiden brauchst du viel Glück. Du kannst aber die Chance durchzudringen erhöhen, wenn du gewisse Regeln beachtest. Dabei gibt es zwischen Presseerklärungen und Leserinnenbriefen prinzipielle Unterschiede: Die Presseerklärung soll dazu führen, dass das Geschriebene in einem Artikel zitiert oder erwähnt oder sogar Gegenstand eines Artikels wird.
Der Anlass und der Zeitpunkt
Der unmittelbare Anlass, eine Presseerklärung zu schreiben, wird in der Regel ein bestimmter Vorfall sein. Dabei ist der Zeitpunkt entscheidend. Du wirst feststellen: Es gibt Zeiten, da können dutzendweise Gefangene misshandelt werden, ohne dass sich die Presse dafür interessiert. Dann plötzlich überhäufen sich die Nachrichten mit „skandalfähigen“ Informationen, obwohl es um einen Zustand geht, der im Knast Alltag ist. Neben dem „Sommerloch“ kann ein weiteres wichtiges Moment aktuelle öffentliche Auseinandersetzungen sein, wie z. B. vor oder während eines Wahlkampfes. Das ist der Zeitpunkt, in dem „oppositionelle“ Blätter versuchen werden, ihren Parteien in den Sattel zu helfen. In einer solchen Zeit kann es passieren, dass sich eine Abgeordnete plötzlich für den Strafvollzug interessiert und durch Anfragen Missstände anprangern wird. In dem augenblicklichen politischen Klima ist das allerdings eine Sache, auf die du dich weniger verlassen kannst. Denn im Augenblick richten sich die sogenannten „Gefängnisskandale“ gegen die Gefangenen. D. h., als skandalfähiges Thema sind zurzeit weniger die häufigen Misshandlungen, sondern vielmehr die seltenen Entweichungen von Gefangenen opportun.
Ein weiterer begünstigender Zeitpunkt liegt dann vor, wenn bereits ein sogenannter öffentlicher Skandal tobt und ein Sog entsteht, der weitere Informationen hochspülen kann. Der Zeitpunkt des Vorfalls darf nicht allzu weit hinter dem Zeitpunkt der Presseerklärung zurückliegen. Die Presse kümmert sich nur um aktuelle Fälle. Wenn die Aktualität verfallen ist, d. h. ein Vorfall schon zwei, drei Wochen zurückliegt, was im Gefängnis oft schon durch die Zensur bedingt wird, dann kümmert sich die Presse schon allein deshalb nicht mehr darum.
Die Presse ist eine große Industrie, die ununterbrochen Nachrichten produziert. Die Nachrichten werden an die Zeitungen durch große Nachrichtenlieferantinnen, durch „Großhändlerinnen von Nachrichten“, die Nachrichtenagenturen, geliefert. Den Zeitungen ist es dann überlassen, welche Nachrichten sie für wichtig halten und auf welche Art sie sie bringen. Oft wird nur der Lokalteil von der Zeitung selbst recherchiert. Für den überregionalen Teil wird größtenteils Material der großen Nachrichtengroßhändlerinnen, der Nachrichtenagenturen, übernommen. Es ist für uns deswegen überlegenswert, ob wir an die Nachrichtenagenturen unsere Presseerklärung verschicken oder an die Zeitungen. Es kann für einen größeren Vorfall in einem Knast günstiger sein, wenn er an die Nachrichtenagenturen berichtet wird, weil die Nachrichtenagenturen praktisch alle Zeitungen erreichen – und auch die Presseerklärung etwa so wiedergeben, wie du sie selbst gemacht hast.
Die Nachrichtenagenturen übernehmen größtenteils den Text, den du ihnen schickst, in der sachlichen Form und verbreiten ihn dann weiter. Deswegen bestehen eher Chancen bei Nachrichtenagenturen, den Vorfall so weiter berichten zu können, wie du ihn selbst schilderst, als bei Zeitungen, wo es üblich ist, dass Journalistinnen aufgrund des Materials, das sie aus verschiedenen Quellen haben, eigene Artikel verfassen. Aus dieser Struktur des Zeitungswesens ergibt sich, dass du nicht mit einer Anteilnahme eines solchen Presseapparats schlechthin rechnen kannst und dass du dir auch dann keine Illusionen über die Presse machen solltest, wenn sie mal tatsächlich etwas aufgreift.
Wie schreibt man eine Presseerklärung
Die folgenden Regeln sollten unbedingt beachtet werden: Schicke keine unübersichtlichen Dokumentationen an die Presse, sondern einen kurzen, klaren Text. Material in Form von Beschlüssen oder anderen Dokumenten solltest du höchstens anbieten oder als deutlich getrennte Anlage mitschicken. Wenn die Anlage mehrere Dokumente enthält, ist eine Inhaltsangabe zweckmäßig, mit einer stichwortartigen Erläuterung der Bedeutung dieser Schriftstücke. Du solltest also die Presseerklärung so abfassen, dass die Journalistin sie ohne Schwierigkeiten in einen Artikel umsetzen kann und nicht den ganzen Text neu schreiben muss. Sehr oft werden Sätze der Presseerklärung aus dem Zusammenhang gerissen. Die Konsequenz daraus muss sein: Jeder Satz der Presseerklärung sollte so formuliert sein, dass er für sich allein schon einen Sinn ergibt. Um die Presseerklärung „interessanter“ zu machen, ist es sinnvoll, „Folgen“ anzukündigen, z. B.: Strafanzeigen gegen die Verantwortlichen des Vorfalls oder des Zustandes, gegen den du dich wendest, oder sonstige Rechtsmittel (Verfassungsbeschwerden, Menschenrechtsbeschwerden) oder auch Streikaktionen im Knast. Unter Umständen solltest du dich orakelhafter Formulierungen bedienen, wie z. B.: „Wir würden uns nicht wundern, wenn ...“ Jede „sorgfältige“ Journalistin wird, bevor sie etwas schreibt, auch die andere Seite anhören. Daraus folgt: Überlege dir, was die Anstaltsleiterin oder die Justizministerin des Landes dazu sagen (lügen) wird, und versuche von vornherein, darauf einzugehen, also dem zuvorzukommen. Etwa in der Art: „Wenn nun, wie zu erwarten ist, die Justizministerin behaupten wird, dass ...“
Die Journalistinnen haben einen bestimmten Stil, etwas als Nachricht zu bringen. Diejenigen, die als Nachrichten in Zeitungen erscheinen, sind entweder Institutionen, Politikerinnen oder bekannte Persönlichkeiten. Als Gefangene ist man so ziemlich das Letzte, was nachrichtenwürdig ist. Um mit einer Nachricht durchzudringen, reicht es nicht aus, dass einer einzelnen Gefangenen Unrecht passiert, sondern sie muss auch nachrichtenwürdig sein, und das wird sie erst als Gruppe von Gefangenen, die zum Beispiel eine Petition, eine Anzeige, eine Presseerklärung verfassen usw. oder die in einer gemeinsamen Aktion ihren Protest zum Ausdruck bringen. Die größte Chance hast du wohl, wenn sich eine nachrichtenwürdige Persönlichkeit deiner annimmt und gegenüber der Presse etwas anstelle von dir selbst erklärt. Das wird die Presse dann mit größerer Wahrscheinlichkeit bringen. Es ist allerdings dann meistens auch etwas anderes, als du sagen würdest. Für die einzelne Unbekannte gibt es oft nur eine Möglichkeit, nachrichtenwürdig zu sein: indem sie ihre Nachrichtenwürdigkeit durch eine spektakuläre Aktion erzwingt.
Wie kommt die Presseerklärung an die Adressatin?
Die einfachste Möglichkeit: Du schickst sie direkt an die Zeitung oder die Zeitungen, von denen du dir erhoffst, dass sie etwas dazu schreiben. Dabei empfiehlt es sich, eine bestimmte Journalistin anzuschreiben, also auf dem Briefumschlag zu vermerken: zu Händen Frau Sowieso. Du wirst dabei den Namen einer solchen Journalistin nennen, von der du weißt, dass sie bisher schon engagierte Berichte geschrieben hat – möglichst auch über den Knast. Wenn du den Namen der Journalistin nicht kennst, vermerke einfach das Kürzel, das am Ende ihres Artikels steht. Die Mitteilung wird dann schon die richtige erreichen.
Der direkte Versand an die Zeitung bringt natürlich eine Gefahr mit sich: Die Anstaltsleitungen reagieren sehr empfindlich auf den Versuch, Öffentlichkeit herzustellen, und es besteht die Gefahr, dass ein Brief an die Presse eher angehalten wird oder aber dass die Anstaltsleiterin einen Begleitbrief dazulegt, in dem sie deine Vorwürfe als Lügengeschichten diffamiert. Deswegen kann es sich empfehlen, die Presseerklärung über andere Leute nach draußen leiten zu lassen. Du schreibst also diese Presseerklärung als Brief „getarnt“ an Freundinnen, die sie dann an die Presse weitergeben, oder du beauftragst eine Rechtsanwältin, sich an die Presse zu wenden. Eine Presseerklärung hat dann eine größere Chance, ihre Adressatin zu erreichen und nicht im Papierkorb zu landen, wenn du von draußen Unterstützung erhältst (engagierte Leute oder Verbände).
Eine andere Hilfe von außen kann etwa durch Freundinnen geschehen, die als interessierte Hörerinnen oder Leserinnen die betreffende Rundfunkanstalt oder Zeitung mit Telefonanrufen bombardieren und sich dort scheinheilig nach dem von dir beschriebenen Vorfall erkundigen. Wenn du wegen der Zensur eine Presseerklärung nicht schreiben willst, so kannst du der Journalistin auch mitteilen, dass du wichtige Informationen hast, und ihr vorschlagen, dass sie dich im Knast besucht. Unter Umständen machst du das auch wieder auf Umwegen über Freundinnen draußen oder über die Rechtsanwältin. Du kannst der Reporterin dann im Besuchsraum genauer erklären, worum es geht.
An welche Zeitungen lohnt es sich, Presseerklärungen zu schicken?
Natürlich gibt es eine Reihe von Zeitungen, bei denen du es gar nicht erst zu versuchen brauchst. Die schreiben lieber, dass es den Gefangenen noch viel zu gut geht. Du findest im Adressenteil im Anhang einige Zeitungen und Zeitschriften, bei denen es sich eher lohnt, einen Versuch zu starten.
Was kann eine Presseerklärung bewirken?
Auf keinen Fall solltest du erwarten, dass du durch die Presse tatsächlich die Zustände einschneidend ändern kannst. Du wirst es auch selten dazu bringen können, dass bestimmte Beamtinnen abgesetzt werden. Selbst einfache Beamtinnen werden in der Regel nicht entlassen, höchstens von einer Station auf eine andere oder von einem Gefängnis ins andere versetzt. Alle diese Ergebnisse bleiben also im Rahmen einer psychologischen, momentanen Klimaveränderung. Wie die Anstaltsleitung und das Justizministerium auf Presseartikel reagieren, das kennt man von einigen typischen Fällen in der Vergangenheit. Die Anstaltsleiterinnen reagieren normalerweise sehr empfindlich auf Veröffentlichungen. Sie bestreiten die Tatsachen bis zum letzten Moment, bis es nichts mehr zu bestreiten gibt, und versuchen ihre Veröffentlichung vorher durch Zensur, Begleitbriefe und Einschüchterung zu verhindern. Diese Reaktion hat ihre Ursache hauptsächlich in der Furcht der Anstaltsleiterinnen und anderen Beamtinnen, ihren Posten zu verlieren. Diese Angst, den Posten zu verlieren oder degradiert zu werden, ist immerhin so groß, dass bereits bei harmlosen Fällen, die normalerweise gar nichts bewirken, Anstaltsleiterinnen eine hysterische Überreaktion zeigen und unter Umständen durch diese Überreaktion genau das erst auslösen, was sie verhindern wollen.
Alles in allem kann man sagen, dass man sich von Presseveröffentlichungen nicht mehr versprechen sollte als eine psychologische Klimaveränderung innerhalb des Knastes, die natürlich schon etwas bewirkt: z. B. eine solidarische Stimmung unter den Gefangenen, einen momentanen Auftrieb und ein Interesse der Gefangenen an solchen Interventionen überhaupt. Presseartikel haben häufig einen ganzen Schwung von Beschwerden und weitere Berichte an die Presse zur Folge, zu denen sie die Gefangenen ermutigt haben. Auch deswegen schon lohnt es sich, Nachrichten über die Zustände im Gefängnis systematisch zu sammeln und bei einer geeigneten Gelegenheit über die Presse einzusetzen.
Sie haben einen ganz anderen Charakter. Sie stellen keine offizielle Information oder Meinung dar, wie es scheinbar bei einem Artikel in einer Zeitung der Fall ist. Dafür werden sie textlich nicht verändert – höchstens gekürzt – und wohl von sehr vielen gelesen. Auch für den Leserinnenbrief gibt es günstige und ungünstige Zeitpunkte, ähnlich wie bei den Presseerklärungen. Bevorzugt werden auch hier „aktuelle, interessante“ Leserinnenbriefe.
Was beim Schreiben zu beachten ist
Leserinnenbriefe haben für die Presse den Zweck der Werbung: „Unsere Leserinnen dürfen zu Wort kommen.“ Es ist daher notwendig, auf die Eitelkeit der betreffenden Zeitung einzugehen, indem du dich in dem Leserinnenbrief auf einen oder mehrere Artikel dieser Zeitung beziehst, die vor kurzem dort erschienen waren – wenigstens in der Einleitung des Leserinnenbriefs. Dann kannst du dich natürlich von diesem Artikel wieder entfernen, z. B.: Artikel über das Justizministerium, über Strafvollzugsreform, Strafvollzugsskandale, über geglückte Fluchten, zur Berichterstattung über Vorfälle und Zustände, die außerhalb des Knastes existieren oder geschehen sind.
Die Sprache eines Leserinnenbriefs sollte engagiert und auch ruhig scharf angreifend sein, aber nicht beleidigend – sonst wird er nicht abgedruckt. Unbelegte Tatsachenbehauptungen werden sich in einem Leserinnenbrief nicht immer vermeiden lassen. Du solltest aber die wenigen bekannten und auch belegbaren Fakten, die es gibt, in deinem Leserinnenbrief auch einsetzen: z. B. Hinweise auf bestimmte aktenkundige Gefängnisskandale und vor allem Hinweise auf frühere Artikel dieser Zeitung über bestimmte Missstände (das schmeichelt der Zeitung), Hinweise auf Statistiken (z. B. Selbstmordraten).
Wichtig: Je kürzer ein Leserinnenbrief ist, desto größer ist die Chance, dass er abgedruckt und gelesen wird. Außerdem besteht andernfalls die Gefahr, dass er von der Redaktion gekürzt wird. Am besten, du schaust in der betreffenden Zeitung oder Illustrierten nach, wie lang dort die Leserinnenbriefe üblicherweise sind. Der Leserinnenbrief kann natürlich auch von mehreren Gefangenen unterzeichnet werden. Sinnvoll ist es vielleicht auch, mehrere verschiedene Leserinnenbriefe zu einem Thema zu schreiben und unter verschiedenen Namen an die Zeitung zu schicken, um die Chance zu erhöhen, dass wenigstens einer von ihnen abgedruckt wird. Du kannst auch versuchen, Leserinnenbriefe verschiedener Verfasserinnen aufeinanderfolgen zu lassen, die dann auf den bereits abgedruckten hinweisen und ihn ergänzen. Auch wenn du dies alles beachtest, musst du davon ausgehen, dass zwar eine Chance besteht, dass dein Leserinnenbrief abgedruckt wird, die Wahrscheinlichkeit, dass er im Papierkorb der Redaktion verschwindet, bleibt jedoch trotzdem.
10.11. Beiträge für die Alternativpresse
Das bisher zur Presse Gesagte gilt natürlich nur für die „bürgerliche“ Presse. Zur sogenannten Alternativpresse sollte ein offeneres, untaktisches Verhältnis möglich sein. Viele dieser Zeitungen sind daran interessiert, Informationen, Beiträge und Leserinnenbriefe aus dem Knast zu bekommen, und du solltest diese Möglichkeit der Öffentlichkeitsarbeit nutzen, auch wenn der Leserinnenkreis sich quantitativ nicht mit dem der Frankfurter Allgemeinen Zeitung oder des Spiegels messen kann. Aber man sollte hier eigentlich von einer solidarischeren Haltung – der Zeitungsmacherin wie der Leserin – gegenüber den Gefangenen ausgehen können. Vielfach wirst du aber leider auch hier andere Erfahrungen machen. Ob das dann im Einzelfall am fehlenden Platz oder am fehlenden Interesse liegt, lässt sich nicht immer aufklären. Du solltest jedenfalls nicht gleich aufgeben, nicht lockerlassen, sondern weiter schreiben, eine Erklärung für den Nichtabdruck verlangen, andere Mitgefangene zum gleichen Thema oder Vorfall schreiben lassen. Die Alternativpresse sollte sich nicht zuletzt daran messen lassen, wie sie mit solchen Nachrichten und Beiträgen umgeht, denen sonst keinerlei Öffentlichkeit zugänglich ist.
Der offene Vollzug ist eine besondere Lockerungsform. Es gibt in den Landesgesetzen dazu eigene Vorschriften, die immer ganz in der Nähe von der Vorschrift über Vollzugslockerungen zu finden sind.
Bedeutung offener Vollzug
Im offenen Vollzug sitzt man weiterhin im Knast, aber man darf raus, um zu arbeiten oder auch andere Dinge zu erledigen (wie unten noch ausgeführt wird). Im Normalfall sind die Anstalten räumlich von denen des geschlossenen Vollzuges getrennt. Meistens befinden sie sich ziemlich weit draußen, außerhalb der Stadt, was man bedenken sollte, wenn man sich darum bemüht, in den offenen Vollzug verlegt zu werden.
Meistens wird man in Anstalten des offenen Vollzuges mit mehreren Personen gemeinsam untergebracht, häufig teilt man sich mit 8–10 Leuten ein Zimmer (Möglichkeiten der Einzelunterbringung gibt es, siehe unten). Auch das muss man vorher bedenken. Außerdem muss man Haftkostenbeitrag zahlen, das ist wie eine Miete, die man jeden Monat zahlt. Es ist nicht gerade günstig, so circa 300 Euro pro Monat können das – inklusive Verpflegung – schon sein.
Von Vorteil ist natürlich, dass man da rausgehen kann und nicht den ganzen Tag hinter Mauern verbringt. Tatsächlich sollen die Anstalten des offenen Vollzuges nicht vor Entweichung gesichert sein. Es wird ja vor der Verlegung geprüft, ob du in den offenen Vollzug kannst, also ob die meinen, dass du nicht abhaust bzw. keine Straftaten begehst.
Voraussetzungen für die Verlegung
Um verlegt zu werden, musst du nach Ansicht der Anstalt dafür „geeignet“ sein. Das bist du dann, wenn keine Flucht- oder/und Missbrauchsgefahren von dir ausgehen. Sie prüfen also, ob es aus ihrer Sicht ein Risiko gibt, dass du aus dem offenen Vollzug abhaust (Fluchtgefahr), und ob zu befürchten ist, dass du Straftaten begehst, wenn du draußen rumläufst (Missbrauchsgefahr).
Es gibt außerdem Allgemeinverfügungen, die bestimmen, wann eine Eignung für den offenen Vollzug grundsätzlich vorliegt. In einigen Allgemeinverfügungen steht zum Beispiel, dass eine Überforderung der Gefangenen durch zu lange Zeit im offenen Vollzug vermieden werden soll. Hintergrund ist, dass vermutet wird, dass der Widerspruch zwischen Freiheit während der Freigangszeiten und Gefangenschaft mit vielen strengen Regeln während der Zeiten in der Anstalt nicht so lange auszuhalten ist, weil die Leute sich mit der Zeit nichts mehr sagen lassen wollen und dann Schwierigkeiten im Vollzug bekommen. Selbst wenn das so wäre, dürfte es aber nicht dazu führen, dass eine Verlegung in den offenen Vollzug allein mit dem Argument der Überforderung abgelehnt wird, wenn ansonsten die Eignung besteht. Wenn die Anstalt befürchtet, dass die Gefangene bei Verlegung mit einem noch langen Strafrest überfordert wäre, dann muss sie die Gefangenen darauf richtig vorbereiten, statt aus diesem Grund die Verlegung abzulehnen.
Sieh dir die Allgemeinverfügung zu der Vorschrift, die den offenen Vollzug in deinem Landesstrafvollzugsgesetz regelt, am besten an. Frag die Abteilungsleitung, ob sie dir ein Exemplar ausdrucken kann. Zu finden sind die meistens im Internet (dazu kannst du z. B. eine Freundin von draußen fragen, ob sie dir das besorgt) und eigentlich müsste die Abteilungsleitung das sowieso haben.
Solltest du in der Allgemeinverfügung eine Regelung finden, die eine Verlegung in den offenen Vollzug nur ab einem bestimmten Strafrest vorsieht, dann musst du wissen, dass so eine Bestimmung rechtswidrig ist (OLG Frankfurt vom 23.11.1989 – 3 Ws 603/89 StVollz). Das hilft dir, wenn du einen Antrag auf Verlegung in den offenen Vollzug gestellt hast und der mit dieser Begründung abgelehnt wird. Dann hast du echte Chancen, wenn du einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung stellst (siehe Kapitel 24 „Rechtsmittel in der Strafhaft“).
Viele Knäste legen diese Bestimmung in der Allgemeinverfügung (dass eine Überforderung vermieden werden soll) so aus, dass sie intern starre Regeln aufstellen, wie z. B. Verlegung in den offenen Vollzug nicht früher als 2 Jahre vor 2/3 (so in Hamburg). Wenn sie das in einen Bescheid reinschreiben, dann hast du auch gute Chancen, weil das eben nicht zulässig ist. Die Anstalt kann nicht pauschal sagen, wann (und in Wahrheit auch nicht, ob) du durch den offenen Vollzug überfordert sein wirst.
Positive Faktoren für eine Verlegung
Bei der Frage, ob du für eine Verlegung in den offenen Vollzug geeignet bist, wird besonders gewichtet, ob du
bist und
Wenn es offene Ermittlungsverfahren gegen dich gibt, wird der Knast wahrscheinlich deinen Antrag auf Verlegung ablehnen (weil sie meinen, dass du eher abhaust, wenn du auch noch Strafverfolgung in einer anderen Sache fürchtest). Es ist aber nicht so, dass du allein aus diesem Grund als ungeeignet gesehen werden darfst. Falls dein Antrag allein aus diesem Grund abgelehnt wird, lohnt es sich auch, dagegen zu klagen.
Falls du die genannten positiven Faktoren erfüllst und du in den offenen Vollzug möchtest, musst du nicht so lange warten, um den Antrag zu stellen. Es ist vorgesehen, dass die Leute schnell in den offenen Vollzug verlegt werden, wenn sie geeignet sind. Außerdem ist ein Vorteil einer frühen Antragstellung, dass du nach 3 Monaten, wenn die Anstalt immer noch nicht über deinen Antrag auf Verlegung entschieden hat (was regelmäßig so sein wird), Untätigkeitsklage erheben kannst (siehe Kapitel 24 „Rechtsmittel in der Strafhaft“ unter Punkt 24.1.), damit die endlich über deinen Antrag entscheiden.
Regel-Ausnahme-Verhältnis und Ermessen der Anstalt
Im Bundesstrafvollzugsgesetz von 1977 wurde der offene Vollzug als Regelvollzugsform genannt. Das heißt, dass grundsätzlich ALLE Leute im offenen Vollzug untergebracht werden, es sei denn, sie sind hierfür nicht geeignet. Seit es Landesstrafvollzugsgesetze gibt, sind die Bestimmungen unterschiedlich und haben sich meistens zum Nachteil der Gefangenen verändert. In vielen Landesgesetzen stehen offener und geschlossener Vollzug gleichrangig nebeneinander. In Bayern, Hessen, Niedersachsen und im Saarland ist der geschlossene Vollzug leider sogar die Regelvollzugsform, das heißt, dort werden alle Gefangenen im geschlossenen Vollzug untergebracht, es sei denn, sie sind für den offenen Vollzug geeignet.
Die Unterscheidung ist sehr relevant. So kommst du in den meisten Bundesländern nach der Inhaftierung erstmal in den geschlossenen Vollzug, wo dann geprüft wird, ob du für den offenen geeignet bist und deshalb verlegt wirst. Das kann dauern (siehe unten zu drohendem Arbeitsplatzverlust).
Wenn aber in dem Landesgesetz, das für dich gilt, steht, dass Gefangene bei Eignung im offenen Vollzug untergebracht werden sollen, dann ist der offene Vollzug als Regelvollzugsform anzusehen. Das gibt dir bessere Chancen, gegen eine negative Entscheidung der Anstalt vorzugehen oder gleich eine positive Entscheidung der Anstalt zu erreichen.
Denn die Entscheidung, ob deinem Antrag auf Verlegung in den offenen Vollzug stattgegeben wird, ist leider eine Ermessensentscheidung der Anstalt. Das bedeutet, dass du gerichtlich (mit einem 109er-Antrag) gegen die Ablehnung nur auf eine neue und ermessensfehlerfreie Entscheidung klagen kannst, nicht darauf, dass das Gericht deine Verlegung in den offenen Vollzug anordnet. Das führt dazu, dass die Anstalten einen ziemlich großen Spielraum haben und die Frage, ob du für den offenen Vollzug geeignet bist, ziemlich beliebig entscheiden können. Deshalb wird die Entscheidung über die Eignung auch zu Recht in der Literatur teilweise als „Einfallstor für Willkürentscheidungen“ (Volckart/Pollähne/Woynar, Verteidigung in Strafvollstreckung und Strafvollzug, 2008 Rn. 570) bezeichnet. Etwas anders ist es eben, wenn in dem Strafvollzugsgesetz des Bundeslandes, in dem du sitzt, steht, dass Gefangene im offenen Vollzug untergebracht werden sollen. Dann ist das Ermessen der Anstalt eingeschränkt. Das bedeutet, dass die Anstalt eine Flucht- und Missbrauchsgefahr (die ja bei der Frage nach der Eignung für den offenen Vollzug geprüft wird, s. o.) positiv feststellen muss. Es reicht dann nicht, dass eine Gefahr nicht sicher ausgeschlossen werden kann (siehe dazu Entscheidung des Kammergerichts in der Zeitschrift: StraFo 2015, S. 261 und Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamburg in der Zeitschrift: StV 2007, S. 390), sondern es muss konkrete Anhaltspunkte dafür geben, dass du abhauen oder weitere Straftaten begehen wirst.
Es ist also ein großer Unterschied, ob du laut Gesetz im offenen Vollzug untergebracht werden sollst oder kannst.
Stellungnahme, Psychologischer Dienst und lange Wartezeiten
In einigen Bundesländern (Bayern, Hessen, Hamburg, Niedersachsen) verlangt das Gesetz, dass Gefangene vor der Verlegung in den offenen Vollzug sich von einer Psychologin begutachten lassen (siehe allgemein Kapitel 20 „Gutachten“), um zu prüfen, ob noch Gefahren von ihnen ausgehen. Das ist häufig dann der Fall, wenn du wegen eines Sexualdelikts oder wegen einer „groben Gewalttätigkeit“ gegen Personen verurteilt wurdest. Letzteres kann alles sein. Es kann also sein, dass du wegen einer Körperverletzung, die vielleicht nur eine Nebenrolle in dem Urteil, aufgrund dessen du sitzt, spielt, vor einer Verlegung zur Psychologin musst. Das wäre in solchen Fällen vielleicht gar nicht so schlimm, weil regelmäßig das Ergebnis sein wird, dass von dir keine Gefahr ausgeht (sonst hätte die Anstalt von sich aus dich schon nicht für geeignet für den offenen Vollzug gehalten). Das große Problem bei der Sache ist, dass die Wartezeiten für das Gespräch bei der Psychologin meistens sehr lang sind. Es kann also sein, dass in der Vollzugsplankonferenz beschlossen wird, dass du für den offenen Vollzug geeignet bist, wenn die Psychologin das auch sagt. Dann – und zwar erst dann (!!) – wirst du auf die Warteliste für die Psychologin gesetzt. Das kann Monate dauern und bis dahin sitzt du nur rum und wartest. Versuche auf jeden Fall, dass die Abteilungsleiterin dich auf die Warteliste der Psychologin setzt, sobald das Thema offener Vollzug aufkommt und dir gesagt wird, dass du möglicherweise noch zur Psychologin musst, und zwar bevor die Konferenz stattfindet.
So kannst du Zeit sparen. Wahrscheinlich werden die das nicht machen, weil sie meinen, dass die Anstalt selbst ja erstmal entscheiden muss, ob sie dich für geeignet hält, und falls nicht, müsste die Psychologin ja gar nicht erst tätig werden. Das ist natürlich Quatsch, weil sie dich einfach wieder von der Warteliste runternehmen könnten, wenn sie dich für nicht geeignet halten, ohne dass das einen Nachteil für sie darstellen würde.
So kannst du auch argumentieren, wenn du versuchst, sofort auf die Warteliste gesetzt zu werden.
Drohender Arbeitsplatzverlust bei Inhaftierung
Wenn du noch nicht drin bist und draußen einen festen Arbeitsplatz hast, dann lohnt es sich zu versuchen, gleich eine Ladung zum Strafantritt für den offenen Vollzug zu bekommen. In den meisten Bundesländern gibt es diese Möglichkeit. Eine Ausnahme ist zum Beispiel Hamburg. Dennoch solltest du auch dort versuchen, bei der Staatsanwaltschaft eine Direktladung in den offenen Vollzug zu bekommen, indem du die Einweisung in den offenen Vollzug gemäß § 26 Abs. 2 Satz 1 der Strafvollstreckungsordnung beantragst.
Dabei helfen können dir folgende Gerichtsentscheidungen: Bundesverfassungsgericht in der Zeitschrift: EuGRZ 2007, S. 738; Oberlandesgericht München in der Zeitschrift: StV 2015, S. 708. Lies sie dir durch und argumentiere damit.
Du solltest also schriftlich bei der Staatsanwaltschaft diesen Antrag stellen (das geht einfach formlos, schreib einfach auf, was du erreichen willst) und die Gerichtsentscheidungen im Internet raussuchen und Ausdrucke davon an die Staatsanwaltschaft mitschicken. Dann kann es sich lohnen, immer wieder bei der Staatsanwaltschaft nachzuhaken und darauf hinzuweisen, dass du – wenn du einmal in den geschlossenen Vollzug eingewiesen wirst – erstmal dort bleiben wirst, bis die Prüfung der Eignung vollzogen ist, was Monate dauern kann. Dann ist der Arbeitsplatz weg und das gilt es gerade zu vermeiden, auch von der Staatsanwaltschaft.
Wichtig für diese Situation ist ein Schreiben der Arbeitgeberin, dass sie dich auch aus dem offenen Vollzug beschäftigen würde.
Wenn du verlegt worden bist, musst du noch Freigang beantragen, damit du die Anstalt verlassen darfst. Der häufigste Grund ist Arbeit, für die du raus möchtest. Dein Arbeitsplatz wird von der Anstalt sicherheitsüberprüft. Das bedeutet im Normalfall, dass jemand von der Anstalt in den Betrieb geht und guckt, ob da alles „okay“ ist. Die Arbeitszeiten sind grundsätzlich von der Anstalt hinzunehmen. Wenn du also zu später Stunde arbeitest, muss die Anstalt das tolerieren und dir auch für diese Zeiten Freigang geben.
Du kannst aber aus dem offenen Vollzug heraus auch anderen Tätigkeiten nachgehen. Du sollst die Möglichkeit haben, deinen gewöhnlichen Alltagsverpflichtungen nachzukommen. Zum Beispiel gehört auch sogenannter Hausfrauen- oder Hausmännerfreigang dazu. Wenn du Kinder hast, die du jeden Tag von der Schule abholst, und ihnen was zu essen machst, gehört das ebenso zu einem möglichen Grund, Freigang zu bekommen, wie eine Arbeit, für die du Geld bekommst. Es ist ebenfalls möglich, Freigang zu bekommen, um Arbeit zu suchen oder um dich weiterzubilden, Kurse zu besuchen usw.
Du wirst über die Zeiten, die du irgendwo draußen beschäftigt bist, hinaus auch einige Sozialstunden bekommen, die du an die Freigangszeiten wegen Arbeit o. Ä. dranhängen kannst. In diesen hast du frei und kannst draußen machen, was du willst. Diese Sozialstunden werden – wenn alles glattläuft – mit der Zeit erhöht.
Unterbringung in einer Einzelzelle
Wie bereits oben erwähnt, wirst du normalerweise – anders als im geschlossenen Vollzug – in Mehrbettzimmern untergebracht. Nur wenn es medizinisch angezeigt ist, kannst du in einem Einzelzimmer untergebracht werden. Wenn die Anstaltsärztin sagt, dass du aus medizinischer Sicht darauf angewiesen bist, einzeln untergebracht zu werden, kannst du dir das schriftlich geben lassen und in der Anstalt des offenen Vollzuges beantragen, dass du in ein Einzelzimmer kommst. Die Bescheinigung von der Ärztin legst du in Kopie mit dazu.
Die Sicherungsverwahrung ist die härteste Maßregel, die das deutsche Strafrecht für seine Opfer vorsieht. Du wirst, nachdem du deine Strafe abgesessen hast, für unbestimmte Zeit weiter weggesperrt.
Formal soll die Sicherungsverwahrung keine Strafe sein, sondern eben eine „Maßregel der Besserung und Sicherung“. Das bedeutet, dass der Zweck der SV nicht die Bestrafung einer Tat ist, sondern die Sicherung der Gesellschaft vor Menschen, die der Staat als „gemeingefährlich“ ansieht.
Für die Betroffenen ist der Unterschied zum Knast leider in den wenigsten Fällen spürbar.
Um es nochmal ganz deutlich zu machen: Wenn du als Gefangene im „normalen“ Knast dieses Buch liest, kann gegen dich die Sicherungsverwahrung nicht mehr angeordnet werden! Die Sicherungsverwahrung muss durch das Gericht im Urteil angeordnet werden oder kann in dem Urteil „vorbehalten“ werden, d. h., dass das Gericht zu einem späteren Zeitpunkt noch darüber entscheiden kann, ob es dich in die SV steckt.
Die Voraussetzungen für die Verhängung von Sicherungsverwahrung sind in § 66 StGB geregelt. Insbesondere hängt sie davon ab, was für eine Tat du begangen hast, dass deine Strafe nicht unter zwei Jahre beträgt und dass durch Gutachten festgestellt wird, dass du in Folge eines „Hanges zu erheblichen Straftaten“ für die Allgemeinheit gefährlich bist (zum Problem der Gutachterinnen lies → Kapitel 20 Gutachten). Im Normalfall wird die SV nicht angeordnet, wenn du das erste Mal verurteilt wirst.
Außerdem bedeutet die Sicherungsverwahrung nicht gleichzeitig, dass du bis zu deinem Lebensende eingesperrt sein wirst. Auch bei der Sicherungsverwahrung gibt es Möglichkeiten, wieder rauszukommen. Mindestens einmal im Jahr, nach zehn Jahren in der SV dann alle neun Monate, muss das Gericht prüfen, ob die Voraussetzungen der SV bei dir noch vorliegen. Ist dies nicht (mehr) der Fall, müssen sie dich rauslassen.
Den folgenden Text hat ein Mensch geschrieben, der selbst in Sicherungsverwahrung sitzt. Wir haben nur an manchen Stellen einige Anmerkungen hinzugefügt:
Die Sicherungsverwahrung (= SV) wurde in Deutschland mit dem Gewohnheitsverbrechergesetz vom 24.11.1933, d. h. von den Nationalsozialisten, eingeführt. Zwar gab es schon im ausgehenden 19. Jahrhundert Überlegungen dahingehend, eine Unterbringung „gefährlicher Gewohnheitsverbrecher“ unabhängig von einer Freiheitsstrafe zu ermöglichen, doch auch in der Weimarer Republik waren die Widerstände zu stark (u. a. kämpfte auch Kurt Tucholsky gegen die SV, vgl. Die Weltbühne, 1928, S. 839, wo es heißt: „Nieder mit der Sicherungsverwahrung“).
So blieb es den Nationalsozialisten vorbehalten, die SV einzuführen, mit dem erklärten Ziel, „Volksschädlinge unschädlich“ zu machen. Nach Ende des Dritten Reiches war es die DDR, die die SV auf ihrem Staatsgebiet verbot (Urteil des Obersten Gerichts der DDR vom 23.12.1952), da das Gesetz „faschistischen Ungeist“ atme. Bekanntermaßen hatten die westdeutsche Politik und Justiz keine Hemmungen, NS-Juristinnen ebenso in Amt und Würden zu halten wie einschlägige NS-Gesetze, so dass jedes Jahr um die 200-300 Anordnungen ausgesprochen wurden. Erst in den 70er Jahren nahm die Zahl der Anordnungen ab auf rund 30 pro Jahr, so dass in den 80er Jahren eine Abschaffung der SV diskutiert wurde.
Im Windschatten einiger weniger Sexualmorde in den 90er Jahren erlebte auch die SV eine Wiederbelebung. Die Zahl der Anordnungen stieg ebenso an, wie die Möglichkeiten zur Verhängung der SV ausgeweitet wurden: auf Menschen, die erstmals vor Gericht standen bis hin (in den 2000er Jahren) zu deren nachträglicher Anordnung. Politik und Justiz nutzten dabei die mediale Aufheizung der Debatte, um eine Gesetzesverschärfung nach der anderen durch das Parlament zu jagen – weitestgehend unbeeinflusst von der objektiven Befundlage. Exemplarisch sei auf die Zahl der Sexualmorde hingewiesen: Während in den 70er Jahren durchschnittlich rund 80 Sexualmorde im Jahr begangen wurden, sank die Zahl in den 90ern auf 20-30. Das sind 20-30 zu viel, unbestritten, aber so soll belegt werden, dass es keine rationale Begründung für die Ausweitung der SV „zum Schutze der Bevölkerung“ gab. Hintergrund dürfte eher eine allgemeine Bestrebung politischer Kreise gewesen sein, erwünschte Gesetzesverschärfungen, die nämlich auch zur Inhaftierung politischer Gegnerinnen genutzt werden können, durchzusetzen – und eine in Kriminalitätsfurcht verharrende und gehaltene Bevölkerung wird sich schwerlich bereit erklären, Widerstand zu leisten gegen Gesetzespakete, die vorgeblich Schutz vor Mord und Vergewaltigung bieten sollen. D. h., die Politik instrumentalisiert die ermordeten Kinder und Frauen, um auf deren Rücken Gesetze zu verschärfen, wie es zuletzt im Bereich der SV den Nationalsozialisten vorbehalten blieb.
In den Staaten Europas ist die Lage differenziert zu betrachten, es gibt Länder, die die SV abgeschafft haben (z. B. Spanien), und Staaten, die ähnliche Institute eingeführt haben: So kann seit 2008 in Frankreich die „rétention de sureté“ bei besonderer Gefährdung durch erhöhte Rückfallgefahr verhängt werden. Ein Jahr zuvor führte die Schweiz die Maßnahme der zeitlich unbestimmten Verwahrung ein.
Aktuell (2014) sitzen rund 500 Männer und eine Frau in der SV. In Folge eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 zur Sicherungsverwahrung, in welchem die perspektivlose Situation der Verwahrten thematisiert wurde, änderten zum 1.6.2013 der Bund und die Länder die einschlägigen Vollzugsgesetze, um das Leben in der SV – zumindest der Theorie nach – besser an das Leben in Freiheit anzugleichen und eine realistischere Möglichkeit der Haftentlassung zu schaffen. Denn zuvor stiegen die Verwahrdauern zunehmend, d. h., Untergebrachte saßen nicht „nur“ fünf, acht oder zehn Jahre, sondern 15, 20 und mehr Jahre in SV.
Ob die neuen gesetzlichen Regelungen tatsächlich die Zahl der Verwahrten senken werden, darf bezweifelt werden.
Aktuelle Rechtsprechung zum Bereich SV gibt es nur wenig, denn die ganzen Verfahren beginnen erst zu laufen.
So entschied das Landgericht Freiburg (13 StVK 261/13, Beschluss vom 22.7.2014), dass Verwahrte Anspruch darauf haben, ungestört telefonieren zu dürfen. Das Oberlandesgericht Karlsruhe (2 Ws 278/14, Beschluss vom 12.8.2014) urteilte, dass die Anordnung der Fesselung bei einer Ausführung im Vorfeld begründet werden müsse und, wenn eine solche Begründung nicht erfolge, die Fesselung rechtswidrig sei.
Verwahrte hätten zudem Anspruch auf Privatsphäre beim Besuch von Freundinnen und Angehörigen (Landgericht Freiburg, 13 StVK 358/13, Beschluss vom 14.1.2014), weshalb es unzulässig sei, im selben Besuchsraum mehrere Besucherinnengruppen zur selben Zeit abzuwickeln.
Zu beobachten ist auch ein erhebliches Gefälle der Lebensbedingungen im Bereich der SV: Während es in Niedersachsen (JVA Rosdorf) Telefon und Internet (wenn auch Letzteres sehr beschränkt) sowie eine Dusche, Kochplatten und über 20 qm Wohnfläche gibt, müssen in der JVA Freiburg die Verwahrten mit 14 qm „Wohnfläche“ und ohne Telefon, Computer, Dusche und Kochgelegenheit im Haftraum auskommen.
Der Theorie nach soll die Motivation und Behandlung der Verwahrten auf ein solches Maß gesteigert werden, dass die Zeit in der Verwahrung sinkt und möglichst bald eine Entlassung ermöglicht wird („Herbeiführung der Entlassungsreife“). Ob dem eines Tages so sein wird, das steht in den Sternen. Jetzt, nach über einem Jahr, in welchem die neuen Gesetze in Kraft sind, lassen sich ernsthafte Bemühungen in diese Richtung nur mit viel Phantasie erkennen. Exemplarisch mag die JVA Freiburg dienen: bis dato keine angemessene Ausstattung mit Personal, was die Anstalt auch 2013 gegenüber dem Komitee zur Verhütung von Folter (CPT des Europarates) bei dessen Besuch in der Anstalt offen einräumte. Verwahrte werden sich selbst überlassen. Erst nachdem in der JVA Bruchsal im August 2014 ein Gefangener verhungerte und der dortige Gefängnisleiter suspendiert wurde, zeigte das auch in Freiburg Wirkung: Ein ersichtlich verwahrloster Untergebrachter (ein sogenannter Russland-Deutscher) wurde dem Arzt vorgestellt, der eine schwere Krebserkrankung mit Metastasenbildung feststellte und die sofortige Verlegung in ein Krankenhaus verfügte.
Verwahrte, die nicht bereit sind, zu kooperieren, werden hier sich selbst überlassen, schon deshalb, weil die Anstalt nicht genügend Personal hat, um die mitarbeitswilligen Verwahrten angemessen zu betreuen. Regelmäßig fallen die Ausführungen, die den Verwahrten zustehen, – in Baden-Württemberg sind das vier pro Kalenderjahr – aus, weil nicht genügend Wärterinnen im Dienst sind.
Aus Sicht der Verwahrten, die schon fünf, zehn, 15 und mehr Jahre in der SV zubringen, hat sich an dem todesstrafenähnlichen Verwahrvollzug substantiell nichts geändert.
Anmerkung: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist sehr lesenswert (Urteil v. 4.5.2011 – 2 BvR 2365/09), es wird das gesamte Recht der Sicherungsverwahrung geändert. Insbesondere interessant ist, dass das Bundesverfassungsgericht das sogenannte Abstandsgebot eingehalten sehen will. Das bedeutet, dass zwischen Strafhaft und Sicherungsverwahrung ein deutlicher Unterschied bestehen muss. In aller Regel war es so, dass nach Ablauf der Strafhaft einfach das Schild an der Tür ausgetauscht wird, und dann beginnt die Sicherungsverwahrung. So soll es nicht mehr sein. Also kannst du nun einfordern, dass sich das Leben in der SV mehr an das Leben in Freiheit angleichen soll (siehe die obigen Rechtsprechungsbeispiele). Gerade im Moment, wo noch nicht viel Zeit seit der Gesetzesänderung vergangen ist (und noch keine gefestigte Rechtsprechung zu den einzelnen Themengebieten besteht), lohnt es sich, alles Mögliche einzufordern, was dir einfällt, um dich auf das Leben in Freiheit vorzubereiten. Dafür kann es dir helfen, dir das Urteil mal durchzulesen und dir Passagen rauszusuchen, die zu dem passen könnten, was du verlangen willst. Auch z. B. zum Thema Lockerungen – die keineswegs ausgeschlossen sind – lässt sich aus dem Urteil eine Begründung ziehen.
Kontrovers diskutiert wird momentan zum Beispiel das Recht der Sicherungsverwahrten, über einen Computer verfügen zu dürfen, vgl. Kammergericht, Beschluss vom 18.06.2014 - 2 Ws 123/14.
Wie wehre ich mich in der SV?
Hungerstreik ohne gute Unterstützung von außerhalb der Mauern ist schwierig. Beispiele wie aus Celle und Rosdorf (2013/2014) haben gezeigt, dass, wenn Hungerstreiks ohne genaue Planung durchgeführt werden, die Wirkung verpufft oder auch das Gegenteil erreicht wird (so nutzten Politik und Medien eine ungeschickt formulierte Hungerstreikerklärung dazu, die Forderungen der Verwahrten auf angeblich fehlende Kaugummis und Backpulver in der Einkaufswunschliste zu reduzieren und das ernsthafte Anliegen zu diffamieren). Aber ein gut abgesprochener Hungerstreik mit solidarischer Begleitung von außen, das kann etwas bewegen.
Ansonsten: Alles einklagen, was einem zusteht, d. h. die zur Verfügung stehenden Klage- und Beschwerdemöglichkeiten ausschöpfen, sobald die JVA Anliegen ablehnt.
Bliebe noch die „Kooperation“ mit der Anstalt: Wer auf die gut riechende gelbe Karotte, die einem die Justiz vor die Nase hält, auch nach soundso vielen Jahren Strafvollzug immer noch hereinfällt, dem ist nicht wirklich zu helfen. Die von der JVA in aller Regel ultimativ eingeforderte Teilnahme an einer Psychotherapie stellt eine Form von Gehirnwäsche dar. Oder bei Langzeitverwahrten eine Art Beschäftigungstherapie. Ein Großteil der Verwahrten muss sich darauf einstellen, in Haft zu versterben – ein realistischer Blick für diese Tatsache ist wichtig, um daraus dann die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen.
Anmerkung: Zu der Frage, ob du eine Psychotherapie in Anspruch nehmen solltest oder nicht, äußert der Autor eine entschiedene Meinung. Das sehen andere Gefangene oder Sicherungsverwahrte auch anders, insbesondere im Hinblick auf mehr oder weniger realistische Entlassungsaussichten. Lies hierzu → Kapitel 20 Gutachten.
Wenn du von deiner Entlassung ein paar Wochen vorher weißt, wenn du den Tag ausrechnen kannst − eigentlich schon seit deiner Verurteilung ungefähr −, trifft es dich vielleicht nicht so mit einem Schlag, aber wenn du ganz unvorbereitet bist und es heißt mit einem Mal: Sie werden heute − oder morgen − entlassen, dann jagt es wie ein Stromschlag durch den Körper. Manche heulen vor Freude, andere stürzt es in ungeheure Aufregung und Verwirrung, weil sie das am allerwenigsten erwartet hätten und überhaupt nicht wissen, was anfangen. Einige bauen sich in aller Eile alle möglichen Luftschlösser. Und auch die ganz Kühlen zittern innerlich vor Aufregung. Mir ging es so, dass ich hin- und hergerissen war zwischen Staunen, Neugier, Freude, Wut und Traurigkeit. Die Freiheit, die sie dir da geben, ist quasi verordnet, und mit einem Schlag, von einer Stunde auf die andre, sollst du deine besten Freundinnen verlassen, mit denen du über Jahre zusammen warst, und du weißt, dass sie noch einige Jahre da hocken werden. Ich war wütend, so herumgeschoben zu werden, aber ich war auch neugierig, richtig neugierig auf das, was mich wohl erwartet, draußen. Was ich dann zuerst mal gefunden habe da draußen, war eher ein Gefühl von „drinnen“. So als hätte ich bisher auf einer Insel gelebt − und wäre aufs industrielle Festland gekommen. Was notwendig war, damit hatte ich es noch nicht mal schwer: eine Wohnung und Geld vom Sozialamt. Aber ich bin rumgelaufen wie im Traum. Alles fremd, die Bewegung der Menschen, die gewaltigen Häuser, die Autos, der Lärm, ein ungeheurer Lärm. Und ich, eingeklemmt in dieser furchtbaren Maschine, die sich sinnlos bewegt. Der Knast bekam mit einem mal einen Schleier von fast klösterlicher Ruhe und Schutz. Mein ganzer Hass war zugeschüttet und meine Erinnerung hat nur winzige Momente freigegeben. Ich hab mich gefühlt, als hätte ich keinen Boden unter den Füßen, keine Kraft in den Händen. Die Freundinnen von früher waren mir fremd. Alles war mir fremd. − Ich hab andere getroffen, die kurz davor oder danach entlassen worden waren, die haben mir dasselbe erzählt. Freiheit. Spucken kann man drauf. Aber wir wollten auch nicht in den Knast zurück, das keinesfalls. Viele haben angefangen zu trinken oder wieder Heroin zu nehmen. Nichts sehen, hören, spüren. Das, was du notwendig tun musst, um nicht gleich wieder verhaftet zu werden, ist gerade das, was du am wenigsten vertragen kannst: Ämter und nochmal Ämter. Anmelden, ummelden, bei der Polizei melden, beim Jobcenter und der Arbeitsagentur melden. Ich stell mir vor, dass es ein bisschen erleichternd ist zu wissen, dass es nicht nur dir so geht, dass der kraftlose Zustand nicht ewig dauert. Dass du alle Konzentration und Sturheit zusammennehmen musst, um das Notwendigste zu erledigen und gleichzeitig nicht aufgefressen zu werden. Sein eigenes Leben in die Hand zu nehmen, ist nicht nur eine Frage nach der Entlassung, sondern eine dauernde.
12.1. Vor der Entlassung
Wenn du rauskommst und nicht von Familie oder Freundinnen aufgenommen wirst, brauchst du zuerst Geld und eine Wohnung. Voraussetzung hierfür ist normalerweise, dass du als Erstes alle notwendigen und hilfreichen Papiere sammelst und dich um Arbeit kümmerst. Woran du denken solltest, um das zu schaffen, ist Folgendes:
Wichtige Papiere und wofür du sie brauchst:
a) Personalausweis (allgemein)
Falls dein alter Personalausweis abgelaufen ist, musst du einen neuen beantragen. Seit 2010 gibt es den neuen Perso im Kartenformat. Man kann seitdem den Perso nur noch persönlich beim Einwohnerinnenmeldeamt/Bürgerinnenamt beantragen. Also musst du im Rahmen einer Beurlaubung das Amt aufsuchen, um den Antrag zu stellen. Denk dran: Zur Entlassungsvorbereitung soll dir die Anstalt Lockerungen gewähren (s. o.). Für die Ausstellung des Personalausweises brauchst du ein Passbild und ein Dokument, das deine Identität nachweist, z. B. deinen alten Perso oder eine Geburtsurkunde. Falls du beides nicht hast, kannst du beim Standesamt deines Geburtsortes eine Geburtsurkunde bekommen.
b) Lohnsteuerkarte (Arbeit)
Die wird nicht mehr gebraucht. 2013 startete das elektronische Abrufverfahren (ELStAM), wofür das Finanzamt zuständig ist. Seitdem musst du deiner Arbeitgeberin nur noch dein Geburtsdatum und deine steuerliche Identifikationsnummer mitteilen. Diese Identifikationsnummer bekommst du von dem Finanzamt, das für dich zuständig ist (Zuständigkeit richtet sich nach deinem Wohnort). Du kannst einfach an das Finanzamt schreiben und die teilen dir deine Identifikationsnummer mit.
c) Sozialversicherungsausweis (allgemein)
Jede muss so einen haben! Wenn du keinen hast, stelle einen Antrag bei der Deutschen Rentenversicherung Bund. Das kannst du ganz formlos beantragen. Du musst dabei deinen vollen Namen, Geburtsdatum, Geburtsort, Anschrift und Rentenversicherungsnummer angeben. Den Antrag schickst du an die Adresse: Deutsche Rentenversicherung Bund, 10704 Berlin
d) Wohnberechtigungsschein (WBS) (Wohnungssuche)
Um nach der Entlassung zu wissen, wo es für dich hingeht, kannst du dich schon vor der Entlassung um eine Wohnung kümmern. Hierzu solltest du aus dem Knast einen Wohnberechtigungsschein (WBS) beim Bezirksamt beantragen. Du kannst deine Gruppenleiterin fragen, ob sie dir einen Antrag ausdrucken kann. Diese Anträge sind leicht zu finden, z. B. für Berlin unter: http://www.stadtentwicklung.berlin.de/wohnen/mieterfibel/de/mf_wbs.shtml
Wenn die nicht bereit sind, dir zu helfen, stelle einfach einen formlosen Antrag, und das Wohnungsamt schickt dir die Formulare zu, die du ausfüllen sollst.
Nicht gleich verzweifeln beim Ausfüllen. Auf den ersten Blick ist das alles unübersichtlich und sieht viel aus (Einkommensnachweise usw.), das ist es oft aber gar nicht, weil nicht immer alles von dir ausgefüllt werden muss. Nimm dir Zeit und schaue dir die Unterlagen in Ruhe an. Falls du Hilfe beim Ausfüllen brauchst, wende dich an die Gruppenleiterinnen, wenn du da Hilfe erwarten kannst. Sie sind verpflichtet, dich bei den Entlassungsvorbereitungen zu unterstützen (§ 42 Abs. 1 10-Länder-Entwurf oder § 74 BStVollzG). Ansonsten gibt es häufig in den Knästen auch eine Stelle, die sich um Entlassungsvorbereitungen kümmert und die Erfahrung mit dem Ausfüllen dieser Anträge hat. Achte darauf, dass du „besonderen Wohnbedarf“ in dem Antrag geltend machst (für Berlin z. B. ist das unter Punkt 5 des Antrags möglich, wo du nur eintragen musst, dass du gerade in Haft bist und keine Wohnung in Berlin hast). Ein „WBS mit besonderem Wohnbedarf“ ist gut, weil es Sozialwohnungen gibt, die nur an Menschen mit „besonderem Wohnbedarf“ vermietet werden dürfen, d. h., du bist dann nicht in der Konkurrenz mit allen anderen Menschen, die gerade eine Wohnung suchen, sondern nur mit denen, die auch einen „besonderen Wohnbedarf“ anerkannt bekommen haben, und das sind nicht so viele. Menschen, die aus der Haft entlassen wurden und keine Wohnung in der jeweiligen Stadt haben, gehören aber dazu.
Nach dem Ausfüllen schickst du den Antrag an das zuständige Bezirksamt. Für dich zuständig ist das Bezirksamt, in dessen Bezirk du gemeldet bist oder zuletzt gemeldet warst. Eine Haftbescheinigung solltest du beifügen, genauso wie eine Verdienstbescheinigung aus dem Knast.
Falls der Antrag bewilligt wird, erhältst du einen „WBS mit besonderem Wohnbedarf“, der für ein Jahr gültig ist und nicht auf einzelne Stadtteile beschränkt ist. Damit kannst du dich für Wohnungen bewerben, die größten Chancen bestehen bei Wohnungen, die als Voraussetzung eben einen WBS fordern.
Falls du auch mit dem WBS keine Wohnung findest, die Entlassung ganz kurz bevorsteht und du bei niemandem unterkommen kannst, gibt es auch noch die Möglichkeit, über die „Wohnungsversorgung für Notfälle“ beim zuständigen Bezirksamt (Sozialamt) eine Wohnung zu bekommen (in Berlin z. B. wurde für diese Notfälle das „geschützte Marktsegment“ eingerichtet, wofür auch das Bezirksamt zuständig ist. Tel.: 030-90229-3201 oder -3202). Vergleichbare Regelungen wird es auch in anderen Orten geben, und auch dort werden Menschen, die gerade aus der Haft entlassen wurden, berechtigt sein, aus diesem Kontingent eine Wohnung zu bekommen. Auch hier kannst du Wünsche angeben, was die Wohnung betrifft. Aber sei über die Miethöhe realistisch, denn nur so lange, wie du nach der Entlassung keine Arbeit hast, zahlt die Miete der Staat – sobald du selbst verdienst, musst du auch deine Miete selbst bezahlen, und es wäre gut, wenn das dann auch machbar wäre und du nicht gleich wieder umziehen müsstest.
e) Arbeitsbescheinigung (Antrag auf Arbeitslosengeld)
Wenn du dich nach der Entlassung arbeitslos meldest, brauchst du einen Nachweis darüber, was du in den letzten Jahren gearbeitet hast, also auch was du im Knast gearbeitet hast. Wenn du dich arbeitssuchend gemeldet hast, bekommst du per Post vom Amt Unterlagen. Dabei ist eine Bescheinigung, die deine Arbeitgeberin ausgefüllt an das Amt zurückschicken soll. Das ist wichtig dafür, ob du ALG I und, wenn ja, wie viel davon du bekommen kannst (wie man ALG beantragt, s. u.).
f) Zeugnisse (Arbeit/Antrag auf Arbeitslosengeld)
Du kannst Zeugnisse über deinen Schulabschluss beim Sekretariat deiner alten Schule und Zeugnisse über deinen Berufsabschluss bei der Handwerkskammer oder Industrie- und Handelskammer anfordern, wenn du diese nicht mehr hast.
g) Haftentlassungsschein (allgemein und sehr, sehr wichtig!!)
Den bekommst du am Tag deiner Entlassung von der Anstalt ausgehändigt. Er ist zunächst dein wichtigstes Papier. Auf allen Ämtern musst du ihn vorweisen. Und wenn du aus der Untersuchungshaft entlassen wirst, bewahrt er dich vor einer neuen Verhaftung.
h) für Migrantinnen: letzte Arbeitserlaubnis, Reisepass, Aufenthaltserlaubnis
Bei der Beschaffung der fehlenden Papiere kannst du deine Sozialarbeiterin bzw. den Sozialdienst zur Mithilfe bewegen. Wenn sonst schon wenig rüberkommt, so ist ihnen zumindest die institutionelle/bürokratische Spielweise nicht fremd, und sie sind – als Teil der Anstalt – zur Unterstützung gesetzlich verpflichtet (§ 58 StVollzG NRW, § 74 BStVollzG). Außerdem soll die Anstalt Kontakt zu außervollzuglichen Organisationen vermitteln, damit du nach der Entlassung besser Fuß fassen kannst (§ 58 StVollzG NRW). Es ist daher üblich, dass Sozialarbeiterinnen von Stellen, die sich um Entlassene kümmern, in die Anstalt kommen. Es kann sinnvoll sein, sich die zumindest anzugucken – vielleicht können die im „Ämterkrieg“ konkrete, praktische Hilfe leisten. Auch Bewährungshelferinnen kommen zuweilen in die Anstalt. Es kann also helfen, wenn du dir jemanden vornimmst, mit dessen Hilfe du deine Liste abarbeitest.
Krankenversicherung und Pflegeversicherung:
Während der Haft hat der Knast für die Gesundheitsfürsorge zu sorgen. Seit 2007 gibt es eine Versicherungspflicht, also jeder Mensch muss krankenversichert sein. Wenn du das seit 2007 nicht gewesen bist, musst du einen Antrag bei einer gesetzlichen Krankenversicherung stellen (z. B. Techniker Krankenkasse oder AOK). Dieser Antrag darf nicht abgelehnt werden! Sobald du Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung geworden bist, wirst du auch in die Pflegeversicherung aufgenommen, dafür musst du nichts weiter machen. Eine freiwillige Versicherung kostet im Monat 150,- €.Wenn du gleich anfängst zu arbeiten, zahlt deine Arbeitgeberin für dich den Beitrag. Wenn du erstmal ALG I oder ALG II bekommst (dazu s. u.), zahlt das Amt deinen Beitrag. Auf jeden Fall musst du dich aber drum kümmern, Mitglied zu werden, weil du auch beim Amt eine Mitgliedsbescheinigung vorlegen musst, damit die Kosten übernommen werden.
Schulden
Wenn du erhebliche Schulden hast, ist es ratsam, bereits vor der Entlassung einen Termin bei der Schuldnerinnenberatung oder der Straffälligen- und Bewährungshilfestelle an deinem zukünftigen Wohnort zu vereinbaren. Häufig sind diese Stellen ziemlich überlaufen, deshalb kann es sein, dass du eine Weile warten musst, bis du einen Termin bekommst. Also: Früh drum kümmern! Hier müssen dir die Gruppenleiterinnen dabei helfen, die zuständige Stelle herauszufinden, und dich dort anrufen lassen. Das gehört zur Entlassungsvorbereitung dazu und zu deren Unterstützung sind sie verpflichtet (s. o.). Weiteres zum Thema Schulden s. u.
Arbeit
Wenn du nach der Entlassung eine Arbeit brauchst, eine Umschulung machen willst oder Ähnliches, erkundige dich bei einer Sozialarbeiterin oder Mitgefangenen, ob jemand vom Arbeitsamt zu Beratungsstunden in die Anstalt kommt. In der Regel wird es das in den Knästen geben. Wenn nicht, kannst du diese Beratung im Rahmen deines Entlassungsurlaubs oder bei Ausgängen persönlich aufsuchen. Das solltest du vor deiner Entlassung machen, weil du nach deiner Entlassung, wenn du Arbeit finden willst, viele der oben genannten Papiere brauchst, ohne die die Sachbearbeiterinnen der Jobcenter normalerweise nicht vermitteln. Und wenn du erstmal entlassen bist, ist wahrscheinlich das Letzte, was du willst, zurück zur Anstalt laufen und nach diesen Papieren fragen.
Lockerungen und Urlaub zur Entlassungsvorbereitung:
Auf jeden Fall hast du auch Anspruch auf Lockerungen, um deine Entlassung vorzubereiten. In § 59 Abs. 1 StVollzG NRW heißt es: „Um die Entlassung vorzubereiten, sollen vollzugsöffnende Maßnahmen gewährt werden.“ Problematisch ist, dass es nur eine Soll-Vorschrift ist, die Anstalt also nicht unbedingt verpflichtet ist, dir Lockerungen zu gewähren. Aber wenn du darlegst, dass du raus willst, um bestimmte Maßnahmen für die Zeit nach der Entlassung zu treffen (da könntest du z. B. aufzählen, welche der oben genannten wichtigen Papiere du dir während der Lockerung besorgen willst), wird es schwierig sein, das abzulehnen.
Achtung: Wenn in einem Strafvollzugsgesetz eines anderen Bundeslandes steht, dass vollzugsöffnende Maßnahmen gewährt werden müssen, und du in dem Bundesland inhaftiert bist, argumentiere damit, denn dann kann die Anstalt nichts dagegen machen und muss dir die Lockerung gewähren.
In den letzten drei Monaten vor deiner Entlassung kann dir Langzeitausgang (über die Regelung nach § 54 Abs. 1 StVollzG NRW hinaus) bis zu zehn Tagen gewährt werden, § 59 Abs. 2 StVollzG NRW. Diese zehn Tage kannst du auch bekommen, wenn du den sonstigen Langzeitausgang aus § 54 StVollzG (24 Tage pro Jahr) schon aufgebraucht hast. Voraussetzung dafür ist wieder, dass du etwas für deine Entlassung tun willst.
Auch bei Lockerungen zur Entlassungsvorbereitung gelten die üblichen Gründe, aus denen auch sonst Lockerungen abgelehnt werden dürfen, also z. B. dass angenommen wird, dass du abhaust oder Straftaten begehen wirst. Es ist aber nicht ganz so einfach für die Anstalt, deinen Antrag auf Lockerungen zur Entlassungsvorbereitung abzulehnen, wenn du angibst, dass du bestimmte Dinge erledigen willst, um deine Entlassung vorzubereiten. Es kann sich wirklich lohnen, gegen die Versagung von Lockerungen in so einem Fall vorzugehen!
Die Anstalt soll dich an deinem Entlassungstag „möglichst frühzeitig, jedenfalls noch am Vormittag“ entlassen (§ 60 StVollzG NRW). Wenn dein Entlassungstag auf einen Samstag oder Sonntag oder einen gesetzlichen Feiertag, auf den ersten Werktag nach Ostern oder Pfingsten („Osterdienstag“, „Pfingstdienstag“) fällt, kannst du am vorhergehenden Werktag entlassen werden. Das heißt: Du solltest in jedem Fall einen Antrag darauf stellen. Eine Möglichkeit vorzeitiger Entlassung am vorhergehenden Werktag besteht außerdem auch, wenn dein Entlassungstag „in die Zeit vom 22.12. bis 6.1.“ fällt (sogenannte „Weihnachtsamnestie“). Unabhängig davon kann „bis zu zwei Tage“ vorzeitig entlassen werden, wenn „dringende Gründe dafür vorliegen, dass Gefangene zu ihrer Eingliederung hierauf angewiesen sind“ (§ 60 Abs. 2 StVollzG NRW).
Unmittelbar vor der Entlassung
Unmittelbar vor deiner Entlassung kannst du bei deiner Sozialarbeiterin einen Antrag darauf stellen, dass dir bei der Entlassung ausreichend Kleidung gegeben wird (§ 60 Abs. 6 StVollzG NRW). Wenn du darauf verzichtest, sollte allerdings auch auf dem Haftentlassungsschein nichts davon stehen, dass du Kleidung erhalten hast. Dann hast du es leichter, beim Amt „Kleidergeld“ zu bekommen. Außerdem kannst du einen Reisekostenzuschuss verlangen (§ 60 Abs. 6 StVollzG NRW), der es dir ermöglicht, vom Knast dahin zu kommen, wo du hinwillst. Dafür musst du auch einen Antrag stellen. Es soll dir auch eine Überbrückungsbeihilfe gezahlt werden (§ 60 Abs. 6 StVollzG NRW), sofern du vorübergehend deinen Lebensunterhalt nicht aus eigenen Mitteln bestreiten kannst.
Lass dir von der Sozialarbeiterin auch einen Nachsendeantrag für die Post geben. Für deinen späteren Weg zum Amt kann es sinnvoll sein, dir bereits in der Haft von der Sozialarbeiterin ein Exemplar des Sozialgesetzbuches (SGB) II, SGB III und SGB XII geben zu lassen (zu den jeweiligen Leistungen s. u.). Du kannst dir daraus Wichtiges notieren. Es kann auch zweckmäßig sein, bereits vor der Entlassung einen Schriftsatz für das Amt zu verfassen, den du bereits beim ersten Anlauf dort abgibst. Wie dieses Schriftstück aussehen sollte, kannst du unten im Abschnitt 12.3. nachlesen. Für spätere Schadensersatzklagen kann es nützen, wenn man bereits vor der Entlassung aufschreibt, welche Krankheitssymptome oder Beschwerden man sich in der Haft zugezogen hat, und dieses Papier von der Anstaltsärztin unter dem Satz: „Zur Kenntnis genommen“ unterschreiben lässt. Sofern sie es nicht unterschreiben will, verlangt man ein schriftliches Attest mit ausdrücklichem Bezug auf deine Liste von Beschwerden. Die Liste verpflichtet die Ärztin wenigstens zu einer gewissen Zurückhaltung bei der Verharmlosung deiner Symptome. Genauere Untersuchungen wie Blutsenkung, Laboruntersuchungen anderer Art, EKG, Röntgen usw. sollten auf dem Attest angegeben werden bzw. sollten schon auf deiner Liste erwähnt werden, ebenso die vorherigen Diagnosen der Anstaltsärztin. Was die Justiz kann, kannst du auch: Alles schriftlich festhalten!
12.2. Bei der Entlassung
Du wirst aus der Zelle geholt, wenn du dein Bündel gepackt hast, und wirst zur Kammer geführt. In diesem Bündel hast du alles, was dein Eigen ist. Manches hast du zurückgelassen und es deinen Freundinnen vererbt. Wenn du „über Nacht“ entlassen wirst und du nicht mehr mit ihnen zusammenkommst, kannst du die Sachen, die du ihnen geben willst, auf der Kammer zurücklassen. Du musst allerdings damit rechnen, dass sie diese Sachen nicht so ohne weiteres bekommen. Wenn es zum Beispiel eine Schreibmaschine ist, braucht die Empfängerin eine Genehmigung zum Benutzen einer Schreibmaschine. Bei einem Buch werden die zuständigen Instanzen erst prüfen, ob es mit dem Geist der Betreffenden auch vertraglich ist. Die Schließerinnen geben dir einen Schein zur Unterschrift, worauf vermerkt ist, dass du das und das der und der überlässt. Schreib auf alle Fälle noch einen anderen Namen dazu mit dem Vermerk: „Falls die Sache der Empfängerin, die ich angegeben habe, aus irgendwelchen Gründen nicht ausgehändigt wird, bestimme ich (hier die zweite mögliche Empfängerin) als Eigentümerin der Sache die Person XY“.
Die ersten Stunden dieses Tages verlaufen immer noch drinnen. Auch wenn du verständlicherweise „nur raus“ willst, solltest du versuchen, auf einiges dennoch zu achten: Wenn dir eine Erklärung zur Unterschrift vorgelegt wird, in der du in meist sehr allgemeiner Form bestätigen sollst, dass du gesund bist und keine Schadensersatzansprüche an den Knast hast, brauchst du die nicht zu unterschreiben, solltest du auch grundsätzlich nicht. Sie müssen dich auf jeden Fall rauslassen. Leider wird dieser Schein von sehr vielen Entlassenen unterschrieben, einfach in der Einbildung, sie hätten sonst Schwierigkeiten, müssten sich lange rechtfertigen, oder einfach in der Gewissheit, sowieso keine Rechte und Ansprüche zu haben. In der Kammer: Prüfe, ob du alles auf der Liste, die du unterschreibst, auch wirklich bekommen hast. Versuche, Ansprüche der Anstalt gegen dich, z. B. wegen verschwundenen oder beschädigten Inventars, in Frage zu stellen. Hattest du den fehlenden Gegenstand wirklich bekommen? Oder vielleicht schon vor längerer Zeit wieder abgegeben?
Verlange einen Nachweis deiner im Knast geleisteten versicherungspflichtigen Arbeit (die Arbeitsbescheinigung, die auch oben unter Punkt „Arbeit“ aufgeführt ist). An der Kasse bekommst du dein restliches Hausgeld, restliches Eigengeld und die aus deinen Bezügen gebildete Rücklage ausgezahlt sowie den Reisekostenzuschuss (s. o.). Zuletzt bekommst du deinen Haftentlassungsschein (der auch oben unter „Wichtige Papiere und wofür du sie brauchst“ aufgelistet ist), auf den du gut aufpassen musst. Beschwere dich nicht mit zu viel Gepäck. Alles, was dir jetzt zu schwer ist, kannst du später immer noch holen. Dann schließt die Pforte sich hinter dir und umgekehrt als früher bist du jetzt draußen statt drinnen. Du fühlst dich in einer fremden Welt.
12.3. Nach der Entlassung
Einer der ersten Wege führt zum Jobcenter bzw. zur Agentur für Arbeit, sofern du Sozialleistungen beziehen willst/musst. Es gibt Arbeitslosengeld I (ALG I) und Arbeitslosengeld II (ALG II), außerdem Sozialhilfe nach dem Sozialgesetzbuch, Zwölftes Buch (SGB XII). Während der Haft hast du keinen Anspruch auf diese Leistungen, obwohl du erwerbsfähig bist. Das gilt auch, wenn du arbeiten wolltest und nicht gelassen wurdest. Grundsätzlich haben nämlich vollstationär Untergebrachte keine Ansprüche (§ 7 Abs. 4 SGB II). Als vollstationär untergebracht gelten Menschen in Strafhaft, U-Haft und Maßregelvollzug. Ansprüche können allenfalls für Freigängerinnen und für Menschen bestehen, die weniger als sechs Monate stationär in einer Entziehungsanstalt oder einem Krankenhaus unter Außervollzugsetzung des Haftbefehls oder Zurückstellung der Strafvollstreckung untergebracht sind (§ 7 Abs. 4 SGB II).
ALG I
Für ALG I ist die Agentur für Arbeit zuständig. Die Leistungen richten sich nach dem Sozialgesetzbuch, Drittes Buch (SGB III).
Voraussetzungen: Voraussetzung für den Bezug von ALG I ist erstmal, dass du innerhalb der letzten 24 Monate (Bemessungszeitraum, § 143 SGB III) für mindestens 12 Monate sozialversicherungspflichtig gearbeitet hast. Diese 12 Monate müssen nicht in einem Block liegen, du könntest z. B. in den letzten 24 Monaten sechs Monate gearbeitet haben, dann neun Monate Pause gemacht und danach nochmals sechs Monate gearbeitet haben. Ob du im Knast oder draußen gearbeitet hast, macht hier erstmal keinen Unterschied. Wichtig ist nur, dass die 12 Monate voll sind (ist das nicht der Fall, s. u. zu ALG II). Es zählt jeder Tag, an dem du Arbeitsentgelt oder auch Ausbildungshilfe bekommen hast.
Höhe und Art der Leistung:
1. Du bekommst 60 % des Leistungsentgelts, also 60 % von dem, was du während des Bemessungszeitraums verdient hast. Wenn 1. du ein Kind hast oder 2. deine Ehepartnerin ein Kind hat und du mit deiner Ehepartnerin nicht dauerhaft getrennt lebst und ihr beide unbeschränkt einkommenssteuerpflichtig seid, beträgt das ALG I 67 % des Leistungsentgelts. Nachlesen kannst du das in § 149 SGB III.
2. Du kannst auch bei Bedarf Leistungen aus dem Vermittlungsbudget erhalten. Diese sind:
Wenn du solche Leistungen geltend machen willst, sprich das gleich bei der Arbeitsagentur an.
Was zu tun ist, um ALG I zu beantragen:
1. Du musst dich arbeitssuchend melden, weil sonst die Verhängung einer Sperrzeit droht (s. u. unter „Sperren“). Gemäß § 38 SGB III besteht die Pflicht, sich spätestens drei Monate vor der Beendigung der Beschäftigung, der man gerade nachgeht, arbeitssuchend zu melden. Das gilt nur, wenn du bereits wusstest, dass die Beschäftigung zu dem Zeitpunkt beendet sein würde. Da die Arbeit im Knast im Normalfall mit der Entlassung endet, wird der Beendigungszeitpunkt bekannt sein. Hintergrund dieser Regelung ist, dass die dich am liebsten ohne Übergang in eine neue Arbeit vermitteln wollen, damit du gar nicht erst ALG I bekommen kannst, wenn es so weit ist, dass deine Beschäftigung endet.
Wenn du diese Dreimonatsfrist nicht einhältst, wirst du erstmal mit einer Sperre bestraft, gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 7 SGB III. Das hat zur Folge, dass du für eine Woche kein ALG I bekommst (§ 159 Abs. 6 SGB III). Ausnahmsweise wird keine Sperre verhängt, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, der dich von einer rechtzeitigen Meldung abgehalten hat.
Also: Melde dich spätestens drei Monate vor dem Entlassungstermin arbeitssuchend. Das geht auch schriftlich, wenn später eine persönliche Meldung nachgeholt wird, siehe § 38 Abs. 1 Satz 3 SGB III. Man kann die Meldung auch online auf www.arbeitsagentur.de vornehmen. Wenn du keine Möglichkeit hast, das Internet zu diesem Zweck zu nutzen (du kannst es aber mit dem Hinweis darauf versuchen, dass die Anstalt dazu verpflichtet ist, dir bei den Entlassungsvorbereitungen zu helfen, s. o.), kannst du dich auch schriftlich arbeitssuchend melden und darauf hinweisen, dass du im Knast bist. Wenn du das gemacht hat, wird sich die Arbeitsagentur mit dir in Verbindung setzen, um einen Termin zur persönlichen Meldung abzumachen. Das läuft dann über deine Abteilung.
2. Du musst dich arbeitslos melden gemäß § 141 SGB III. Diese Meldung muss persönlich erfolgen, schriftlich geht es nicht. Du musst also zur Agentur für Arbeit gehen. In manchen Knästen gibt es eine Zweigstelle der Agentur für Arbeit, so dass du die Arbeitslosmeldung vor Ort vornehmen kannst. Im Normalfall musst du dafür aber raus. Die Anstalt ist verpflichtet, dir bei den Entlassungsvorbereitungen behilflich zu sein bzw. dir dafür Lockerungen zu gewähren (s. o.). Bestehe darauf. Spätestens sobald du rauskommst, solltest du dich arbeitslos melden. Also am besten sofort am nächsten Tag (es sei denn, dein Überbrückungsgeld ist höher als dein monatlicher Bedarf, s. u. „Anrechnung von Überbrückungsgeld“). Wenn es länger dauert, kann es sein, dass du viel Geld verlierst. Die Arbeitslosmeldung ist eine Voraussetzung dafür, dass du Geld bekommst. Möglich ist auch, die Arbeitslosmeldung, schon drei Monate bevor die Arbeitslosigkeit eintritt (also drei Monate vor der Entlassung), vorzunehmen. Also wenn du gerade Freigang hast, kannst du auch das schon erledigen.
Papiere, die du vorlegen musst:
Lass dich nicht entmutigen, wenn dir davon etwas fehlt. Stelle auf jeden Fall den Antrag, fehlende Unterlagen kann man nachreichen.
Sperren: In § 159 Abs. 1 SGB III stehen – über die verspätete Arbeitssuchendmeldung hinaus – noch mehr Gründe, aus denen du durch eine Sperre der Leistungen bestraft werden kannst, z. B. wenn dir ein Job angeboten wird und du ihn ablehnst, wenn du das Zustandekommen eines Vorstellungsgesprächs durch eigenes Verhalten verhinderst, wenn du Eigenbemühungen, die du leisten musst (aufgrund der Eingliederungsvereinbarung, s. u.), nicht erbringst usw. usw.
Die Folge ist dann, dass dir ALG I gestrichen wird für eine Zeitspanne, die in § 159 Abs. 3 bis 6 SGB III genannt ist. Die Zeitspannen sind je nach Art des Verstoßes unterschiedlich lang. Wenn du z. B. deinen Job selbst kündigst, kann sie bis zu 12 Wochen lang sein.
Die Sperren werden nicht verhängt, wenn du einen wichtigen Grund hast, z. B. wenn du krank warst oder wenn du keinen Ausgang bekommen hast, um z. B. zu einem Vorstellungsgespräch zu gehen. Fällt dir ein solcher Grund ein, leg auf jeden Fall Widerspruch gegen den Bescheid ein, der sagt, dass dir eine Sperre auferlegt wird, und begründe ihn damit, dass ein wichtiger Grund vorlag.
Dauer der ALG-I-Leistungen: Die Dauer der Leistungen richtet sich nach § 147 SGB III. Wie lange du ALG I bekommen kannst, ist von der Dauer der vorherigen Beschäftigung und von deinem Alter abhängig. In der Regel ist ein Bezug von einem Jahr das Maximum. In § 147 SGB III ist allerdings von sechs bis 24 Monaten die Rede. Bis zu 24 Monate können Personen, die älter als 50 Jahre sind, gestaffelt nach Alter, ALG I erhalten.
Für ALG II ist das Jobcenter zuständig.
Voraussetzungen: ALG II erhält, wer
Hilfebedürftig bist du, wenn du den eigenen Unterhaltsbedarf nicht aus eigenen Mitteln sichern kannst. Wenn du arbeitest, wird dein Einkommen (Nettoeinkommen) auf deinen ALG-II-Anspruch angerechnet, also deine Leistungen werden um den Betrag gekürzt. Ausgenommen davon sind 100,- €. So viel darfst du anrechnungsfrei verdienen, das wird also nicht abgezogen. Alles, was darüber liegt, wird in Stufen abgezogen. Also z. B. bei einem Verdienst von 101,- € bis 1.000,- € verbleiben dir 20 %, die nicht von deinem ALG-II-Anspruch abgezogen werden.
Es darf auch keine Person, mit der du in einer Bedarfsgemeinschaft lebst, in der Lage sein, deinen Bedarf mit abzudecken. Also falls du in einer Partnerschaft lebst, kann es sein, dass Einkünfte deiner Partnerin dazu führen, dass du nicht mehr als hilfebedürftig giltst, also kein ALG II bekommst. Hilfebedürftigkeit ist auch dann nicht gegeben, wenn du eine zumutbare Arbeit annehmen könntest.
Lebst du in einer Bedarfsgemeinschaft, werden die Bedarfe aller Mitglieder dieser Bedarfsgemeinschaft zusammengerechnet. Dann wird das gesamte anzurechnende Einkommen (Lohn, Kindergeld, Unterhalt usw.) abgezogen und das, was übrig bleibt, wird als Bedarf ausgezahlt.
Höhe und Art der Leistungen: ALG II beinhaltet
Was zu tun ist, um ALG II zu beantragen: Du musst einen Antrag stellen. Dafür gibt es Vordrucke, aber man ist nicht verpflichtet, diese zu benutzen. Es reicht aus, einfach selbst zu formulieren, dass man ALG II bekommen möchte. Dafür musst du nicht persönlich zum Jobcenter, du kannst den Antrag auch schicken oder faxen. Es ist wichtig, dass du später nachweisen kannst, dass und wann du den Antrag gestellt hast.
Es gilt das Monatsprinzip. Das bedeutet, dass du für den gesamten Monat Geld bekommst, in dem du den Antrag stellst. Wenn du also am 31.10. den Antrag stellst, bekommst du für den ganzen Monat Oktober Geld. Also macht es einen großen Unterschied, ob du am 31.10. oder am 01.11. den Antrag stellst.
Du wirst nach der Antragstellung aufgefordert, weitere Unterlagen usw. einzureichen und auch zu einem persönlichen Gespräch zu kommen. In dem Gespräch wird im Normalfall auch die Eingliederungsvereinbarung erstellt.
Aufstocken: Wer gerade aus dem Knast kommt, hat in der Regel für einen Hungerlohn gearbeitet, und daher wird es oft so sein, dass 60 % vom Lohn der letzten 24 Monate weniger sind als ALG II (wenn man z. B. 350,- € Miete rechnet plus 150,- € Krankenversicherung plus 399,- €, dann kommen knapp 900,- € dabei raus). In diesem Fall kannst du neben ALG I auch noch ALG II bekommen, das nennt sich „aufstocken“. Es wird also dein errechneter ALG-I-Satz um den Betrag erhöht, der fehlt, um auf dem Niveau von ALG II zu sein.
Beim Aufstocken musst du also erst zur Agentur für Arbeit wegen ALG I und dann zum Jobcenter wegen ALG II. Von der Arbeitsagentur bekommst du ALG I, und das Jobcenter zahlt das drauf, was fehlt, um auf den normalen ALG-II-Satz zu kommen. Du bist also mit beiden Stellen in Kontakt.
Zur Reihenfolge, in der du die beiden Stellen abklapperst: Es ist theoretisch möglich, dass du zu beiden Stellen am selben Tag gehst und jeweils deinen Antrag stellst. Beim ALG I gibt es für jeden Tag, den du früher den Antrag stellst, Geld. Deshalb lohnt sich die frühe Antragstellung. Beim ALG II macht es dagegen keinen Unterschied, ob du einen Tag früher oder später den Antrag stellst, solange nicht ein neuer Monat anbricht. Besonders ärgerlich ist also, wenn du den Monatswechsel verpasst, ohne vorher deinen Antrag gestellt zu haben. Fällt jetzt aber deine Entlassung in den Anfang eines Monats, kannst du ruhig erstmal ALG I beantragen und später – aber vor Monatswechsel!! – ALG II.
Eingliederungsvereinbarung, § 15 SGB II (bei ALG II) oder § 37 SGB III (bei ALG I): Wenn du zum Jobcenter oder zur Agentur für Arbeit gehst, wird deine Sachbearbeiterin von dir verlangen, dass du eine Eingliederungsvereinbarung unterschreibst. Die beinhaltet deine Verpflichtungen und deine Ansprüche. Vor allem wirst du verpflichtet, dir einen Job zu suchen. Es ist sehr unterschiedlich, wie viele Bewerbungen pro Monat von dir verlangt werden. Versuche die Zahl immer nach unten zu drücken. Da Bewerbungskosten nicht in deinem Regelsatz enthalten sind und sie dir zusätzlich nur so viel Geld gewähren, um maximal 6,7 Bewerbungen abzuschicken, solltest du dich nicht zu mehr überreden lassen. Sicher ist, dass man sich an das halten sollte, was man in der Eingliederungsvereinbarung unterschrieben hat, denn dann ist man mit denen einen Vertrag eingegangen. Also: Vorher versuchen, die Anzahl der Bewerbungen zu reduzieren. Überleg dir vorher, was für dich möglich ist. Wenn du es nämlich nicht schaffst, so viele Bewerbungen zu schreiben, wie du laut Eingliederungsvereinbarung schaffen musst, wird dein ALG II gekürzt (bzw. bekommst du eine Sperrzeit bei ALG I).
Wenn du verschuldet bist und bereits angefangen hast, einen Plan für eine Schuldenregulierung (z. B. mit Hilfe einer Schuldnerinnenberatungsstelle) aufzustellen, achte darauf, dass in der Eingliederungsvereinbarung die Schuldenregulierung aufgenommen wird. Das Gute daran ist, dass dann die Kosten einer Schuldnerinnenberatung – inkl. einer Privatinsolvenz – als Leistung der Eingliederung durch das Jobcenter übernommen werden können (§ 16a SGB II).
Bei Aufstockerinnen: Es zählen an sich beide Eingliederungsvereinbarungen. Jedoch kannst du beim Jobcenter darauf hinweisen, dass du schon eine Eingliederungsvereinbarung beim Arbeitsamt unterschrieben hast (Kopie mitbringen). Normalerweise lassen sie dich dann in Ruhe.
Minderung von ALG II: Wenn man als erwerbsfähige Leistungsberechtigte Pflichtverletzungen begeht, wird man durch Kürzungen des ALG-II-Satzes bestraft. Was eine Pflichtverletzung ist, steht in § 31 SGB II. Darunter fallen z. B. das Nichtbefolgen von den in der Eingliederungsvereinbarung festgelegten Pflichten (Bewerbungen schreiben), das Nichtannehmen eines „zumutbaren“ Jobs (für zumutbar wird leider vieles gehalten, man kann aber versuchen, mit dem Argument der Unzumutbarkeit gegen die Pflicht, einen bestimmten Job anzunehmen, anzugehen), das Verweigern einer „zumutbaren“ Maßnahme (es kann sein, dass man Maßnahmen, wie z. B. ein Bewerbungstraining o. Ä., aufgedrückt bekommt), die Verminderung des Einkommens oder Vermögens in der Absicht, ALG-II-Leistungen zu bekommen usw.
Um wie viel die Leistungen gekürzt werden, steht in § 31a SGB II: Bei der ersten Pflichtverletzung wird um 30 % gemindert, bei einer Wiederholung wird um 60 % gemindert, bei jeder weiteren wiederholten Pflichtverletzung wird komplett gestrichen. Wenn um mehr als um 30 % gemindert wird, hat man Anspruch auf Sachleistungen in Form von Einkaufsgutscheinen u. Ä., damit man nicht verhungert. Wichtig ist, dass eine Wiederholung nur dann zu einer Kürzung von mehr als 30 % führen kann, wenn beim ersten Mal auch gekürzt wurde. Es kann also nicht passieren, dass die Pflichtverletzungen gesammelt werden und man plötzlich gar nichts mehr bekommt (vgl. § 31a Abs. 1 Satz 4 SGB II). Und wenn der letzte Zeitraum, in dem gekürzt wurde, länger als ein Jahr her ist, kann es nicht zu einer wiederholten Pflichtverletzung kommen, sondern dann geht es wieder von vorne los. Also: Wenn man einmal im Jahr eine Pflichtverletzung i. S. v. § 31 SGB II begeht, wird nicht um mehr als um 30 % gekürzt.
Die Dauer der Minderung beträgt drei Monate (§ 31b SGB II). Bei unter 25-Jährigen kann diese Zeit auf bis zu sechs Wochen verkürzt werden. „Kann“ bedeutet: muss nicht. Daraus lässt sich schließen, dass es keinerlei Spielraum zur Entscheidung gibt, was die Menschen angeht, die 25 Jahre oder älter sind. Dort kann die Minderung nicht verkürzt werden, es bleibt immer bei den drei Monaten. Es gibt während der Zeit der Minderung keinen Anspruch auf Sozialhilfe nach SGB XII. Zusätzlich zu der Minderung kann nochmal um 10 % gemindert werden, wenn du dich nicht beim Jobcenter meldest (Meldeversäumnis, § 32 SGB II), obwohl die dich dazu auffordern. Das gilt nicht, wenn du einen wichtigen Grund dafür hast. Also diese 10 % können auf eine Minderung nach § 31a SGB draufgeschlagen werden.
Anrechnung von Vermögen: Wenn du Geld auf irgendeinem Konto hast, das auf deinen Namen läuft, kann es sein, dass du deshalb keinen Anspruch auf ALG II hast. Du bist nämlich erstmal dazu verpflichtet, alles Geld, was du hast, aufzubrauchen, bevor du Leistungen erhältst. Ein bisschen Vermögen schadet aber nicht: Für jedes Lebensjahr hast du 150,- € Freibetrag, mindestens aber 3.100 € insgesamt. Also so viel darfst du haben und dennoch ALG II beziehen, vgl. § 12 SGB II.
Anrechnung von Überbrückungsgeld: Wenn du entlassen wirst, bekommst du Entlassungsgeld, das du über deine Haftzeit gezwungenermaßen „angespart“ hast. Wenn du nach deiner Entlassung ALG II beantragen willst, war es bisher so, dass dieses Entlassungsgeld gemäß § 11 Abs. 3 SGB II voll auf deinen ALG-II-Anspruch angerechnet wurde. Das bedeutet, dass dir das ALG II um das gekürzt wurde, was du als Entlassungsgeld bekommen hast. Inzwischen soll die Rechtslage mit dem 9. SGB-II-Änderungsgesetz dahingehend verändert werden, dass nun das Überbrückungsgeld nicht als Einkommen zu berücksichtigen ist, soweit es deinen Bedarf für 28 Tage nicht übersteigt. Das wird der neue § 11a Abs. 6 SGB II sein. Das klingt kompliziert. Ist es auch.
Aus diesem Grund kann nicht pauschal dazu Rat erteilt werden, ob es sinnvoll ist, erst im Monat auf die Entlassung ALG II zu beantragen oder noch im selben Monat. Das kommt auf zu viele einzelne Faktoren an, nämlich auf die Höhe deines Entlassungsgeldes und auf die Höhe deines monatlichen Bedarfes (also wie viel Geld du im Monat brauchst) nach der Entlassung. Es ist daher unbedingt zu empfehlen, dass du dich hierzu individuell beraten lässt, damit du so viel Geld wie möglich zur Verfügung hast, nachdem du entlassen wurdest.
Durch diese dargestellte Neuerung im SGB II hat sich die Rechtslage jedenfalls für dich etwas verbessert. Deshalb weise die Beratungsstelle darauf hin, dass es diese Änderung gegeben hast. Wahrscheinlich werden die das wissen, aber ein Hinweis von deiner Seite schadet nichts, und so bist du dir sicher, dass du nichts „liegenlässt“, was dir eigentlich zusteht.
In jedem Fall solltest du eine Beratungsstelle aufsuchen, bevor du entlassen wirst. Da gibt es z. B. die AG TuWas zum ALG II, die kostenlose Beratung anbietet (www.agtuwas.de). Unter der Adresse gibt es auch einen ganzen Ratgeber zu ALG II, in dem z. B. nochmal die Höhe der Leistungen genau aufgelistet sind. Auch gut ist der Verein Tacheles unter www.tacheles-sozialhilfe.de.
Wenn du nicht erwerbsfähig bist, hast du Anspruch auf Sozialhilfe. Als erwerbsfähig giltst du, wenn du mindestens drei Stunden am Tag arbeiten kannst. Der Regelsatz ist der gleiche wie bei ALG II.
Allerdings ist Sozialhilfe schlechter für dich als ALG II, wenn du Vermögen hast, denn im ALG II ist Anrechnung für Leute mit Vermögen günstiger (§ 90 SGB XII und § 12 SGB II).
Häufig haben die Menschen, die aus dem Knast entlassen werden, Schulden, z. B. durch Verfahrenskosten, Schmerzensgeldansprüche u. Ä. oder aufgrund von Problemen, die vor der Inhaftierung bereits entstanden sind.
Wenn die Schulden noch überschaubar sind und du meinst, dass du das selbst in den Griff bekommen kannst, verschaffe dir erstmal einen genauen Überblick, wem du wie viel schuldest. Als Nächstes überprüfe, ob du einzelne kleinere Forderungen begleichen kannst, damit sich die Anzahl der Gläubigerinnen reduziert. Wenn du gar kein Geld hast, kannst du den Gläubigerinnen erstmal mitteilen, dass du kein pfändbares Einkommen hast, und sie um Aufschub für die Zahlung bitten. Teilweise wird geraten, dass du um die Möglichkeit bittest, alles in kleinen Raten zu zahlen. Dabei musst du aber aufpassen, dass keine Zinsen auf die Forderungen draufgeschlagen werden, denn sonst bist du irgendwann in der Situation, dass du die ganze Zeit nur Zinsen begleichst und an die eigentliche Forderung gar nicht herankommst. Die schlechteste Lösung ist, die Forderungen einfach zu ignorieren.
Wenn der Schuldenberg so groß ist, dass du keinen Überblick mehr hast oder der Weg in die Privatinsolvenz ansteht, brauchst du Hilfe. Ein Blick in diese Broschüren kann weiterhelfen:
Es gibt in diesen Ratgebern konkrete Beispiele, und es ist dir möglich, dich schon mal selbst zu informieren und dann auf Augenhöhe mit den Leuten von der Schuldnerinnenberatung zu sprechen. In vielen Bundesländern gibt es Resozialisierungsfonds, aus denen finanzielle Unterstützung zur Schuldentilgung geleistet wird, die entsprechenden Adressen findest du im Anhang. Dafür musst du einen Antrag stellen. Später musst du die Unterstützung in Raten zurückzahlen, aber das Gute daran ist, dass du erstmal die anderen Gläubigerinnen loswerden kannst und dann nur noch an den Fonds zurückzahlst. Es ist also alles übersichtlicher und auf jeden Fall insgesamt günstiger (Zinsen!).
Wichtig ist, dass du schon vor deiner Entlassung anfängst, dich um das Thema Schulden zu kümmern (s. o.).
Während der Haft:
Jede, die einem sozialversicherungspflichtigen Job nachgegangen ist, hat schon Rentenbeiträge eingezahlt (die Arbeitgeberin hat das vom Lohn abgezogen und an die Deutsche Rentenversicherung, DRV, überwiesen). Es ist möglich, freiwillig – auch wenn man im Knast einem Job nachgeht, bei dem man nicht automatisch in die Rentenversicherung einzahlt – in die DRV einzuzahlen. Das könnte sich bei denen lohnen, die bereits lange in die DRV eingezahlt haben und bei Fortzahlungen eine nächste Stufe erreichen können, auf der sie später eine sehr viel höhere Rente bekommen könnten, als wenn sie kurz vor Erreichen dieser Stufe aufhören einzuzahlen. Wenn das bei dir der Fall sein könnte, wende dich an die Deutsche Rentenversicherung Bund, 10704 Berlin, kostenlose Telefonnummer: 0800-100048070.
Nach der Entlassung kann es sein, dass du mit der Führungsaufsicht – u. U. kombiniert mit einer elektronischen Fußfessel – konfrontiert bist.
Die Führungsaufsicht ist juristisch gesehen eine „Maßregel der Besserung und Sicherung“, d. h., es geht nicht um eine Bestrafung für die begangene Straftat, sondern es sollen hierdurch weitere Straftaten in der Zukunft verhindert werden (bzw. das Risiko verringert werden). Es handelt sich im internationalen Vergleich um eine sehr deutsche Regelung – ähnliche Ansätze gibt es teilweise aber auch in England/Wales („Prevention Order“ bei Sexualdelikten und anderen schweren Straftaten). Praktisch bedeutet die FA, dass man der Aufsicht der Führungsaufsichtsstelle unterstellt und eine Bewährungshelferin bestellt wird. Auch können verschiedene Weisungen (s. u.) erteilt werden.
Die gesetzlichen Regelungen finden sich in den §§ 68ff. StGB. Damit untersteht die FA der Kompetenz des Bundesgesetzgebers. Den Bundesländern steht somit keine eigene Gesetzgebungskompetenz zu, jedoch kann sich die Art der Anwendung regional stark unterscheiden, nicht nur von Bundesland zu Bundesland, sondern auch zwischen den Gerichtsbezirken.
Es gibt im Wesentlichen drei Anwendungsgebiete bei der Führungsaufsicht:
Die Führungsaufsicht kann auch gegenüber Jugendlichen angeordnet werden (§ 7 JGG). Auch der im Einigungsvertrag noch vorgesehene Ausschluss der Anwendbarkeit auf Taten aus DDR-Zeiten (Art. 315 Abs. 1 Satz 2, 3 EGStGBalt) wurde 2007 gestrichen. Beim Umfang der Weisungen und der Anordnungsbefugnis ist zwischen den verschiedenen Anwendungsgebieten der FA zu unterscheiden. Bei der Führungsaufsicht neben der Strafe (oben Nr. 1) entscheidet das verurteilende Gericht, kann aber nachträgliche Entscheidungen, insbesondere bezüglich Dauer und Weisungen, an das Gericht des Wohnsitzes oder die Strafvollstreckungskammer abgeben. In den übrigen Fällen tritt die Führungsaufsicht kraft Gesetzes ein. Über den Umfang der Weisungen entscheidet dann die Strafvollstreckungskammer.
Das Gericht kann eine Dauer zwischen zwei und fünf Jahren festlegen. Es kann aber auch eine unbefristete Dauer anordnen, wenn die Betroffene in eine Weisung nicht einwilligt, nach der sie sich einer Heilbehandlung mit körperlichem Eingriff oder einer Entziehungskur zu unterziehen hätte bzw. einer (allgemeineren) Therapieweisung nicht nachkommt und die Gefahr erheblicher Straftaten besteht. Darüber hinaus kann eine unbefristete Führungsaufsicht auch bei Entlassungen aus der Forensik erfolgen, wenn Gründe für die Annahme bestehen, dass andernfalls wieder Situationen der §§ 20, 21 StGB (fehlende oder verminderte Schuldfähigkeit) entstehen könnten und weitere erhebliche Straftaten drohen. Zudem kann die unbefristete Führungsaufsicht bei Verurteilungen wegen Sexualstraftaten von mehr als zwei Jahren (bzw. der Unterbringung in der Forensik) und aufgrund von Weisungsverstößen verhängt werden.
Nicht mitgerechnet werden hierbei Zeiten einer behördlich angeordneten Unterbringung (Haft, Maßregel oder Unterbringung nach PsychKG). Die Fristen der Führungsaufsicht laufen allerdings bei freiwilligen Aufenthalten (auch wenn sie Teil der Weisung sind), bei § 35 BtMG oder bei Unterbringungen durch die Betreuerin (Letzteres ist zum Teil umstritten).
§ 68c StGB enthält einen großen Katalog möglicher Weisungen: einen bestimmten Bereich nicht zu verlassen bzw. sich nicht an bestimmte Orte zu begeben; keinen Kontakt zu bestimmten Personen zu unterhalten; Tätigkeiten nicht auszuüben; Gegenstände nicht zu besitzen; Kraftfahrzeuge nicht zu fahren oder zu halten; sich zu bestimmten Zeiten bei der Bewährungshelferin zu melden; Wohnungs- und Arbeitswechsel zu melden; bei Arbeitslosigkeit sich bei der Agentur für Arbeit oder anderen hierfür vorgesehenen Institutionen zu melden; keine alkoholischen oder berauschenden Mittel zu sich zu nehmen; sich zu bestimmten Zeiten bei einer Ärztin, Psychologin oder der forensischen Ambulanz vorzustellen; sowie die Kontrolle durch eine „elektronische Fußfessel“. Das Gericht kann sich auch weitere Weisungen überlegen, jedoch sind dann Verstöße gegen diese nicht strafbar (s. u.). Die Unterstellung unter eine Bewährungshelferin ist bereits gesetzlich vorgeschrieben, ebenso die Kontrolle durch die Führungsaufsichtsstelle.
In allen Fällen ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten.
Besonderheiten gibt es beispielsweise bei einer Therapieweisung: Es kann nur der Kontakt zur Therapeutin angewiesen werden. Insbesondere Maßnahmen, die mit einem körperlichen Eingriff verbunden sind, sind nur mit Zustimmung der Betroffenen zulässig. Auch kann eine Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht nicht mit einer Weisung erzwungen werden. Allerdings droht bei Nichtzustimmung zu einer solchen Weisung die unbefristete FA.
Bezüglich der „elektronischen Fußfessel“ s. u.
Verstöße gegen Weisungen können verschiedene Folgen haben. Bei einer Entlassung aus der Forensik zur Bewährung kann diese aufgrund der Weisungsverstöße widerrufen werden – bzw. die befristete Wiederinvollzugsetzung (§ 67h StGB) erfolgen, es droht also die Fortsetzung der Maßregel. In den anderen Fällen stellt der Verstoß gegen Weisungen eine Straftat dar, wenn hierdurch der Zweck der Maßregel gefährdet wird, die mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft werden kann (§ 145a StGB).
Eine Strafverfolgung wegen eines Weisungsverstoßes wird jedoch nur auf Antrag der zuständigen Führungsaufsichtsstelle verfolgt (§ 145a StGB).
Mit § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 StGB wurde 2011 bei der Führungsaufsicht die elektronische Fußfessel eingeführt. Es besteht die Verpflichtung, elektronische Geräte zur GPS-Ortung dauerhaft am Körper betriebsbereit zu halten und nicht zu manipulieren.
Bezüglich der Anordnung sind höhere Voraussetzungen als bei der Führungsaufsicht im Allgemeinen zu beachten. § 68b Abs. 1 Satz 2 StGB setzt voraus, dass die Vollverbüßung einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren oder die Erledigung einer Maßregel vorliegt. Zudem wird die Verurteilung/Unterbringung aufgrund einer Tat aus dem Katalog von § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB vorausgesetzt (Taten, die sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richten) oder einer Tat, die unter den 1. (Angriffskrieg/Hochverrat usw.), 7. (Landfriedensbruch, kriminelle bzw. terroristische Vereinigung usw.), 20. (Raub/Erpressung) oder 28. (Brandstiftung/Kernexplosion usw.) Abschnitt des Besonderen Teils des StGBs oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist; die Gefahr der Begehung solcher Taten besteht und die Weisung erforderlich erscheint, um die Person durch die Überwachung von solchen Taten abzuhalten.
Die elektronische Fußfessel dient dabei der Überwachung von zuvor festgelegten Gebots- oder Verbotszonen, d. h. Weisungen, sich (teilweise auch zu bestimmten Zeiten) an bestimmten Orten aufzuhalten bzw. sich von ihnen fernzuhalten. Die elektronische Fußfessel sendet GPS-Daten rund um die Uhr an eine dauerhaft besetzte zentrale Einrichtung aller Bundesländer (noch sind nicht alle erforderlichen Staatsverträge der Länder gezeichnet) in Hessen. Sobald sich die Person einer definierten örtlichen (Gebots- oder Verbots-)Zonengrenze nähert, wird in der Zentrale eine Meldung ausgelöst. Die Mitarbeiterinnen nehmen sodann Kontakt mit der Person, der örtlichen Führungsaufsichtsstelle / der Bewährungshelferin oder der örtlichen Polizei auf, wobei zu bedenken ist, dass außerhalb der üblichen Bürozeiten bereits institutionell nur noch die Polizei erreichbar sein wird. Die bisherigen praktischen Erfahrungen aus der Anfangszeit (2012) zeigen, dass es sich bei den Meldungen zu ca. 90 % um Fehlermeldungen (insbesondere durch zu niedrigen Akkustand) handelte. Dabei handelte es sich täglich um etwa 50-70 Meldungen bei nur 13 überwachten Personen.
Die Überwachung ist total und bis auf wenige Meter genau, einzig unüberwacht soll der genaue Aufenthalt innerhalb der Wohnung der Person bleiben, d. h. in welchen Räumen sich die Person wie lange aufhält. Aufgrund der Daten können aber beispielsweise Besuche bei Therapeutinnen, Abgeordneten oder Rechtsanwältinnen nachvollzogen werden. Die Aufenthaltsdaten (und solche über Störungen bei der Datenerhebung) sind nach zwei Monaten zu löschen, es sei denn, sie werden z. B. wegen eines Weisungsverstoßes oder strafrechtlicher Ermittlungen benötigt (§ 463a StPO). Gerade auch aufgrund der Kurzfristigkeit der Datenspeicherung können bei Ermittlungsbehörden Begehrlichkeiten entstehen, bei schweren Straftaten ohne konkrete Tatverdächtige die Aufenthaltsdaten der überwachten Personen (bundesländerübergreifend) erst einmal abzufragen und zu speichern.
Die gegebenen datenschutzrechtlichen Probleme (Stichwort: Totalüberwachung) wie auch die möglicherweise diskriminierende Wirkung einer Fußfessel (bei engen persönlichen Kontakten lässt sich die Fußfessel nicht verbergen) werden wohl erst vom Bundesverfassungsgericht geklärt werden – zumindest eine Klage ist dort derzeit anhängig (BVerfG 2 BvR 916/11). Die bisherigen (wenigen) gerichtlichen Entscheidungen haben bisher keine grundsätzlichen Probleme gesehen (vgl. OLG Hamburg, 2 Ws 83/11 vom 06.10.2011; OLG Rostock, I Ws 62/11 vom 28.03.2011; letzteres Verfahren ist nunmehr beim BVerfG anhängig).
Man wird aber auch im Einzelfall bereits jetzt auf die konkreten vom Gericht festgelegten Gebots- und Verbotszonen achten müssen, da beispielsweise ein Verbot, sich auf ca. 100 Meter Spielplätzen, Kindergärten und Schulen zu nähern, dazu führen würde, dass man sich in einer Stadt gar nicht mehr bewegen könnte.
Zu unterscheiden ist diese Weisung von den vorherigen Projekten in Baden-Württemberg und Hessen, wo Personen „freiwillig“ zur Vermeidung von Haft der Kontrolle durch eine elektronische Fußfessel zustimmten. Zum einen handelte es sich hier um eine andere Zielrichtung, zum anderen erfolgte (und erfolgt) gerade keine Totalüberwachung, da es sich nicht um GPS-Sender handelt. Vielmehr kann in diesen Fällen über eine Telefonleitung aus der Ferne nur festgestellt werden, ob die Person sich zum (vorher grob bestimmten) Zeitpunkt des Anrufs in der Nähe genau dieses Telefons befindet.
12.6. Drogenabhängige, die entlassen
werden
Wenn du drogenabhängig aus dem Knast kommst, ist besondere Vorsicht geboten. Lies dazu → Kapitel 14.4. am Ende.