I. Alltag

1.
Die Festnahme

Von der Polizei festgenommen zu werden, ist ein Schock, der den ganzen Körper durchläuft. Niemand kann dabei ruhig bleiben, denn es geschieht meist zu plötzlich, als dass man sich darauf vorbereiten könnte, und es ist für ein Schicksal zu einschneidend, als dass man es gleichgültig hinnehmen könnte. Auch dieses „Spiel“ hat aber Regeln, die man kennen sollte, um nicht den Kopf zu verlieren, wenn es so weit ist.

Der Beginn des Wegs in den Knast ist fast immer die Festnahme. Im Grunde gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder es besteht schon ein Haftbefehl gegen dich, der durch die Festnahme vollstreckt wird, oder es handelt sich um eine vorläufige Festnahme, so dass du – bei entsprechender Schwere des Vorwurfs gegen dich – einer Haftrichterin zum Erlass eines Haftbefehls vorgeführt wirst.

1.1. Der unmittelbare Zugriff

Bestehe von Beginn der Festnahme an darauf, dass du eine Anwältin deines Vertrauens verständigen kannst oder sie benachrichtigt wird. Man sollte deshalb immer wenigstens eine Telefonnummer eingespeichert haben. In der Regel lassen sie dich aber nicht mehr telefonieren, sondern nehmen dir dein Handy weg und schalten es aus oder lassen es von dir ausschalten. Dann ist es wichtig, eine Anwältinnennummer auswendig zu kennen oder auf einem Zettel dabeizuhaben, da man erstmal nicht mehr an sein Handy rankommen wird. Falls diese Situation eintritt und du ohne Telefonnummer einer Anwältin deiner Wahl dastehst, kannst du verlangen, dass diese Anwältin von der Polizei kontaktiert wird, nenne also ihren Namen und bestehe darauf, dass die Polizei ihre Nummer ausfindig macht.

Falls sie dir schon jetzt Fragen stellen:

Die einzige Aussage, zu der du verpflichtet bist, sind die Angaben zur Person. Dazu gehören Name, Geburtsdatum und -ort, Beruf, Familienstand und Staatsangehörigkeit. Mehr nicht! Wo du arbeitest, mit wem du zusammenwohnst und wie viel du verdienst, von wo du gerade kommst und wohin du gerade gehst, geht sie nichts an und du kannst diese Sachen beruhigt und rechtmäßig verschweigen! Spätestens jetzt wirst du dich über deinen eigenen Leichtsinn ärgern, wenn du in deinem Smartphone Kalender führst und Telefonnummern sämtlicher Freundinnen eingespeichert hast. Auch dann, wenn du Codes eingebaut hast: Die zu entschlüsseln ist für die Kripo Routine. An die Daten kommen sie auch ran, wenn dein Handy ausgeschaltet ist.

Frag du dann die Polizistinnen nach Namen, Dienstgrad und Nummer, damit du später bei Zeuginnenaussagen usw. noch weißt, wer das war, mit dem du bei der Festnahme zu tun hattest. In Berlin besteht mittlerweile sogar eine Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamtinnen, d. h., sie müssen entweder ihren Namen oder eine individuelle fünfstellige Nummer gut sichtbar auf der Uniform tragen. Die solltest du dir merken. Oft haben sie auch so eine Art „Visitenkarten“ dabei, die sie dir aushändigen können.

Dann frag nach dem Vorwurf, der dir gemacht wird. Sag aber nichts, wenn du keine oder eine blöde Antwort bekommst. Wenn du etwa anfängst: „Ich war doch die ganze Zeit arbeiten und gestern Abend in der Kneipe X, was soll da passiert sein?“, können sie oder die Staatsanwaltschaft oder das Gericht später mit tausend Sachen kommen wie: „Sie gehen wohl häufiger in die Kneipe X. Kennen Sie da jemanden, wahrscheinlich doch den Y, oder?“ Und denke immer daran: Du bist nervös, fühlst dich allein, bist vielleicht überrascht, möchtest raus aus dieser Situation und sagst dann vielleicht Sachen, die dich für Jahre in den Knast bringen können – vielleicht so ganz nebenbei durch ein Gespräch im Polizeiwagen. Versuche die ganze Zeit so ruhig zu wirken, dass neben „kein Wort sagen“ auch dein übriges Verhalten keine Anhaltspunkte über dich liefert: nicht sehen lassen, dass du Angst hast, nervös bist, vom Rauchen oder von Drogen abhängig. Das sind alles Reaktionen, die sie dann gegen dich einsetzen können. Widerstandshandlungen jeder Art (also auch Anrempeln oder Beschimpfungen) werden dir in dieser Situation Anzeigen einhandeln (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Körperverletzung oder Beleidigung). Allerdings bist du vor solchen Anzeigen auch dann nicht sicher, wenn du dich zurückhältst.Zusammengefasst: Unmittelbar bei der Festnahme machst du grundsätzlich gar nichts, zumindest nicht aktiv – wenn du nicht abhauen kannst oder willst, wartest du ab, was passiert. Es ist besser abzuwarten, als am Anfang gleich etwas Falsches zu machen. Gleichzeitig aber versuchst du, alles genau zu beobachten und zu behalten und, wenn es möglich ist, zu notieren, was gesagt und getan wird. Stell dir in Gedanken vor, dass du jetzt mit Freundinnen zusammen bist und ihnen den Vorfall genau schilderst. Vor allem merke dir die Namen und den Dienstgrad der Beamtinnen.

1.2. Die polizeiliche Vernehmung

Nach der Festnahme findet nun das polizeiliche Verhör auf dem Revier statt. Dabei musst du dir unbedingt klar darüber sein: Erstmal keine Aussagen! Dafür ist später immer noch jede Menge Zeit, wenn du dich mit einer Anwältin beraten hast. Früher gehen lassen sie dich wegen einer Aussage eh nicht. Polizistinnen sind, das muss dir jederzeit klar sein, nicht deine Freundin und Helferin, sondern ermitteln gegen dich, und es kann sein, dass sie versuchen, dir möglichst viele Straftaten anzuhängen!

Wenn du Glück hast, erwischst du eine Beamtin, die nicht sonderlich unglücklich über dein Schweigen ist, weil du ihr damit die Arbeit ersparst, ein Vernehmungsprotokoll zu schreiben. Kurz nach der Festnahme bist du natürlich erstmal aufgeregt, sauer und vielleicht auch niedergeschlagen und erschöpft. Diesen Zustand versuchen die Vernehmungsbeamtinnen erfahrungsgemäß für sich auszunutzen, d. h., sie setzen dich mal unter Stress, mal behandeln sie dich richtig freundlich mit Kaffee und Zigaretten und so, um dich „weichzukochen“. Diese Art von nervlichen Wechselbädern soll dich mürbe und müde machen, damit du möglichst schnell möglichst viel aussagst. Somit haben sie einerseits nicht all zu viel Arbeit mit dir (auch für Polizistinnen ein wichtiger Aspekt) und andererseits können sie Erfolge vorweisen, was wiederum gut für ihre eigene Psyche und Beförderung ist. In dieser Situation sind dann viele bereit, auf das gesetzlich garantierte Recht der Aussageverweigerung zu verzichten. Du kannst aber gar nicht genau wissen, ob eine Aussage zu diesem Zeitpunkt deine Situation letztlich bessert. Du solltest also deine Aussage auf jeden Fall, wenn überhaupt, erst später machen, d. h. bei der Haftrichterin oder beim Haftprüfungstermin nach 14 Tagen, und sowieso erst nach anwaltlicher Beratung, wenn du überhaupt vor der Gerichtsverhandlung etwas sagen willst.

Eine Anwältin verlangen

Natürlich kann man sich auch selbst verteidigen, und es gibt auch Leute, die das einigermaßen gut hinbekommen. Allerdings ist gerade bei schwereren Vorwürfen, ohne die du ja nicht zur Haftrichterin müsstest, oft ein beträchtliches Expertinnenwissen erforderlich und zudem ein genaues Studium der Akte, die gegen dich vorliegt und die vollständig nur an Rechtsanwältinnen, nicht aber an dich gegeben wird. Du solltest dir daher auf jeden Fall eine Anwältin besorgen. So schnell es geht!

Das Gute ist, dass diese dir, solltest du einen Haftbefehl kassieren, auch beigeordnet werden muss, du musst also (erstmal) nichts dafür bezahlen.

Gesetzlich hast du sofort nach deiner Festnahme ein Recht darauf, eine Anwältin zu sprechen. Allerdings wird es dir in der Regel nicht gleich erlaubt. Trotzdem kannst du sie immer wieder fordern und auch klarmachen, dass du ohne Anwältin überhaupt nichts sagen wirst (was noch längst nicht heißt, dass du mit ihr etwas sagst). Mit einer Anwältin bist du, obwohl sie dir möglicherweise die nötigen Informationen verschaffen kann, gleich an Ort und Stelle gezwungen, dir ein Verteidigungskonzept zu überlegen, im schlechtesten Fall wird deine Anwältin ohne dich agieren und du wirst überrumpelt. Hast du dieses Gefühl, kannst du die Anwältin auch erstmal wegschicken und abwarten, was kommt. (Im optimalen Fall kennst du natürlich schon vor deiner Festnahme eine coole Anwältin, die du anrufen und der du vertrauen kannst ...)

Du solltest es jedenfalls vermeiden, dich auf eine Verteidigungskonzeption festzulegen, die in der ersten Aufregung in einem kurzen Gespräch mit der Anwältin (die du vielleicht nicht kennen wirst) entstanden ist und die dich hinterher in eine schwierige Situation bringt, weil sie sich dann möglicherweise nicht durchhalten lässt.

Wenn du keine Anwältin kennst, legen dir die Beamtinnen eine Liste vor, aus der du dir eine aussuchen sollst, öfter empfehlen sie dir sogar eine. Die solltest du auf keinen Fall nehmen, denn ein von der Gegenseite empfohlener Mensch kann wohl kaum deine Interessen gut vertreten. Wie gesagt muss dir deine Anwältin – solltest du einen Haftbefehl bekommen – vom Staat bezahlt werden.

Sag am Telefon mit der Anwältin aber lediglich, was sie dir vorwerfen, also nur: Verdacht des Diebstahls, Raub, Totschlag usw. und liefere keine eigene Version dazu, denn dann würdest du ja doch hintenrum eine Aussage machen. Der Anruf bei einer Verteidigerin hat auf jeden Fall den Vorteil, dass eine weiß, wo du bist, und eventuell auch deine Familie benachrichtigen kann (was du ihr am Telefon am besten gleich sagst, allerdings keine Namen und Adressen von Leuten, die nicht absolut „sauber“ sind, sonst werden die auch noch gleich in deine Sache mit reingezogen). Diese Anwältin ist jedoch eine vollkommen Fremde für dich, der du auch nicht sofort alles anvertrauen sollst. Auf keinen Fall auf die Frage antworten, ob du es nun warst oder nicht. Sollte dir die Anwältin diese Frage überhaupt von sich aus stellen, könnte sie die falsche Wahl sein. Vorsicht ist besser als Brummen.

Lass dich vor allem nicht von einer Anwältin zu voreiligen Aussagen überreden, denn die „Mitarbeit“ einer Beschuldigten durch ihr Geständnis erspart Polizei und Verteidigung Arbeit, dich kann das allerdings einiges an Geld oder Jahren kosten. Wenn du mit anderen eingefahren bist, lass dich auch nicht von der Anwältin gegen die anderen ausspielen, so etwa wie: „Sie sind doch nur die kleine Mitläuferin, die anderen sind doch diejenigen, die ...“ Also nochmal, sei verdammt vorsichtig mit einer fremden Anwältin, und wenn sie in der weiteren Zeit nichts für dich tut, sieh zu, dass du sie wieder loswirst. Notfalls wartest du ab, bis du in den Knast kommst, und lässt dir dort von Mitgefangenen eine empfehlen. Du findest weiter hinten noch ein spezielles Kapitel über Anwältinnen ( Kapitel 23 Das Verhältnis zu deiner Anwältin). Außerdem ist im Anhang eine Liste mit Adressen von empfohlenen Anwältinnen.

Die ED-Behandlung

Grundsätzlich bedeutet das, dass Fotos von dir gemacht und Fingerabdrücke genommen werden. Außerdem wird dein Gewicht und deine Körpergröße gemessen. Mittlerweile wird auch festgehalten, ob man ein Piercing und/oder ein Tattoo hat. Auch Narben und andere auffällige Merkmale werden dokumentiert.

Rechtsgrundlage für dieses Vorgehen ist § 81b Strafprozessordnung (StPO), wonach die erkennungsdienstliche (ED-) Behandlung zum Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens (Alt. 1) oder zum Zwecke des Erkennungsdienstes (Alt. 2) durchgeführt werden darf.

Es kann sein, dass du im Vorfeld einen Bescheid der Polizei bekommst, mit dem du aufgefordert wirst, zu einem bestimmten Termin auf der Wache zu erscheinen, damit dort die ED-Behandlung durchgeführt werden kann. Wenn du eine Anwältin hast, dann besprich mit ihr, wie du am besten vorgehst. Wenn du nicht vertreten bist, dann gehe da nicht auf eigene Faust hin, sondern schreibe an die Adresse, die auf dem Bescheid steht, dass du Widerspruch einlegst (wenn nach § 81b Alt. 2 StPO angeordnet wurde) bzw. gerichtliche Entscheidung gegen die ED-Behandlung beantragst (wenn nach § 81b Alt.1 StPO angeordnet wurde). Das musst du innerhalb eines Monats machen. Und dann gehst du da nicht hin.

Gehst du doch zur ED-Behandlung, z. B. weil du mit deiner Anwältin besprochen hast, dass dies der bessere Weg ist (das kann schon mal sein), oder weil du direkt zur ED-Behandlung mitgenommen wurdest, arbeite nicht aktiv an der ED-Behandlung mit. Laufe z. B. nicht auf Befehl im Raum herum („Bewegungsprofil“ – das ist kein Teil der ED), ziehe dich nicht um („Würden sie mal eben fürs Foto diese Mütze anziehen?“ – „NEIN!“).

Der freiwilligen Entnahme einer DNA-Probe (Speichel, Haare, andere Körperzellen) solltest du auf keinen Fall zustimmen! Eine DNA-Abnahme dürfen sie nur mit richterlichem Beschluss durchführen. Weise sie darauf hin, dass sie für jeden Eingriff in deinen Körper einen solchen Beschluss brauchen. Es kann sich sehr positiv auf dein späteres Verfahren auswirken, wenn die Beamtinnen im Vorfeld rechtswidrig Beweise gewonnen haben, obwohl du sie sogar darauf hingewiesen hast, dass sie das so nicht dürfen. Das kann sogar dazu führen, dass die so gewonnenen Beweismittel nicht verwertet werden dürfen.

Lege auch gleich an Ort und Stelle Widerspruch ein, auch wenn das die Maßnahmen nicht verhindert! Sage einfach laut und deutlich: „Hiermit lege ich Widerspruch gegen die ED-Behandlung ein.“ Lass die Cops den Widerspruch unterschreiben, aber unterschreibe selbst nichts!

Nochmal generell zur Aussageverweigerung

Die totale Aussageverweigerung darf bei einer Beschuldigten nicht zu ihrem Nachteil gewertet werden. Sagst du jedoch auch nur ein Wort, so wird dies zu einem Beweismittel, das nach der Rechtsprechung der „freien richterlichen Beweiswürdigung“ unterliegt. Schweigst du nur zu manchen Fragen, so können sie daraus natürlich auch ihre Schlüsse ziehen. Deshalb: Schweigen! Du kannst eine Aussage nicht mehr widerrufen! Sage kein Wort. Stell dir vor, du räumst ein, am Tatort gewesen zu sein, und später kommt heraus, dass sie dir nicht einmal das nachweisen können. Lass dich nicht verunsichern, wenn sie versuchen, dich damit zu überreden, dass deine Tatgenossin alles schon gestanden hat (das stimmt vielleicht nicht). Auch solltest du dich nicht davon beeindrucken lassen, wenn sie dir mitteilen, dass DNA von dir am Tatort gefunden wurde – das allein reicht sowieso nicht aus, um dich zu überführen.

Von jeder Vernehmung wird ein Protokoll gemacht, egal, ob du was erzählst oder nicht. Das sollst du dann unterschreiben, damit es seine Gültigkeit hat. Verweigere die Unterschrift! Wichtig ist bei der ganzen Zeremonie, dass du dich nicht provozieren lässt zu Beleidigungen oder gar zu tätlichen Angriffen. Aktiver Widerstand bringt dir neben Beulen auch noch sehr leicht eine Anzeige wegen Beleidigung oder Widerstand gegen die Staatsgewalt. Daher reagierst du auf deren Angriffe am besten mit Passivität. Wenn sie dich schlagen sollten (es gibt dokumentierte Fälle, in denen das vorgekommen ist), versuche, die empfindlichsten Körperteile (Geschlechtsteile, Kopf, Nieren), so gut es geht, abzudecken, und schrei, so laut du kannst, damit auch andere hören, was mit dir geschieht, denn das haben die Vernehmungsbeamtinnen auch nicht so gern.

Und denke immer daran: Die Vernehmungssituation beginnt nicht erst im Vernehmungszimmer – sie ist immer da, wenn dir eine Beamtin gegenübersitzt: im Streifenwagen, im Flur des Polizeireviers, überall.

1.3. Selbstsicherheit bei Festnahme
und Vernehmung

Viele Polizistinnen versuchen, dich unsicher zu machen. Sie bemerken an dir (oder nehmen es einfach aus Erfahrung an) eine innere Unsicherheit, eine Art schlechtes Gewissen, ein Gefühl der Minderwertigkeit. Dieses Gefühl wird von ihnen provoziert, indem sie dich wie den letzten Dreck behandeln: Du wirst vielleicht in eine verdreckte, stinkende Zelle geworfen, du musst aus einer Plastikschüssel essen. Man geht achtlos mit dir um oder man schlägt dich sogar. Man nimmt deine Fingerabdrücke ab und macht ein Verbrecherinnenfoto von dir (ED-Behandlung, s. o.). Sie versuchen, dich in eine niedergedrückte, eingeschüchterte Stimmung zu bringen, indem sie dich wie einen lästigen, schmutzigen Gegenstand behandeln: „Na komm schon her, du Bürschchen*! Stell dich da hin! Gib deine Pfoten her! Pack dich mal dahin ...“ Umgekehrt zwingen sie dich, deine Ohnmacht und Minderwertigkeit scheinbar zu bestätigen, indem du mit allen deinen physischen Bedürfnissen (Essen, Trinken, Schlafen, aufs Klo gehen) auf sie angewiesen bist. Sie können sich taub stellen, wenn du aufs Klo musst, wenn du schlafen willst, wenn du Hunger hast, wenn du eine Zigarette rauchen willst. Weil du weißt, wie ohnmächtig du ihnen gegenüber bist, wirst du versuchen, wenigstens für deine physischen Bedürfnisse zu sorgen. Aber auch das nehmen sie als Gelegenheit, dich zu „drücken“ und einzuschüchtern. All das muss nicht genau so laufen, es ist aber durchaus möglich und in mehreren Fällen so berichtet und dokumentiert. Also: Sei darauf vorbereitet!

Der Zustand, in dem sie dich haben wollen

Diese Schmähung dient vor allem dazu, der äußerlich Überwältigten auch noch die innere Widerstandskraft zu nehmen. Für den inneren Widerstand, die persönliche Würde und die Selbstachtung soll es keine Ausdrucksmöglichkeiten mehr geben. Häufig wird mit Verhafteten durch Ausdruck sozialer Verachtung gegenüber der Unterklasse, aus der sie meistens kommen, verfahren. Oder auch mit einem politischen Hass gegen diejenige, die das System bekämpft, das auf solche Beamtinnenexistenzen angewiesen ist.

Hier ein kurzer Bericht einer Betroffenen:

„Du bist als Mensch nichts mehr, du bist nur noch ein verachteter Typus, ein Schädling, ein überflüssiges, niederes Wesen. Diese Überflüssigkeit wird dir ständig vor Augen geführt. Und das allein kann dich schon dazu bringen, dass du aufgibst, weil du diesen Zustand nicht erträgst. Du wirst bemerken, dass die innere Unruhe, die du schon die ganze Zeit gefühlt hast, sich immer mehr steigert, sosehr du auch dagegen ankämpfst. Etwas wie ein Fieber hat dich gepackt, du fühlst dich, als hättest du viel zu viel Kaffee getrunken. Du zitterst, du sprichst nicht mehr deutlich, sondern leise, gequält, mit zugeschnürter Kehle. Du bist, ohne dass du es willst, bereits in dem Zustand, in dem sie dich haben wollen.“

Versuche, dich zu beruhigen

In diesem Zustand spricht alles, was du sagst, von vornherein gegen dich – denn sie bemerken daran hauptsächlich deine Unsicherheit und deine Angst. Sie werden dir also erst recht zusetzen. Was dich in diesem Moment nur vor ihnen retten kann, ist: Schweigen! Vollkommen stumm werden! Versuche dich zu beruhigen, indem du dir sagst: Es kann mir nichts passieren, solange ich nichts sage, wovon sie ein Protokoll schreiben können. Solange ich nichts sage, existiert der Vorgang nicht in den Akten. Er kann also gar keine Auswirkungen haben. Versuche einen festen Punkt in deinen Gedanken zu finden, von dem du weißt, dass er dich beruhigen und dein Selbstvertrauen stärken wird. Fixiere dich auf diesen Punkt.

Eine Phantasie als „Notwehr“

Sie versuchen, dich kleinzukriegen. Dem kannst du aber deine ganze Phantasie entgegensetzen. Du kannst dir vorstellen, wie klein sie sind. Stell dir
z. B. vor, wie deine Vernehmerin von ihrer Chefin heruntergemacht wird, weil sie keine Aussagen vorweisen kann. Sieh sie dir an, und stelle dir vor, wie sie dann schwitzen wird. Stell dir vor, was alles passieren könnte, wodurch sich deine Peinigerin selbst lächerlich machen kann. Benutze deine Phantasie!

Konzentriere dich

Versuche regelmäßig, ruhig und tief zu atmen. Mache unauffällig einige Atemübungen Kapitel 13 Wie mensch im Knast gesund bleiben kann. Wenn ein Fenster da ist, sieh hinaus, fixiere deinen Blick auf etwas, was du da siehst – einen Baum, eine Wolke –, und beschäftige dich intensiv in Gedanken damit, so als ob du es zeichnen würdest oder in einem Aufsatz beschreiben wolltest. Wenn du nichts siehst, weil kein Fenster da ist oder es Nacht ist, fixiere dein Gehör auf bestimmte Geräusche, z. B. das quäkende Funkgerät oder hereindringender Straßenlärm, und versuche, dieses Konzentrieren so weit zu steigern, dass du „überhörst“, was sie sagen, dass es für dich völlig unwichtig wird. Achte darauf, dass du niemanden belastest. Jedes Wort über eine andere Person, kann für diese schädlich sein.

1.4. Im Polizeigewahrsam

Bevor du in ein Untersuchungsgefängnis kommst bzw. der Haftrichterin vorgeführt wirst, wirst du vielleicht in Polizeizellen sitzen, das kann bis zum Ende des Tages, der auf die Festnahme folgt, der Fall sein. Die Polizeizellen sind meistens schauderhaft verdreckt oder klinisch steril und gleichen am ehesten der verbreiteten Vorstellung vom Knast: Klappbett aus Eisen oder nur ein Brett längs der Wand, keine Einrichtung, keine Sicht nach draußen, überall nur Wand und Eisen. Für eine Person, die noch nie im Knast war, ist das ein ziemlicher Schock. Sie glaubt natürlich, dass es im Knast genauso aussähe. Das ist auch der Zweck der Sache. Im Polizeigewahrsam wirst du noch einmal registriert. Wenn es bisher noch nicht geschehen ist, so musst du damit rechnen, zur ED-Behandlung (s. o.) geholt zu werden. Wenn bei dir eine schwere Krankheit vorliegt, ist es wichtig, diese sofort zu Protokoll zu geben und die sofortige Untersuchung durch eine Ärztin zu verlangen. Auch in den Polizeizellen bist du oft mit anderen Gefangenen zusammen. Die Polizeizellen sind i. d. R. Sammelzellen, zum Teil überfüllt, und eine Trennung der Gefangenen gelingt selten, weil dafür die Zellen nicht ausreichen. So kannst du manches erfahren, was dich interessiert. Meistens hast du auch noch Rufkontakt zu denen, die mit dir festgenommen worden sind. Lass dich nicht von dazwischenbrüllenden Beamtinnen daran hindern. Aber sei auch gegenüber Mitgefangenen vorsichtig. Du musst mit allen Tricks rechnen, auch damit, dass Mitgefangene oder angebliche Mitgefangene auf dich angesetzt werden (es passiert nicht zu selten, dass diese als V-Leute angeworben werden, um etwas über andere Gefangene rauszufinden). Rede mit ihnen über alles, nur nicht über dein Verfahren. Die Polizeizelle erscheint dir aber auch erstmal erlösend, denn du bist die ewig fragenden Vernehmungsbeamtinnen los. Du kannst also erstmal Luft holen. Allerdings weißt du nicht, was wird und ob schon irgendjemand deine Familie oder Freundinnen über deine Verhaftung benachrichtigt hat usw. Dann ist es ganz besonders schwierig, Ruhe zu bewahren und keine Aussagen zu machen (falls sie dich nochmal zur Vernehmung holen), weil du dich vollkommen alleingelassen fühlst und unsicher und ängstlich bist, was jetzt draußen mit deiner Familie und bei deinen Freundinnen passiert. Manchmal holen die Vernehmungsbeamtinnen eine nochmal nachts aus der Zelle, um wieder zu „bohren“ und deine beschissene Lage auszunutzen. Versuche in der Zeit, während du allein in der Zelle bist, dich auf die Vorführung zur Haftrichterin vorzubereiten, indem du dir lange und genau überlegst, wie du dich dort verhalten willst. Im Zweifel: Schweigen!

1.5. Vor der Haftrichterin

Laut Gesetz muss eine Verhaftete bis zum Ablauf des nächsten Tages der Haftrichterin vorgeführt werden. D. h., wenn du zum Beispiel am Montag um 14.00 Uhr verhaftet wirst, musst du bis spätestens Dienstag 24.00 Uhr der Haftrichterin vorgeführt werden.

Spätestens dann, wenn die Richterin dich nicht laufen lässt, du also tatsächlich in U-Haft bleiben musst, muss dir eine Anwältin beigeordnet werden (§ 140 Nr. 4 StPO).

Du hast ein Recht darauf, dass eine weitere Person, die du benennst, von deiner Verhaftung unterrichtet wird. Das kannst du entweder selbst machen oder die Haftrichterin macht das. Pass dabei auf, dass du nicht Personen nennst, für die es vielleicht nicht so gut ist, mit dir in Verbindung gebracht zu werden. Gib also als Person deines Vertrauens am besten deine Eltern (sofern du noch was mit ihnen zu tun hast), deine Verlobte (wenn diese „Verbindung“ bekannt ist), Ehepartnerin, irgendwelche Verwandten oder die Wohngemeinschaft an. Aber möglichst nur Leute, von denen es sowieso bekannt ist, dass sie was mit dir zu tun haben, und die selbst nicht in der Sache drinhängen, wegen der du hier bist.

Gib deine Forderungen auf jeden Fall zu Protokoll und versuche der Haftrichterin klarzumachen, dass du ohne Anwältin überhaupt nichts sagst. Du lässt dabei am besten im Unklaren, ob du dann mit der Anwältin eine Aussage machst oder nicht, denn dann bemüht sich die Haftrichterin manchmal sogar selbst darum, dass die Anwältin, die du haben willst, auch kommt.

Wenn du es für zweckmäßig hältst, dich auf überhaupt nichts einzulassen, ist die ganze Prozedur schnell überstanden: Du schweigst. Du sagst lediglich, dass du dich nicht äußern möchtest. Aus welchem Grund, kannst du für dich behalten. Unterschreib auch nichts. Wenn du selbst die Anwältin oder die Person deines Vertrauens anrufen kannst, dann sag nur, dass du festgenommen bist und wo du bist und was die als Grund für deine Verhaftung genannt haben. Auf keinen Fall über die Umstände der Verhaftung und Weiteres am Telefon sprechen, denn dann fängst du schon ungewollt damit an, dein Schweigen zu durchbrechen. Auch auf Nachfragen am Telefon nicht reagieren, so schwer das auch fällt. Falls es schon einen Haftbefehl gegen dich gibt, verliest die Haftrichterin diesen und fragt dich, was du dazu zu sagen hast. Liegt allerdings noch kein Haftbefehl gegen dich vor, so nennt die Staatsanwältin erstmal das, was dir vorgeworfen wird, welche Vorstrafen du hast, welche Haftgründe sie bei dir als gegeben sieht, und beantragt, einen Haftbefehl gegen dich zu erlassen. Für dich ist es wichtig zu hören, was dir genau vorgeworfen wird und was bisher gegen dich ermittelt wurde, damit du weißt, woran du bist und was und wie viel die Staatsanwaltschaft an Beweisen gegen dich hat. Es ist sehr oft der Fall, dass die Staatsanwaltschaft nicht alles bei der Haftprüfung rauslässt, was sie gegen dich ermittelt hat (Ass im Ärmel behalten), oder sie täuscht mehr Erkenntnisse vor, als sie tatsächlich besitzt. Verlass dich also nicht auf die Aussagen der Staatsanwältin über die Ermittlungsergebnisse und lass dich davon nicht verunsichern.

Ähnlich wie diese Vorführung läuft auch ein Haftprüfungstermin ab, der auf deinen Antrag hin – nach der Inhaftierung – durchgeführt werden muss.

Die Haftgründe

Ein Haftbefehl wird bei „dringendem Tatverdacht“ erlassen, was dann auch genau im Haftbefehl stehen muss, d. h., die Gründe für diesen Verdacht müssen im Haftbefehl aufgeführt werden. Diese angeblichen Ermittlungsergebnisse der Polizei gegen dich sind die sogenannten Tatvorwürfe. Zu denen muss noch einer der „Haftgründe“ hinzukommen. Mögliche Haftgründe sind:

1. Fluchtgefahr: Die Richterin hält es für wahrscheinlicher, dass du abhaust, als dass du dich dem Verfahren stellst, weil du aufgrund der dir vorgeworfenen Tat mit einer längeren Strafhaft rechnest und/oder weil du nichts hast, was dir so wichtig ist, dass du den Prozess abwartest, also dich dem Verfahren stellst. Im Raum stehende längere Haftstrafe plus fehlende „soziale Bindungen“ (fester Wohnsitz, Ehe, Kinder, Arbeitsplatz usw.).

2. Verdunklungsgefahr: Die Richterin nimmt an, dass du die Freiheit dazu benutzen willst, die Aufklärung des Verbrechens durch Bestechung von Zeuginnen, Beseitigung von Spuren zu „verdunkeln“. Drohende Beweisvernichtung, Absprache mit anderen Beteiligten.

3. Wiederholungsgefahr: Die gibt es nur bei bestimmten Delikten, z. B. schwerer Körperverletzung, schwerem Diebstahl, Brandstiftung, Betäubungsmittelstraftaten (§ 112a StPO), wenn für die Richterin erwiesen ist, dass du solche Straftaten schon wiederholt begangen hast (Vorstrafen), und sie annimmt, dass du bis zu deiner Verurteilung noch weitere begehen wirst.

4. Bei den Tatvorwürfen Mord, Totschlag, Völkermord, terroristische Vereinigung wird grundsätzlich ein Haftbefehl erlassen, außer in Ausnahmefällen, in denen er unverhältnismäßig wäre.

In der Praxis sieht das so aus: Bei schweren Tatvorwürfen wird auf jeden Fall ein Haftbefehl erlassen, weil die Richterin dann immer Flucht- und Verdunkelungsgefahr annehmen wird. Bei kleineren Delikten wie Diebstahl, Betrug, Einbruchsdiebstahl hängt der Haftbefehl davon ab, ob du nicht vorbestraft bist und ob du einen festen Wohnsitz sowie feste soziale Bindungen hast.

Dein Verhalten gegenüber der Haftrichterin

Etwas sagen solltest du nur zu dem Punkt Fluchtgefahr“, indem du angibst, dass du einen festen Wohnsitz und feste soziale Bindungen hast: (Ehe)Partnerin, Kinder, Verlobte, langjährige Freundinnen usw. – aber aufpassen, wen du nennst! Wenn du einen festen Arbeitsplatz hast, ist das ein Argument, das jede Richterin am ehesten davon überzeugen wird, dass du nicht fliehen willst. Wenn du keinen festen Wohnsitz hast, dann kannst du immer noch einen möglichen festen Wohnsitz, etwa bei deinen Eltern oder Freundinnen, für die nächste Zeit nennen. Diese Angaben haben alle nicht direkt mit der vorgeworfenen Tat zu tun, so dass du dazu ruhig was sagen kannst. Zu den Haftgründen Verdunkelungsgefahr“ und Wiederholungsgefahr“ solltest du gar nichts sagen, weil du dann unweigerlich in eine Diskussion über die dir vorgeworfene Straftat eintrittst. Zum Tatvorwurf selbst solltest du auch nichts sagen, denn das wird sofort im Protokoll festgehalten und spätestens in der Gerichtsverhandlung gegen dich verwendet.

Am Ende der ganzen Haftprüfung beantragt dann die Staatsanwältin, einen Haftbefehl gegen dich zu erlassen oder den schon bestehenden aufrechtzuerhalten (es kann auch sein, dass sie keinen Haftbefehl beantragt, dann gibt es erstmal kein Problem und du kannst gehen). Du kannst jetzt beantragen:

oder

Wichtige Anträge an die Haftrichterin

Wird der Haftbefehl dann aufrechterhalten oder erlassen, so kannst du noch einige Anträge stellen, bevor die Haftrichterin dich abführen lässt. Hast du mittlerweile eine Anwältin, so wäre das eigentlich deren Sache, aber wenn sie es nicht tut, musst du es notfalls selbst tun.

Antrag auf mündliche Haftprüfung

Du bestehst darauf, diesen Antrag direkt ins Protokoll eintragen zu lassen. Dann musst du ihn nicht später schriftlich stellen. Die Haftprüfung muss innerhalb von 14 Tagen durchgeführt werden, wenn du nicht einer Verlängerung dieser 14-Tages-Frist zustimmst. Ohne Anwältin solltest du erstmal auf alle Fälle auf der Haftprüfung nach 14 Tagen bestehen, denn die Einschätzung, ob eine Verlängerung der 14-Tages-Frist gut für dich ist, kannst du ohne Anwältin nicht leisten. Wenn du dann eine Anwältin hast, kannst du mit ihr immer noch darüber reden.

Anträge auf Gegenstände, die du in der Zelle gleich haben willst (Schreibmaterialien, Radio usw.), stellst du nicht mehr bei der Haftrichterin, sondern bei der Anstaltsleitung. Das kannst du gleich machen, wenn du im Knast ankommst.

1.6. Im Transportwagen

Nachdem ein Haftbefehl ausgestellt worden ist, steht dir ein mehr oder weniger langer Transport bevor. Er kann Minuten, Stunden oder auch Wochen dauern, je nachdem, wo die für dich zuständige Untersuchungshaftanstalt (U-Haftanstalt) liegt. Die Fahrt wird Schub oder Verschubung genannt. Die Transportbusse verkehren nur zwischen den Gefängnissen, die benachbart liegen. Längere Strecken sind selten. Oft dauern deshalb solche Fahrten von Knast zu Knast wochenlang, wenn z. B. eine Gefangene von Lübeck oder Hamburg nach Stuttgart oder Nürnberg gebracht wird.

Die ganze Strecke auf einmal, eingesperrt in der Kiste mit schlechter Lüftung, würde auch kein Mensch durchstehen. Es gibt verschiedene Arten von Transportbussen. Die Polizeitransportwagen sind kleiner als die der Justiz und haben oftmals keine Fenster. Sie verkehren nur zwischen den Polizeizellen (Reviere und Präsidium) und den nächstliegenden Haftanstalten. Ihre Entlüftung ist miserabel, besonders in den kistenartigen Verliesen ohne Fenster. Man glaubt zu ersticken. Vor allem wenn kein Fenster da ist, während man in einer vollkommen geschlossenen und engen Kiste hin und her geworfen wird, ist das ein qualvoller Zustand.

Wie kann man sich im Transportbus einigermaßen zweckmäßig verhalten?

Vor allem nicht rauchen! Die Strecken sind meistens nicht allzu lang, so dass man auch als starke Raucherin ohne Zigaretten auskommen kann. Wenn ein Fenster da ist, sich ganz auf das, was man da sieht, konzentrieren. Wer längere Zeit im Knast war, weiß, dass man bereits nach einem Jahr akut „knastkrank“ ist – dass Kreislaufstörungen und Angstzustände dann ständige Begleiterinnen werden. Die Gefahr des Luftmangels wird besonders akut, wenn der Wagen längere Zeit steht – und vielleicht auch noch in der prallen Sonne. Wenn du kannst, versuche Fahrerin oder Beifahrerin darauf anzusprechen, dass der Wagen wenigstens in den Schatten gefahren wird und dass die vorderen Einstiegstüren geöffnet werden. Wenn du das Gefühl hast, du bekommst keine Luft mehr, dann verlange, rausgelassen zu werden. Aber mach dabei nichts falsch! Du solltest den Eindruck vermeiden, du wolltest Krach schlagen oder zu fliehen versuchen. Schau in die Fahrtrichtung, um Übelkeit zu vermeiden. Mach Atem- und Entspannungsübungen, wie sie weiter unten im medizinischen Teil ( Kapitel 13 Wie mensch im Knast gesund bleiben kann) beschrieben sind, um Erstickungs- und Platzangst zu bekämpfen.

2.
Einlieferung in die Haftanstalt /
Die ersten Tage

Der Transportwagen hält kurz vor dem riesigen Eisentor, das sich sofort automatisch öffnet – und hinter dir wieder schließt.

2.1. Die Aufnahmeprozedur in der Untersuchungshaft (U-Haft)

An der Pforte der Untersuchungshaftanstalt wird mit dem Eintragen von Name und Uhrzeit in das Pfortenbuch die bürokratische Prozedur der Aufnahme eröffnet. Du wirst – falls noch nicht geschehen – gleich an der Pforte nach Waffen gefilzt. Normalerweise bist du bereits in der GESA (Gefangenensammelstelle) oder auf dem Polizeirevier durchsucht worden. Dabei dürfen Frauen nur von Beamtinnen abgetastet werden!

In der Zugangszelle

Normalerweise kommst du dann erstmal in eine Zugangszelle – für Minuten, Stunden oder für eine ganze Nacht. Versuche herauszubekommen, wie lange es dauert, damit du dich darauf einstellen kannst. Wenn du krank, verletzt oder heroin- bzw. alkoholsüchtig bist, dann bestehe unbedingt darauf, dass sofort eine Ärztin gerufen wird. Nicht abwimmeln lassen! Eine Notärztin ist immer erreichbar. Die Zugangszelle ist meistens ganz besonders scheußlich und verdreckt. Mittlerweile gibt es aber auch die Versuche seitens der Anstalt, durch besondere Ausstattung der Zugangszellen, wie z. B. Flatscreen-TV, dir den Knast als nicht so schlimm zu verkaufen. Dadurch soll dir der Schock erspart werden, was egal ist, da du am nächsten Tag sowieso im Loch landest. Versuche, ruhig zu bleiben. Wenn es dir irgendwie möglich ist, schlafe ein paar Stunden. Wenn du nicht schlafen kannst, hat die Beamtin vielleicht was zum Lesen für dich. Wenn du mit anderen zusammen bist, geht sowieso das Gespräch darum: Weshalb bist du hier? Sage dazu auf keinen Fall mehr, als im Haftbefehl steht. Unterhaltet euch aber besser über den U-Knast (Untersuchungshaftanstalt). Wie sind die Zellen? Die Beamtinnen? Nachdem du weißt, dass du jetzt jedenfalls einige Zeit in U-Haft bleiben wirst, solltest du dich in Gedanken oder, falls du Schreibmaterial hast (du kannst es dir von Beamtinnen geben lassen), mit Briefen und Anträgen darum kümmern:

1. draußen: Wem willst du schreiben? Wer soll sich um deine Wohnung usw. kümmern?

2. drinnen: Welche Anträge willst du stellen? Was willst du in der Zelle machen, z. B. welche Bücher lesen?

Verdreckte Zugangszellen und überhaupt die ganze Aufnahmeprozedur sollen dich von vornherein einschüchtern und kleinkriegen. Überlege dir jetzt schon die Antworten, die du vielleicht geben musst bzw. verweigern wirst, und wie du am besten auftrittst. Überlege dir, was du vielleicht fordern und durchsetzen willst.

Auf der Vollzugsgeschäftsstelle

Dann wirst du zur „Vollzugsgeschäftsstelle“ geschoben. Dort prüft man die Einlieferungspapiere, nimmt die sogenannte „Aufnahmeverhandlung“ vor. Von dir werden nun – unter Strafandrohung – richtige Angaben verlangt. Falsche Angaben sind zwar tatsächlich strafbar, wenn man dir nachweisen kann, dass du sie absichtlich verfälscht hast – nicht strafbar ist natürlich, gar keine Angaben zu machen. Wenn du nun keine Lust hast, Fragen zu beantworten und Erklärungen zu unterschreiben, sind die zwar nicht sehr froh darüber, lassen eine dann aber oft in Ruhe. Offenbar sind sie es gewohnt. Außerdem: Sie sparen sich damit Arbeit! Bleiben sie hartnäckig und ist es dir lästig, andauernd Antworten und Unterschriften zu verweigern – man hat sowieso erst einmal andere Sorgen –, dann kann man auch mal ein paar Fragen beantworten. Überlege dir, ob du eine Unterschrift nicht besser in Druckbuchstaben schreibst, wenn deine Handschrift verräterisch sein könnte. Vor allem mit den folgenden Fragen musst du rechnen, und es ist unter Umständen sogar sinnvoll, sie zu beantworten:

Außerdem wird gefragt, ob du Suizidgedanken hast! Antwortest du mit JA, stecken sie dich in eine doppelt belegte Zelle mit ROTEM PUNKT. Roter Punkt bedeutet, dass ca. jede Stunde eine Beamtin durch ein kleines Loch überprüft, ob du noch lebst. Was irgendwann nervt. Antwortest du mit NEIN, kann es sein, dass du gleich in eine Einzelzelle eingesperrt wirst. In einigen Knästen ist es manchmal ziemlich voll und die Unterbringung ist schwer zu beeinflussen, aber nicht unmöglich.

Manchmal fragen sie dabei auch gleich, ob man eine Unterbringung in einer gemeinsamen Zelle beantragt. Wenn man krank oder süchtig ist, sollte man es ruhig tun. Man kann den Antrag auch später stellen bzw. später wieder zurückziehen. Sie fragen dich nach deiner Gesundheit und müssen dich notfalls sofort zu einer Ärztin bringen. Wichtig: Am besten hier schon religiöse Kost, spezielle Ernährung (vegan, vegetarisch) und Krankheiten angeben, die z. B. eine Diät oder bestimmte Medikamente erfordern! Sie fragen dich außerdem, ob „dringende Fürsorgemaßnahmen“ ergriffen werden müssen: das bedeutet beispielsweise, ob du eine Wohnung hast, die du zu verlieren drohst, ob für Familienangehörige, vor allem Kinder, Sozial- und Jugendamt einzuschalten sind. Vorsicht, dass sie deine Kinder nicht in ein Heim stecken! Pflegeeltern bestimmen; am besten, man hat das bereits vorher organisiert oder schaltet eine Anwältin ein ( Kapitel 2.4. Wenn du draussen Kinder zurücklässt). Dann wird ein „Kennzeichnungsbogen“ ausgefüllt. Sie versuchen, an dir rumzumessen, Fotos und Fingerabdrücke aufzunehmen. Ob es sich vermeiden lässt, hängt von dem Eifer der Beamtinnen ab. Versuche es. Du kannst – wenn du es nicht sowieso bekommst – ein Merkblatt über die Auswirkungen der Inhaftierung auf die Sozialversicherung und Arbeitslosenversicherung verlangen ( Kapitel 9 Arbeit und Geld). Aber das ist wohl im Augenblick nicht das größte Problem. Die Krankenversicherung muss man selbst vornehmen bzw. weiterlaufen lassen. Im Normalfall ruht sie während deiner Zeit im Knast, da die medizinische Versorgung in den Augen der Krankenkassen im Knast gesichert ist. Eine „zusätzliche“ Krankenversicherung kann aber dann sinnvoll sein, wenn man vorhat, sich von einer externen Ärztin untersuchen und behandeln zu lassen ( Kapitel 18 Gefängnismedizin).

Jugendliche sollen außerdem einen Lebenslauf und einen Fragebogen über ihre persönlichen Verhältnisse ausfüllen. Allerdings werden die Beamtinnen das kaum erzwingen können. Wenn dich eine Verweigerung zu sehr nervt, so kannst du dich wenigstens auf einen tabellarischen Lebenslauf beschränken, also einen Lebenslauf, in dem nur Angaben über Geburtsdatum, Datum der Einschulung und des Schulabschlusses gemacht werden. Wenn sich die Anstalt hiermit nicht zufriedengibt, sollte man ganz einfach sagen, dass man sich an die ganzen Sachen nicht mehr so richtig erinnern könnte. Schreibe dabei nur Stichworte hin, und das noch möglichst in Druckbuchstaben. Du kannst so verhindern, dass sie dieses Papier dazu benutzen, planmäßig deine Vergangenheit und deine Persönlichkeit auszukundschaften.

Auf der Kammer

Die nächste Station, zu der man geschoben wird, ist die „Kammer“. Dort wird dir gesagt, dass du nichts verstecken darfst und alles, was du an dir trägst, ausziehen musst. In manchen JVAs (Justizvollzugsanstalten) gibt es so was nicht. Dir werden die Schnürsenkel, Gürtel, Jacke und Rucksack abgenommen. Bei Frauen dürfen dabei keine männlichen Beamten anwesend sein. Die suchen jetzt deinen ganzen Körper und deine Klamotten nach Waffen, Ausbruchswerkzeug, Geld und Ungeziefer ab. Normalerweise kannst du dann baden oder duschen. Dann bekommst du deine Klamotten wieder. Was du sonst noch so dabeihast, wird kontrolliert und entweder als „Asservaten“ beschlagnahmt (wenn es nicht bereits die Polizei an sich genommen hat) oder als „Effekten“ zu der „Habe“ genommen – z. B. Schmuck, Ausweise usw., also alles, was sie dir nicht mit auf die Zelle geben wollen. Merke: „Habe“ ist alles, was man nicht hat. Geld wird ebenfalls nicht ausgehändigt, sondern auf der Verwaltung bei der Kasse vermerkt und gutgeschrieben. Du kannst dann darüber für den Einkauf verfügen. Alles, was dir die Polizei nicht schon abgenommen hat und was nicht zu den „Asservaten“ zählt, muss dir ausgehändigt oder zu deiner „Habe“ gelegt werden. Einen Teil deiner Sachen geben sie dir jedoch zurück und du kannst sie in die Zelle mitnehmen. Was und wie viel, ist aber ganz verschieden: Wäsche und Körperpflegemittel in geringer Menge, manchmal auch etwas Tabak, Fotos, Briefmarken, Briefpapier, Schreibmaterial, in der Regel auch Ehe- und Verlobungsringe. Versuche möglichst, die wichtigsten Dinge zu bekommen. Was sie zu deiner „Habe“ legen, ist jedoch nicht ein für alle Mal aus deinen Händen. Du kannst die Herausgabe deiner Sachen später noch beantragen, z. B. deine Uhr und anderes. Du hast zwar das Recht, deine eigene Kleidung zu tragen, du musst aber selbst für Wechsel und Reinigung sorgen – am besten über Freundinnen oder Verwandte, die Schmutzwäsche abholen und saubere Wäsche bringen lassen. Andernfalls kannst du Anstaltskleidung verlangen – die wird dann im Knast gewaschen. Die Entscheidung kannst du jederzeit wieder ändern. Erkundige dich, wann der wöchentliche „Wäschetauschtag“ ist.

Wichtig: Wenn du kein Schreibzeug und Briefpapier dabei gehabt hast oder sie es noch nicht rausrücken wollen, dann unbedingt nachdrücklich Schreibzeug von der Anstalt verlangen. Am besten macht man das auf der Kammer, wo immer Kugelschreiber für diesen Zweck bereitliegen. Man kann auch schon vorher verschiedene Beamtinnen darauf ansprechen. Du bekommst auf der Kammer außerdem noch Bettwäsche, Wolldecken, Handtücher und Essgeschirr. Wenn du den Empfang quittieren sollst, dann prüfe nach, ob du auch alles bekommen hast, was auf der Liste steht. Fehlt was, so musst du es sonst später ersetzen, sprich: überteuert bezahlen.

In ,,deiner Zelle“

Schließlich wirst du in die Zelle gebracht. Eine Beamtin zeigt dir die Zelleneinrichtung. Prüfe, ob alles funktioniert und unbeschädigt ist: Klo, Wasser, „Möbel“ und den Rundfunklautsprecher. In manchen Knästen ist ein abschaltbarer Lautsprecher mit zwei oder drei wählbaren Programmen eingebaut – in anderen bekommst du extra einen Kopfhörer ausgehändigt und wieder in anderen gibt es so was überhaupt nicht. Verlange einen Kopfhörer, wenn er fehlt! Dann sollst du gleich wieder einen Wisch unterschreiben, auf dem steht, dass das ganze Inventar von dir in unversehrtem Zustand übernommen wurde. Wenn sich dann später herausstellt, dass doch etwas kaputt ist, dann versuchen sie, es dir von deinem Geld abzuziehen. Dies ist jedoch nicht so einfach. Sie müssen dir erstmal nachweisen, dass es nicht schon kaputt war. Deshalb am besten nicht unterschreiben – denn so genau kann man die Sachen in der kurzen Zeit und in der Stimmung, in der man ist, gar nicht kontrollieren. Du kannst z. B. sagen: „Lassen Sie mir die Liste noch zwei Tage hier.“ Wenn die Beamtin sich damit nicht zufriedengibt und droht, den Kopfhörer wieder mitzunehmen, kann man notfalls zumindest den Kopfhörer quittieren. Oder du schreibst auf den Wisch: „Vorbehaltlich einer genaueren Prüfung – Yasmina Krüger“ oder so ähnlich.

Dann wirst du auf deine Pflichten und – wie es so schön heißt – auf deine „Rechte“ aufmerksam gemacht. Meistens, indem du Hausordnung, Zellenordnung und noch ein „Merkblatt“ bekommst. Verlange aber auch noch das „Untersuchungshaftvollzugsgesetz“ deines Bundeslandes.

Um dir endgültig klarzumachen, wo du dich befindest, bekommst du in manchen Anstalten noch einen Wisch zum Unterzeichnen hingelegt, auf dem etwa steht: „Mir ist bekanntgegeben worden, dass die Anstalt durch einen elektrisch geladenen Zaun gesichert ist und dass bei Fluchtversuch von der Schusswaffe Gebrauch gemacht wird.“ Wie gesagt, das ist wie mit den hausierenden Vertreterinnen: möglichst nichts unterschreiben – erst recht nicht, wenn man es nicht genau versteht! Nichtdeutsche Staatsangehörige können immer aufgrund der Sprache eine Unterschrift verweigern: Sogar wenn du aus der Ukraine kommst und den Zettel auf Russisch womöglich verstehst, kannst du auf eine Übersetzerin bestehen und brauchst nichts unterschreiben. Mittlerweile haben aber die Knäste Formulare in vielen verschiedenen Sprachen.

2.2. Die Aufnahmeprozedur
in der Strafhaft

Noch etwas komplizierter und langwieriger ist die Aufnahmeprozedur in der Strafhaft. Zu den oben beschriebenen Dingen, die du ertragen musst, kommt hier noch einiges dazu: Hier findet zur Begrüßung noch eine „Vorstellung“ bei der Leitung der Anstalt statt oder – weil die ja meistens Wichtigeres zu tun hat – bei irgendeiner höheren Beamtin in der Aufnahmeabteilung. Neben der Haus-
ordnung, die du zur Belehrung erhältst, solltest du noch darauf bestehen, ein Exemplar des Strafvollzugsgesetzes des jeweiligen Bundeslandes ausgehändigt zu bekommen. Da du ja nicht nur bestraft, sondern auch noch „behandelt“ werden sollst, beginnt nun die sogenannte „Behandlungsuntersuchung“. Dazu ist es für die Bediensteten nötig, deine Persönlichkeit und deine Lebensverhältnisse zu erforschen. Dies wird u. a. von Psychologinnen, Pädagoginnen und Sozialarbeiterinnen vorgenommen. Dazu können sie sich Informationen über dich von verschiedenen Behörden besorgen, mit denen du mal zu tun hattest. Die Behandlungsuntersuchung kann wie eine Befragung oder ein Verhör ablaufen; die modernere Methode ist es, dich in einem Gespräch aus der Reserve zu locken. Manchmal versuchen sie auch mit Hilfe von sogenannten „Persönlichkeitstests“, etwas über dich herauszubekommen. Wie viel Mühe sie sich dabei geben, ist ganz verschieden: Meistens werden sie wohl nur so tun als ob und die Sache schnell und oberflächlich durchziehen. Intensiver und damit auch nervender werden es die „Fortschrittlichen“ (die es besonders ernst mit der „Behandlung“ meinen) betreiben – vor allem in den Jugendanstalten. Manchmal trennen sie dich für die Zeit der Behandlungsuntersuchung während der Arbeitszeit und der Freizeit von den anderen Gefangenen ab, damit du keine Tipps bekommst und dich nicht zu sicher fühlst und dann vielleicht nicht so mitspielst, wie sie es erwarten. Diese Zeit darf zwei Monate nicht übersteigen. Länger als ein bis zwei Wochen dauert es jedoch selten; auch deren Geduld ist begrenzt. Du bist während dieser Zeit natürlich nicht verpflichtet, an dieser Untersuchung aktiv mitzuwirken. Es ist sicher eine Illusion und sehr kurzsichtig zu glauben, je gefügiger ich mitspiele, desto günstiger fällt mein „Vollzugsplan“ aus, der als Ergebnis dieser Untersuchung festgelegt wird. Als Faustregel gilt: Es besteht immer die Gefahr, dass sie das, was sie über dich wissen, gegen dich ausspielen.

2.3. Was man schon am ersten Tag
erledigen sollte

Wenn du die Nerven dazu hast, solltest du schon während der Aufnahmeprozedur so viel wie möglich ergründen. Wenn nicht, hat das auch Zeit bis zum ersten Hofgang am nächsten Tag.

Erste Informationen einholen

Wenn du aber isoliert bist, d. h. Einzelhofgang hast, solltest du gleich am Anfang jede Gelegenheit nutzen, etwas zu erfahren: von den Hausarbeiterinnen. Es sind die ersten Gefangenen, denen du begegnest, z. B. auf der Kammer. Aber Vorsicht! Nichts von dir selbst erzählen, sondern nur fragen Kapitel 3 Die Gefangenen unter sich. Notfalls auch von der einweisenden Beamtin Informationen fordern: Einkaufsliste, Mitteilungsblatt, Hauszeitung oder Ähnliches verlangen. Irgendwann zieht sich dann die einweisende Beamtin zurück – nicht ohne von dir noch einmal nachdrücklich an Schreibpapier, Anliegenformulare, Umschläge und Kugelschreiber erinnert worden zu sein, falls du das bis dahin immer noch nicht bekommen hast – und lässt dich allein. Du hast wohl die ganze Zeit gehofft, dass der Rummel endlich vorbei ist und die dich endlich allein lassen, aber wenn du dann allein bist, wird es oft noch unerträglicher, weil oft erst jetzt der betäubende Festnahmeschock nachlässt – und dafür die Verzweiflung zunimmt. Erfahrene Gefangene gehen erst einmal ans Fenster und rufen: „Eh, Nachbarin, hast du Tabak?“ Ein paar Worte zu wechseln, beruhigt vielleicht ein bisschen.

Dringende Anträge gleich stellen

Es ist – wenn man die Nerven dazu hat – sehr sinnvoll, schon an diesem ersten Tag Anträge an die Haftrichterin und/oder die Anstaltsleitung zu schreiben. Beides gibt man dann am nächsten Morgen bei der Frühstücksausgabe oder einer anderen vorgeschriebenen Gelegenheit an die diensttuende Beamtin ab. Du verlierst so am wenigsten Zeit. Die Erledigung mancher Anträge dauert Wochen, d. h. manchmal länger als die Haftzeit. Außerdem kannst du dich damit auch ein bisschen ablenken.

Wenn du O. K. (Organisierte Kriminalität) bist, wird dir die Anstaltsleitung auf deine Anträge zurückschreiben und auf eine Erlaubnis von der Staatsanwaltschaft oder von der Richterin, die du erbitten musst, verweisen.

Folgende Dinge beantragst du am besten gleich – unabhängig, ob du in U-Haft (Untersuchungshaft) oder Strafhaft sitzt –, wenn du sie haben möchtest:

Antrag auf Gemeinschaftszelle; Schreibmaschine; eigenes Rundfunkgerät (in der Regel ohne UKW- Teil) – die sind kostenlos!; eigenen Fernsehempfänger, wenn du Geld auf dem Konto hast. Wenn nicht, dann bitte um einen „Sozialfernseher“ – wenn du Glück hast (und die Anstalt, in der du sitzt, solche überhaupt hat), bekommst du einen für ein paar Wochen; Teilnahme an Freizeit- und Gemeinschaftsveranstaltungen (falls Freizeit nicht automatisch gewährt wird). In der „Willkommensbroschüre“ sind alle mögliche Gruppen und Aktivitäten aufgeschrieben. Melde dich für so viel, wie du dir vorstellen kannst, an, weil die Wartelisten sehr lang sind und jede Gruppe oder Veranstaltung außerhalb der Zelle eine Ablenkung ist; Umschluss mit einer bestimmten Mitgefangenen; Umzug auf eine andere Station, wo Gleichsprachige sind, damit du dort Umschluss machen kannst; Teilnahme an der Gemeinschaftsarbeit; Sonderbesuche oder Langzeitbesuche (LZB) – dafür musst du eine Sprechstunde bei der Sozialarbeiterin beantragen; Pakete; Bezug von Zeitungen und Zeitschriften, Büchern (Antrag auf Katalog der Bibliothek, weil du Bücher erst beantragen kannst, wenn du die Katalognummer hast), Bastelmaterialien und Ähnliches für Selbstbeschäftigung.

In einem schriftlichen „Anliegen“ oder Vormelder“ oder einfach „Antrag“ an die Anstaltsleitung kannst du außerdem die folgenden Dinge fordern:

Näheres darüber, wie du dich verhalten musst, wenn dir bestimmte Sachen verweigert werden, findest du in den Kapiteln 21–26 Rechtsmittelteil.

Erste Kontakte nach draußen

Dazu nur einige kurze Anmerkungen, wenn du in U-Haft sitzt: Dir muss grundsätzlich mit Verkündung des Haftbefehls eine Anwältin beigeordnet werden.

Wichtig: Du kannst deine vom Haftgericht beigeordnete Anwältin wechseln!

Hast du – rechtswidriger Weise – immer noch keine Anwältin, obwohl du in U-Haft sitzt, so verlange bei den Knastbeamtinnen eine Anwältinnenliste und hör dich auf alle Fälle auch mal unter den Mitgefangenen nach Anwältinnen um, die was tun und nicht nur aufs Geld schauen. Aber sei vorsichtig! Manche Gefangene versuchen bei ihren Anwältinnen zu punkten und sogar zu kassieren, in dem sie Kundinnen bei den Mitgefangenen suchen. Und viele werden dir erzählen, dass ihre Anwältin die beste ist. Trotzdem gibt es sie (die besseren Anwältinnen) und die muss man suchen. Es ist generell auch nicht schlecht, dir bei anderen Gefangenen mit ähnlichen Fällen einen Rat zu holen: Manchmal wissen Gefangene aufgrund ihrer „Knastkarriere“ an manchen Stellen mehr als eine Anwältin. Wenn du dich für eine Anwältin entschieden hast, schreib an sie und bitte um einen Besuch. Lies dazu Kapitel 22 (Verhältnis zu deiner Anwältin).

Pass bei Briefen an Freundinnen, Verwandte und andere auf, dass du nichts über deinen „Fall“ schreibst. Du musst dich darauf einstellen, dass alle deine Briefe gelesen und auch angehalten werden, einfach um dich immer hilfloser zu machen und damit du dich noch mehr allein fühlst. Sie hoffen, dass du in diesem Zustand dann doch was erzählst. Schreib nicht an Leute, die durch deine Briefe und die Bekanntschaft mit dir gefährdet werden können. Falls du kein Geld hast, verlange, dass die Anstalt die Portokosten übernimmt.

2.4. Wenn du draußen Kinder zurücklässt

Wenn du dich nicht darum kümmerst, musst du damit rechnen, dass Jugendamt und Vormundschaftsgericht dir dein Kind wegnehmen, schlimmstenfalls es in ein Heim stecken und dir das Sorgerecht entziehen. Es gibt allerdings einige Möglichkeiten, das zu verhindern. Grundsätzlich musst du wissen: Wenn das Kind „verwahrlost“ und für sein „leibliches, geistiges und seelisches Wohl“ nicht gesorgt ist, kann das Jugendamt immer eingreifen. Im Übrigen bestimmen die Sorgeberechtigten, wo und wie ihr Kind lebt. Das Sorgerecht haben für eheliche Kinder normalerweise beide Eltern zusammen. Willst du also einen der nachfolgend dargestellten Schritte einleiten, musst du dich mit deiner Ehepartnerin darüber einigen. Für das nichteheliche Kind hat die Mutter das Sorgerecht erstmal allein, es sei denn, man hat eine Sorgerechtsvereinbarung vor dem Jugendamt erklärt.

Ist dein Kind vor Haftantritt unter drei Jahre alt, gibt es unter Umständen die Möglichkeit, dass du und dein Kind in eine Mutter-Kind-Einrichtung aufgenommen werdet. Dies ist ein Knast für die sorgeberechtigte Person und deren Kind Kapitel 6 Frauen und Knast.

Einige Bundesländer haben in ihren Strafvollzugsgesetzen die Möglichkeit für solche Einrichtungen nicht allein auf Mütter beschränkt. So hat Thüringen „Sorgeberechtigter“ (was auch den Vater – wenn sorgeberechtigt – einschließt) im Gesetz stehen. Sachsen benennt „Väter und Mütter“ für solche Einrichtungen. In Brandenburg ist von „Eltern“ die Rede und das Strafvollzugsgesetz von Hessen benennt die Möglichkeit einer Unterbringung mit Kindern für „Gefangene“.

Jedoch gibt es bisher nur in der JVA Waldheim in Sachsen eine Vater-Kind-Abteilung (Stand März 2015).

Welche Anforderungen für eine Unterbringung mit Kindern erfüllt sein müssen, erfährst du wie oben schon erwähnt in Kapitel 6 Frauen und Knast.

Eine Pflegestelle für dein Kind suchen

Die einfachste Möglichkeit, für dein Kind in der Zeit zu sorgen, wo du es selbst nicht kannst, ist, das Kind zu Verwandten – deinen Eltern, Geschwistern, zum Onkel, der Tante ... – zu geben. Dazu brauchst du keine Genehmigung des Jugendamtes, und das Jugendamt mischt sich in der Regel dabei auch nicht ein. Willst du nicht, dass dein Kind zu Verwandten kommt, kannst du vielleicht dein Kind bei Bekannten oder Freundinnen von dir oder zu sonstigen Leuten, die dein Kind aufnehmen wollen und die du für geeignet hältst, in Pflege geben. Nicht nötig ist, dass es sich hierbei um eine Familie handelt – genauso gut kann eine alleinstehende Person oder ein Paar dein Kind aufnehmen. Diese sogenannte „Pflege“ ist dem Jugendamt sofort anzuzeigen, und es muss die Genehmigung dazu geben! Wenn die Pflegepersonen nach Ansicht des Jugendamts dein Kind grob vernachlässigen, kann die Pflegeerlaubnis allerdings widerrufen und das Kind vorläufig woanders untergebracht werden; in der Regel wird das dann ein Heim sein. Davon musst du sofort benachrichtigt werden. Du hast dann – noch ehe das Vormundschaftsgericht etwas zu sagen hat – das Recht zu bestimmen, wohin dein Kind von da aus kommen soll. Wenn du selbst nicht mehr damit einverstanden bist, dein Kind der von dir ausgesuchten Pflegestelle zu überlassen, kannst du den mit den Pflegerinnen vereinbarten sogenannten „Pflegevertrag“ einfach widerrufen und das Kind zu dir nehmen oder es anderen Personen in Pflege geben. Beide Möglichkeiten – Verwandte und Pflegestelle – kannst du auch dann wahrnehmen, wenn du nicht mehr im Knast bist. Die einzige Voraussetzung ist, dass die Sorgeberechtigten (s. o.) eine solche Unterbringung ihres Kindes für dessen Wohl für gut halten. Gerade wenn die Gefahr besteht, dass du verhaftet werden kannst oder du dich aus irgendwelchen Gründen längere Zeit nicht um dein Kind kümmern kannst, solltest du rechtzeitig dafür sorgen, dass dein Kind versorgt ist, damit es gar nicht erst dazu kommt, dass es der Verwaltung durch die Ämter ausgesetzt wird und der Staat dein Kind an sich nehmen kann. Und was sehr wichtig ist: Solange du nicht Unterhalt zahlen kannst, muss das Jugendamt den Pflegerinnen Erziehungshilfe zahlen. Diese beträgt zurzeit etwa 200–275 € + Miete monatlich. Dein Kind ist also auch finanziell einigermaßen abgesichert.

Wenn dir das Sorgerecht entzogen wird

Schwieriger ist es, wenn dir das Sorgerecht entzogen wird oder das Vormundschaftsgericht das Ruhen des Sorgerechts angeordnet hat, eben weil du längere Zeit im Knast bist und sich keine um dein Kind kümmert. Das „Ruhen des Sorgerechts“ wird von einigen Gerichten schon nach recht kurzer Haftdauer, z. B. nach sechs Monaten, angeordnet. Andere Gerichte sehen während der U-Haft in der Regel von einer solchen Anordnung ab. Die Folge des Ruhens des Sorgerechts ist, dass das Vormundschaftsgericht für die Dauer deiner Haftzeit von sich aus eine Pflegerin oder auch einen Vormund bestellen kann, was dann regelmäßig das Jugendamt ist. Wenn du dich rechtzeitig um eine gesicherte Unterbringung deines Kindes bei Verwandten oder bei anderen Personen gekümmert hast, wird es dir eher gelingen, das Gericht davon abzubringen, das Kind von deinen Verwandten oder den Personen deines Vertrauens wieder wegzunehmen und es dem Jugendamt zu überlassen. Eventuell wird das Gericht dann auch erst gar nicht das Ruhen deines Sorgerechts anordnen. Notfalls kannst du auch die Personen, bei denen dein Kind nach deiner Ansicht gut aufgehoben ist, von dir aus als Vormund vorschlagen. Wenn sie selbst damit einverstanden sind, muss das Gericht diese als Vormund bestellen. Hast du dagegen bis jetzt niemanden für dein Kind gefunden oder dir bis jetzt darum keine Gedanken gemacht und wird nun das Ruhen des Sorgerechts angeordnet, bist du natürlich in einer schlechteren Lage. Du hast zwar nach wie vor das Recht, einen Vormund für dein Kind zu benennen – und das solltest du dir in jedem Fall auch überlegen – bzw. eine Pflegestelle vorzuschlagen. Das Gericht wird den von dir vorgeschlagenen Personen aber möglicherweise von vornherein misstrauen und an sie Anforderungen stellen, von denen es weiß, dass diese Personen sie niemals erfüllen können. Auf weitere Möglichkeiten – wie freiwillige Erziehungsbeistandschaft, Fürsorgeerziehung usw. – gehen wir hier nicht mehr ein.

Nochmal: Unter welchen Bedingungen Kinder an der Seite ihrer Mutter oder ihres Vaters im Knast aufwachsen können und welche Probleme damit verbunden sind, darüber Kapitel 6 Frauen und Knast.

2.5. Die Haftbedingungen in der
ersten Zeit (U-Haft)

Die U-Haft ist in der Regel Einzelhaft. Durch die Überfüllung mancher Knäste wird diese „Regel“ auch missachtet und Menschen werden dahin gesteckt, wo es gerade Platz gibt. Begründet wird die Einzelhaft damit, dass die U-Haft-Gefangene ja noch nicht rechtskräftig verurteilt ist und deshalb als unschuldig zu gelten hat. Die Einzelhaft soll also eine besondere Vergünstigung gegenüber den Strafgefangenen sein (zu dem Thema findest du auch etwas in Kapitel 23 Rechtsmittel in der U-Haft). Es gäbe also keinen Grund, die U-Haftgefangene nicht sofort und unbeschränkt mit anderen Gefangenen zusammenzulassen. Natürlich finden sich doch Gründe: Der „Zweck der U-Haft“ könnte sonst gefährdet sein. Du bist ja nicht allein deshalb inhaftiert worden, weil du einer strafbaren Handlung dringend verdächtigt wirst, sondern weil darüber hinaus angeblich „Flucht- oder Verdunkelungsgefahr“ (oder beides) oder die Gefahr besteht, dass du als „Wiederholungstäterin“ weitere Straftaten begehst. Sie werden dich oft mit der Begründung von anderen Gefangenen fernhalten, du könntest über Mitgefangene Zeuginnen beeinflussen, Beweismittel beseitigen lassen, Komplizinnen verständigen usw. Ein zweiter Grund, dich allein zu halten, ist die Gefährdung von „Sicherheit und Ordnung in der Anstalt“. Diese Floskel wirst du in der nächsten Zeit sehr oft zu hören bekommen; damit kann fast alles verboten und durchgesetzt werden.

Die Verhöre gehen weiter

Einen dritten Grund für deine Isolation in Einzelhaft wirst du kaum zu hören, dafür aber umso mehr zu spüren bekommen: das Interesse der Ermittlungsbehörden, aus dir etwas herauszubekommen. Was sie nicht schon unmittelbar nach der Festnahme erreicht haben, werden sie nun auf andere Weise weiter versuchen. Haben sie vorher noch versucht, deine unmittelbare Angst, deine Desorientiertheit, also den Überraschungseffekt der Festnahme auszunutzen, so kann es passieren, dass sie nun die Zeit für sich arbeiten lassen – mit Hilfe andauernder Isolation. Bist du im Zusammenhang mit deiner politischen Arbeit inhaftiert worden, hast du ein Verfahren wegen §§ 129, 129a StGB (kriminelle bzw. terroristische Vereinigung) am Hals, so musst du regelmäßig damit rechnen, dass diese Methode an dir ausprobiert wird. Stelle dich darauf ein, dass sie dich vielleicht öfter besuchen werden. Es kommt dabei vor, dass du von einer Beamtin mit den Worten: „Besuch für Sie“ oder „Ihre Anwältin möchte Sie sprechen“ aus deiner Zelle geholt wirst. In der Besuchszelle erwartet dich dann eine grinsende LKA-Beamtin (LKA= Landeskriminalamt) zum Verhör. Lass dich auf kein Gespräch ein! Nach wochenlanger Isolationshaft ist dein Bedürfnis, mit jemandem zu reden, so stark und deine Selbstkontrolle oft so schwach, dass du vorher nicht einschätzen kannst, wie so ein „Gespräch“ enden wird – und damit zu arbeiten, ist die stärkste Waffe der Verhörspezialistinnen. Außerdem: Wenn sie nur einmal das Gefühl bekommen, du könntest umfallen, dann lassen sie nicht mehr locker. Deshalb glaube nicht, wenn du ihnen irgendwas erzählst, dass du dann deine Ruhe haben wirst. Im Gegenteil: Dann geht es erst richtig los. Also: Sag in so einem Fall: „Danke, das war's dann“, dreh dich wieder um und verlange, auf deine Zeile geführt zu werden. Manche empfehlen, dem Druck dadurch auszuweichen, dass man anfängt, völlig uninteressante Geschichten zu erzählen, z. B. vom letzten Urlaub, von einem Film, den man gesehen hat, von einem Buch, das man gelesen hat. Davor ist aber zu warnen. Eine geschickte Verhörspezialistin wird auch für diese Themen Interesse zeigen, um erstmal ein Gespräch in Gang zu setzen und es an geeigneter Stelle in die richtigen Bahnen zu lenken.

Isolation und Rededruck

Je wichtiger du ihnen bist, desto hartnäckiger werden sie sein. Hat gar die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen übernommen, wirst du also als „Terroristin“ oder auch „Spionin“ eingestuft, dann musst du dich auf die ausgekochtesten psychologischen Tricks gefasst machen, bei denen alles, was sie von dir, deiner Persönlichkeit, deiner Vergangenheit, deinen Interessen, deinen Gewohnheiten und Schwächen in Erfahrung bringen konnten, gegen dich ausgespielt wird. Mit der zynischen, scheinheiligen Begründung, dich vor „Selbstmord“ bewahren zu wollen, versuchen sie manchmal zusätzlich, dich durch nächtliche Zellenbeleuchtung und häufiges nächtliches Wecken mürbezumachen. Denke daran: Die Hartnäckigkeit der Ermittlerinnen ist für dich ein Hinweis darauf, dass ihr Belastungsmaterial gegen dich oder die Mitverdächtigen noch sehr dürftig ist. Sieh zu, dass es dabei bleibt. Deine Gegenstrategie muss sich hauptsächlich darauf konzentrieren, den eigenen durch die Isolation hervorgerufenen Rededruck zu verarbeiten oder zumindest abzulenken und unter Kontrolle zu halten. Neben dem Bewusstsein, diese Methoden durchschauen zu können, können z. B. autogenes Training und ähnliche Konzentrationsübungen und auch Selbstgespräche in der Zelle ein brauchbares Mittel dagegen sein Kapitel 4 Einsamkeit und Isolation. Dass die Isolationshaft ein hervorragendes Mittel ist, Menschen zum Reden zu bringen, haben nicht nur die Ermittlerinnen in politischen Strafsachen erkannt: In mehreren U-Haftanstalten – und es ist zu befürchten, dass sich dies allgemein durchsetzen wird – ist daher eine „Eingewöhnungszeit“, d. h. eine generelle Isolationshaft für alle Neuzugänge, eingeführt worden. In der JVA Frankfurt-Preungesheim z. B. dauert diese Zeit zwei Monate. Nur beim allgemeinen Hofgang kommst du mit anderen Gefangenen in Kontakt. Die restlichen 23 Stunden am Tag bist du allein in der Zelle.

2.6. Die Umstellung auf das Leben im
Gefängnis

Eingesperrt zu sein ist für die meisten eine völlig neue Situation, an die sie sich nur mit Mühe und nur sehr langsam anpassen können. Es ist zunächst ungeheuer schmerzhaft, wie nach einer Operation. Es bedeutet, von allem angeschnitten zu sein, wovon man früher gelebt hat, nämlich von einer bestimmten Gemeinschaft mit anderen. Die Ängste und Schwierigkeiten der ersten Zeit rühren vor allen Dingen daher. Jeder Mensch lebt von den Gefühlen anderer Menschen. Die erste Zeit bedeutet also eine Umstellung, die nach dem völligen Bruch mit dem „Draußen“ notwendig geworden ist. Für eine solche Umstellung gibt es wohl je nach Charakter, eigener Vergangenheit und je nach Temperament verschiedene Wege. Dass du daran scheiterst, ist ebenso möglich, wie dass du dich behauptest. Nach einiger Zeit wirst du bei dir beobachten, dass die früheren Beziehungen, die du draußen gehabt hast, immer mehr in den Hintergrund rücken und sich zu neutralisieren beginnen. Sie werden schwächer. Was du da beobachtest, ist ein Hinweis darauf, dass du dich innerhalb der neuen Situation zurechtzufinden begonnen hast, dass du dich in ihr eingerichtet hast. Diese Veränderung, die du an dir bemerkst, ist etwas sehr Beeindruckendes. Sie bedeutet eine Anpassungsfähigkeit, die man so beschreiben könnte: Man ist fähig, sich in einer Situation, in der einem alles genommen ist, mit neuen „Gefühlsbesetzungen“ einigermaßen über die erste Zeit zu helfen. Welche Wege diese neuen Gefühle, aus denen eine Gefangene leben muss, nach lang dauernder Haft nehmen, darüber ist hier allerdings nichts gesagt. Die Gefühlsentwicklung einer Gefangenen wird immer etwas sehr Fremdartiges hervorbringen. Aber für ihr eigenes Leben wird sie immer normal bleiben, weil es nichts anderes gibt, woran sie sich halten könnte. Das „Übersetzen“ in diese Gefühlswelt der Gefangenen ist deshalb kein Verstoß gegen die Normalität, wie es manchen scheint, die zu sehr ihre eigenen Maßstäbe von sozialem Leben an das Dasein im Gefängnis anlegen. Sicher ist, dass man mit dem Festhalten an solchen Normen im Knast nicht überleben kann. Was draußen als gestört gilt, kann einer Gefangenen helfen, sich geistig, seelisch und körperlich ungestört zu fühlen. Beispielsweise gilt draußen die extreme Konzentration auf sich selbst als gestört, im Gefängnis ist sie unvermeidbar und wer „gesellig“ bleibt, wird zur Kranken ihrer Geselligkeit. Sie hält es in der Zelle allein nicht aus. Die auf den eigenen Körper gerichtete Sexualität gilt draußen als „mindere“ Form der Sexualität – im Gefängnis ist sie die Normalform.

Erarbeitung der neuen Umwelt

Dass man sich immer an die neue Umgebung anpassen wird, bedeutet nicht, dass man diese Anpassung nicht durch eine genauere Selbstbeobachtung und durch gezielte Versuche beschleunigen und verbessern müsste. Die Anpassung kann leicht dazu führen, dass eine ihre sozialen Beziehungen Stück für Stück aufgibt – auch im Knast. Ein Mittel der aktiven Anpassung – gemeint ist hier das Überleben und nicht die Unterordnung – wäre z. B., dass man seine Umgebung genauer beobachtet. Durch aktive Beschäftigung damit, kann einem zunächst die Angst genommen werden, die man vor der fremden neuen Umwelt hat. Die neuen Kenntnisse über die Situation machen sie schließlich so bekannt, dass man sich in ihr sicher bewegen kann. Das alles bedeutet eine Aneignung der Umgebung durch „Arbeit“. Auch in jeder Beziehung, die intensiv genug ist, ist so etwas wie Arbeit, Tätigkeit, Bewältigung enthalten. Die Arbeit an der neuen Umgebung kann bedeuten, dass man sich zunächst einmal ausreichend Kenntnisse über sie verschafft – Kenntnisse über die Menschen, über die Vorgänge und Funktionen, über den ganzen Betrieb des Knasts und Kenntnisse über andere Gefangene. Man nimmt das alles nicht einfach auf, sondern je intensiver dieses Forschen ist, umso mehr benötigt es das Schreiben, mit dem man Beobachtungen und Einschätzungen festhalten kann. Durch Schreiben kann man sich am ehesten seine neue Situation aneignen. Sie wird dadurch zu Gedanken und durch Gedanken zu etwas, das im eigenen Leben die wichtigste Rolle spielt: die eigene Absicht und Vernunft. Die Qual der Trennung von der früheren Umgebung lässt sich vermindern, wenn man versucht, durch die Bearbeitung dessen, was um eine herum ist, neue Probleme zu finden, die sich lösen lassen. Das sind die neuen Probleme von Beziehungen zu anderen, mit denen man sprechen kann, mit denen man tagtäglich zu tun hat. Das sind Notwendigkeiten, die unmittelbar auf der Hand liegen. Die Gefahr ist dabei, dass man die draußen zurückgelassenen Beziehungen, die sich weit entfernt haben, tatsächlich so bewältigt, dass man sie vergisst. Man wird versuchen, diese Beziehungen durch Briefe und Besuche festzuhalten – ob man es über lange Zeit tatsächlich kann, wird an der geistigen Intensität dieser Beziehungen liegen. Nur sie ist stärker als die Mauern.

Auch im Knast lebt man

Schmerzhaft an der neuen Situation sind vor allem die Übergänge und bestimmte Arten der Bewältigung des Übergangs von der alten in die neue Situation – und natürlich gibt es gescheiterte Formen der Anpassung, die mit Passivität, Beschränktheit auf sich selbst zu tun haben. Grundsätzlich kann sich der Mensch selbst an extreme Situationen anpassen. Es ist natürlich nicht möglich, sich an dauerndes Hungern, dauerndes Frieren usw. anzupassen, aber innerhalb einer physisch ertragbaren Umgebung ist die Anpassungsfähigkeit sehr groß. Diese Anpassungsfähigkeit wird also in der neuen Umgebung auch Vorzüge herausfinden und neue Möglichkeiten, die sie bedingt ertragbar machen. Es entstehen neue Gefühle, die nur mit dieser und keiner anderen Umgebung zu tun haben. Diese Überlebenschancen des Eingesperrtseins müssen also gefunden werden. Das bedeutet nicht, dass das Eingesperrtsein oder das Gefängnis irgendwelche Vorzüge hat, sondern lediglich den Zwang, unter dem man selbst steht, sich eine einigermaßen ertragbare Lage zu schaffen. Und sich schützen kann nur, wer sich eine solche ertragbare Lage schafft, zumindest eine solche, die sie seelisch verkraften kann. Aus einer absolut unerträglichen Lage wird niemand sich schützen können, weil sie auch das Denken und die Gefühle unerträglich macht und damit alle Handlungen konfus werden.

Möglichkeiten der Bewältigung

Man wird sich mit sich selbst viel mehr beschäftigen müssen als draußen. Man lernt sich besser kennen. Diesen Vorteil sollte man nicht einfach hinnehmen, sondern als Gelegenheit nutzen, mit sich selbst besser umzugehen zu lernen. Es könnte bedeuten, dass man sich eine bestimmte Art dieser Bewältigung, dieser Verarbeitung seiner Probleme aneignet. Diese sind z. B. Traumaufzeichnungen, Aufzeichnung dessen, woran man denkt, woran man sich erinnert, Notieren der eigenen Phantasien, Überlegung und Erinnerung der eigenen, persönlichen Geschichte. Dass man dabei vor plötzlichen Zellendurchsuchungen geschützt sein muss, ist selbstverständlich. Was im Hinblick auf den Prozess oder die dir vorgeworfene Tat belastend sein kann, schreibt man nicht auf. Eine weitere Möglichkeit, die hinzukommt und die genauso notwendig ist, wäre, sich auf seine Mitgefangenen besser einzustellen und sie nicht von vornherein als „Schmock“ oder Untermenschen anzusehen. Denn damit macht man genau das, was die Justiz mit einem selbst macht. Unter deinen Mitgefangenen wirst du bestimmt einige finden, mit denen du dich gut verstehst. Ausserdem wirst du umso weniger der Einbildung verfallen, dass die anderen – nur du nicht – zu Recht hierhergehören, je mehr du dich mit anderen abgibst und ihre Geschichte kennenlernst. Du wirst Überraschungen erleben. Wer dir vorgekommen ist wie eine, mit der du absolut nichts gemeinsam hast, kann deine beste Freundin werden. Eine dritte Gelegenheit, die die neue Situation zulässt, ist die geistige Arbeit, die Aneignung von neuem Wissen. Man kann die Stille der Zelle dazu benutzen, um zu lesen, sich Notizen zu machen und eigene Überlegungen aufzuschreiben. Damit kann man sich bis zu einem gewissen Grad über den Zustand der Bewegungslosigkeit, zu dem man verdammt ist, hinweghelfen. Man kann sich sogar vorstellen, dass geistige Arbeit die körperliche Beschränkung, das Eingesperrtsein im eigenen Körper, der Bedürfnisse hat, und im Knast, der alle Bedürfnisse erstickt, bis zu einem gewissen Grad ausschalten kann. Körperliche Bedürfnisse, das dauernde Bedürfnis nach Freiheit, Bewegung, Sexualität zu unterdrücken, ist sicher falsch. Aber es ist nicht unmöglich, seine Bedürfnisse in Phantasien auszuleben, die die weggenommene Freiheit auf eine subversive Weise wieder einfangen. Die Phantasie kann Wege gehen, die aus der Gesellschaft herausführen und nie mehr zu ihr zurückkehren – Irrwege der Entfernung oder der Anpassung –, aber als Drang, sich zu befreien, sind sie – ganz gleich, was aus ihrer Vorwegnahme eines Tuns später folgt – alle notwendiger Ausdruck eines Lebens und deshalb legitim. Sie würden einen großen Teil ihres Schreckens für andere einbüßen, wenn man nicht auch die Phantasiewelt der Gefangenen, als Äußerung ihres autonomen Schicksals, ihrer Ungebrochenheit und ihrer eigenen Kultur, mit Tabus und Strafen, Sprechängsten belegen würde. Erst das Unausgesprochene, am Aussprechen Gehinderte wird grausam – in der Form der Grausamkeit, die ein letzter verzweifelter und zum Scheitern verurteilter Versuch ist, Zuneigung von anderen zu erhalten. Deshalb ist es notwendig, seine Phantasien nicht nur zu träumen, sondern sie auch zu leben und auszusprechen, zu agieren. Dies alles sind Möglichkeiten, das Eingesperrtsein zu bewältigen – eine Verfeinerung eigenen Fühlens, Denkens und Handelns zu erreichen, die der äußeren Gewalt besser angepasst ist als eine gewaltsame Härte gegen sich und andere, „Abhärtung“, „dicke Haut“. Die Form des größtmöglichen Widerstands im Knast ist die, die den eigenen Widerstand verfeinert, d. h. fein verteilt handhaben kann, weil er sonst zerschlagen wird und nur blindes Anrennen, blinde Rebellion bedeutet, sinnlose Rebellion. Wir bilden uns nicht ein, damit irgendetwas Endgültiges gesagt zu haben. Das ist vielmehr nur ein erster, vielleicht gescheiterter, vielleicht aufgeblasener Versuch, zu diesem Thema doch etwas zu sagen, obwohl es schwer genug ist. Es ist auch eine Anregung für kritisches Nachdenken, mehr nicht. Außerdem ist es ein Erfahrungsbericht, also nicht ganz so ausgedacht, wie es vielleicht scheint.

3.
Die Gefangenen
unter sich

Die im Folgenden beschriebenen Erfahrungen stammen aus dem Männerknast. Zum gleichen Thema steht auch einiges im Frauenteil Kapitel 6 Frauen und Knast – Kinder und Knast.

3.1. Die Situation als „Neuzugang“ –
die erste Kontaktaufnahme

Begegnung mit den Hausarbeiterinnen

Die erste Kontaktperson in der Anstalt ist in aller Regel eine Hausarbeiterin – die Hausarbeiterinnen genießen allerdings das Vertrauen der Beamtinnen und sind ihre wichtigsten Zuträgerinnen von Informationen. Deshalb ist Zurückhaltung ihnen gegenüber unbedingt zu raten. Man kann allerdings die Hausarbeiterinnen fragen, wo welche Leute liegen, die man vielleicht kennt, wie man am besten einen Antrag adressieren und verfassen sollte, um schneller an eine Sanitäterin bzw. Ärztin ranzukommen, oder wie man zu Tabak kommt, wann Einkauf ist, welche Freizeitveranstaltungen es gibt und überhaupt über den inneren Betrieb. Dabei ist es vielleicht wichtig, über die Beamtinnen mehr zu erfahren: bei wem sollte man besonders aufpassen und welche sind eher „locker“. Die Hausarbeiterinnen wissen da am besten Bescheid. Sie kommen ja viel herum. Auch wenn sie selbst vertraulich auf einen zukommen, sollte man nichts im Vertrauen mit ihnen reden. Man sollte sie lediglich nach den Dingen, die man unbedingt wissen will, ausfragen und von sich aus nichts weiter mit ihnen reden. Man sollte ihnen nie mehr sagen, als das, was man auch einer Beamtin sagen könnte. Nicht irgendwelche Sprüche loslassen, die dann schon wieder irgendwo verwertet werden könnten, von der Staatsanwaltschaft zum Beispiel! Es kommt vor, dass die Hausarbeiterinnen unmittelbar für die Staatsanwaltschaft arbeiten, diese anrufen lassen und ihr die gehörten Neuigkeiten berichten. Fühlt man sich bei den Hausarbeiterinnen zu unsicher, dann sollte man lieber bis zum ersten Hofgang warten, wo man vielleicht jemanden findet, dem man einigermaßen vertrauen kann. Die Inhaftierung ist ein Ausnahmezustand, in dem generell zur Vorsicht geraten ist bei der Frage, wem du vertraust. Trotzdem ist dabei nicht zu vergessen, dass Hausarbeiterinnen auch Gefangene sind und man sie nicht alle pauschal als Spitzel sehen sollte; Die Gefangenen unter sich.

Anders sieht es aus, wenn man in Isolationshaft ist und mit den anderen Gefangenen bei keiner Gelegenheit zusammenkommt. Dann kann der kurze Kontakt mit der Hausarbeiterin wichtig sein: Du kannst sie in einer solchen Situation bitten weiterzusagen, dass du isoliert bist und wo du liegst. Natürlich auch wie du heißt. Es kann überlebenswichtig sein, dass die Mitgefangenen über die Hausarbeiterin von deiner Isolation erfahren. Du wirst es zum Beispiel daran merken, wie viel es für dich bedeutet, wenn dir eine Mitgefangene ein solidarisches Wort im Vorbeigehen durch die Zellentür zuruft.

Vorsicht vor Geschäftemacherinnen

Die Hausarbeiterinnen sind zugleich diejenigen, die mit den Neuangekommenen die besten Geschäfte machen, indem sie ihnen Tabak andrehen und sich dafür teuer bezahlen lassen. Die Neuen haben vielleicht eine gute Uhr, ein gutes Feuerzeug, das wird dann für ein bisschen Tabak abgeknöpft.

Der erste Hofgang

Der erste Eindruck ist die totale Fremdheit, der man ausgesetzt ist, wenn man zum ersten Mal Hofgang hat. Man kommt in einen Hof, in dem man auf andere Gefangene trifft. Man kennt niemanden. Man ist vielleicht zunächst ungeheuer neugierig, weil es der erste Tag ist, an dem man in den Hof kommt, während man vorher in einer Zelle allein gesessen hat. Es ist die erste Gelegenheit, wo man mit anderen Gefangenen richtig sprechen kann. Oder man ist so mit seinen eigenen Problemen beschäftigt, dass man sich ganz auf sich konzentriert und sich wenig um die anderen kümmert. Der erste Hofgang ist die erste Gelegenheit, etwas Genaueres über deine neue Umgebung zu erfahren. Dazu sollte man sich vielleicht schon in der Zelle bestimmte Fragen überlegen. Die Zeit, in der man mit anderen sprechen kann, ist kurz, und wenn du erst wieder in der Zelle eingeschlossen bist, musst du wieder einen Tag warten, um von anderen bestimmte Dinge zu erfahren, es sei denn, du erfährst sie durch Zurufen am Fenster.

Der erste Kontakt ist der schwierigste

Einige schaffen es nicht, einen ersten Kontakt zu finden, und hängen dann wochenlang ohne ein Gespräch mit anderen herum. Das ist aber die Ausnahme, und das liegt dann auch an den Einzelnen selbst, dass sie von sich aus nicht die Anstrengung machen, ihre Vereinzelung aufzuheben. Diese Anstrengung – und es ist wirklich eine Anstrengung – sollte man auf jeden Fall möglichst sofort machen. Andernfalls lebt man wie auf einem Bahnsteig. Und man wartet! Nur dass das Warten dann vielleicht unendlich ausgedehnt ist, für Monate und oft für Jahre. Im Hof läuft man gewöhnlich im Kreis. Es sind meistens mehrere, die nebeneinanderlaufen, und wenige laufen allein. Das sind meistens nur die Neuzugänge. Es gibt auch einen Knastausdruck: „Die geht mit der.“ Man wechselt auch öfter, aber diejenigen, die untereinander wechseln, bleiben auch unter sich. Normal ist, dass man in einer Gruppe von drei, vier, fünf Leuten ist, mit denen man abwechselnd im Hof geht. Man geht an einem Tag mit der, dann kommt eine andere aus der eigenen Clique hinzu, und die Erste geht dann mit einer anderen, aber die ist dann vielleicht wieder aus derselben Clique. Manchmal geht man zu zweit, manchmal zu dritt – und man kennt diese Leute, mit denen man immer geht, besser als alle anderen. Wie man in eine solche Gruppe hineinkommt oder wie man überhaupt zu einem ständigen Kontakt kommt: Oft beginnt das damit, dass man die andere fragt, ob sie was Bestimmtes hat, was man gerade braucht. Dann kommen die Fragen: Wann bist du hergekommen? Was glaubst du, dass du zu erwarten hast? Seit wann bist du hier? Wann hast du Prozess? Was hast du für eine Anwältin? – Das sind die ersten Gesprächsthemen. Es kann passieren, dass jemand nicht so nett ist und dich gleich fragt: Was hast du angestellt?

Hier ist vielleicht besser zu versuchen, so nah an der Wahrheit wie möglich zu antworten, ohne zu viel zu erzählen. Z. B. „Mir wird Betrug/Raub/Widerstand vorgeworfen.“ Dabei nicht vergessen, dass ALLES, was man sagt, zu den Ohren der Staatsanwaltschaft kommen kann. Siehe Weiteres darüber Kapitel 3.1.6 bis 3.1.8 Die Gefangenen unter sich.

Schlecht klingt: „Ich will dazu nichts sagen!“, „Das geht Dich nichts an!“ usw., weil ja ALLE wegen etwas dort sind, und du solltest dich nicht schämen. Wenn man nicht sagen möchte, warum man da ist, dann gehen Gerüchte rum, die viel schlimmer als die Wahrheit sein können. Die meisten anderen nehmen eigentlich gar keine Notiz von einem.

Sie gehen mit ihren Freundinnen, die sie vielleicht schon monatelang kennen, mit denen sie Themen haben, über die sie sich unterhalten. Und es drängt sie, wenn sie aus dem Zellenbau herauskommen, gleich das loszuwerden, was sie beschäftigt. Sie merken vielleicht erst gar nicht, dass da eine Neue ist. Das fällt ihnen erst im Laufe des Hofgangs auf, oder erst Tage später. Und die Neue ist unsicher, wie sie sich verhalten soll, in welche Richtung sie loslaufen soll. Man weiß nur, dass man im Kreis laufen muss. Und man läuft dann zunächst allein. Irgendjemand wird sie dann vielleicht ansprechen, sie fragen, ob sie gerade reingekommen oder auf Transport ist, ob sie Tabak hat. Man kann dann auch über die Schnorrerei Kontakt finden. Dann schleicht sich vielleicht eine andere an, erzählt ihr ihre Sache, wegen der sie sitzt – eben die üblichen Knastgespräche. Da wird die Unzufriedenheit abgeladen. Aber auf jeden Fall sind es die ersten Kontakte für eine, die niemand kennt. Es kommt oft vor, dass die Zugänge nicht zum ersten Mal im Knast sind, und dann kann man schon mal Bekannte treffen. Allerdings stößt es auf Unwillen, wenn man als ganz frisch Inhaftierte gleich die anderen nach ihrem Delikt ausfragt, weil sie sich dann ausgehorcht fühlen. Man sollte zuerst viel einfachere Fragen stellen, die kein Misstrauen provozieren. Geht jemand im Hof ständig allein, so sollte man rumfragen, ob sie immer so ist (vielleicht ist sie eine Einzelgängerin), und wenn die Sache nicht klar ist, auf sie zugehen und schauen, ob man irgendwie helfen kann.

Die ,,üblichen“ Knastgespräche

Es ist zunächst schwierig, ein Gesprächsthema zu finden. Die meisten Gefangenen in U-Haft sind fixiert auf ihre eigenen Sachen, weswegen sie eingesperrt sind – auf den Prozess, die Anwältin, den Knast. Alle Gespräche scheinen sich irgendwie um den Knast und um den Prozess zu drehen. In Strafhaft ist es hauptsächlich der Knast, und in U-Haft ist es mehr der Prozess. Auch die Dinge, die man vom Leben eines anderen erfährt, sind ja meistens Dinge, die mit dem Knast zu tun haben. Man erfährt, dass sie auch schon früher im Gefängnis war und dass der eine Knast so ist und der andere so. Vom Leben, das eine geführt hat, erfährt man lauter Verwaltungsbezeichnungen. Man erfährt ein Leben so, wie die Justiz es erzeugt hat, nämlich als eine Folge von Prozessen, Verwaltungsakten und Bestrafungen und außerdem Knast und nochmal Knast. Und das ist schwer zu durchbrechen. Man kann monatelang mit einer anderen im Hof laufen und jeden Tag eine Stunde mit ihr reden, bevor man erfährt, was sie draußen eigentlich gemacht hat – ob sie Familie hat, Kinder oder sonst was über ihr Leben. Das ist alles sehr im Hintergrund. Auch für sie spielt es nicht mehr eine so große Rolle. Trotzdem sind die Verhaltensformen untereinander im Hof nicht so anders als draußen. Denn der Knast ist auch ein Abbild der Gesellschaft draußen. Man wird also auch im Knast dieselben Gewohnheiten, dieselben Konflikte und auch Gespräche finden wie draußen. Auch im Knast hat man es mit bestimmten sozialen Gruppen und Klassen zu tun, die sich gegenseitig anziehen oder abstoßen. Je nachdem, welcher Schicht man selbst zugehört, wird man unter Umständen zu einer bestimmten Gruppe Kontakt finden oder nicht. Dabei kommt es auf mehr an als auf persönliche Anstrengung und guten Willen. Es kommt drauf an, ob man auch draußen zu einer bestimmten Schicht gehört hat und worauf sich die eigenen sozialen Sympathien richten. Bestimmte Gruppen von Gefangenen werden für einen selbst vielleicht immer unzugänglich sein. Hier sollte man sich nicht so aufzudrängen versuchen, vor allem nicht mit moralischen Urteilen.

Oft wirst du dich auch in einer Gruppe mit deinen „Landsfrauen“ wiederfinden, wenn du zum Beispiel einen türkischen, vietnamesischen oder sonst einen anderen Hintergrund hast.

Es gibt auch unter den Gefangenen Ausbeuterinnen und Augebeutete

Vor Geschäftemacherinnen sollte man sich auf jeden Fall in Acht nehmen. Solche, die aus Gewohnheit Geschäfte machen, mit denen sie andere ausnutzen, werden auch mit dem, was sie von anderen wissen, Geschäfte machen. Deshalb keine leichtfertigen Aussagen darüber, warum du im Knast bist! Es ist durchaus möglich, dass du denunziert wirst. Gegenseitiges Denunzieren kommt hier oft vor, es liegt in einer solchen Lage auch nahe. Es kann der rettende Strohhalm sein, an den sich eine klammert. Es gibt immer welche, die Gehörtes weitergeben. Sie tun es entweder aus Berechnung oder aus Dummheit und gewohnheitsmäßiger Unterwürfigkeit gegenüber Beamtinnen. Die Kripo spart nicht mit entsprechenden Angeboten und Druckmitteln. Viele fallen darauf herein und werden zu Verräterinnen.

Auch dir gegenüber ist man misstrauisch

Im Knast herrscht deshalb allgemeine Angst vor Verrat. Man sollte Verständnis dafür haben, dass andere Mitgefangene einem selbst gegenüber zurückhaltend und vielleicht sogar ziemlich misstrauisch sind. Offene Gespräche sind selten.

Kein Verfolgungswahn!

Trotz der üblen Erfahrungen, die viele im Knast mit ihren Mitgefangenen gemacht haben, sollte man sich vor übertriebenem Misstrauen und Verfolgungswahn hüten, denn im schlimmsten Fall kann auch gerade dieser Verfolgungswahn das provozieren, wovor man sich in Acht nehmen will – indem man ein derartiges Misstrauen um sich verbreitet, dass man sich das Misstrauen aller und vor allem die Abneigung aller zuzieht. Was unter Umständen bedeuten kann, dass man erst recht gelinkt wird. Außerdem ist diese Angst meistens tatsächlich übertrieben. Die du für eine Denunziantin hältst, die dich aushorchen will, kann jemand sein, die tatsächlich an dir interessiert ist. Sie wird durch ein solches offenes Misstrauen dann von dir zurückgestoßen. Es ist im Knast nicht anders als draußen. Nur: Draußen merkt man es nicht so. Aber auch draußen ist man ja vorsichtig bei Leuten, die man nicht kennt – und auch draußen würde man nicht offen über seine Straftaten sprechen oder über Dinge, die andere nichts angehen.

3.2. Gemeinschaftlicher Alltag

Das ,,Betriebsklima“ des Knasts

Es gibt in jedem Knast ein bestimmtes „Betriebsklima“. Und es gibt eine Art von Solidarität, auch wenn sie immer sehr zwiespältig ist. Einerseits ist da eine sehr beeindruckende Solidarität zwischen den Gefangenen, die viel größer sein kann als die Solidarität zwischen Menschen außerhalb eines Gefängnisses. Das ist die spontane Solidarität zwischen denen, die in einer gemeinsamen üblen Lage sind. Und das sind die Gefangenen alle. Diese gemeinsame Lage schafft ein ganz spontanes Gefühl der Zusammengehörigkeit. Man kann sie ebenso in der U-Haft wie in der Strafhaft finden, allerdings ebenso ihr Fehlen an manchen Stellen, in manchen Situationen, bei einzelnen oder Gruppen von Gefangenen. In der U-Haft kann für ein solidarisches Klima eine gewisse Ungebrochenheit und Widerstandsfähigkeit, kurz nach der Verhaftung auch ein besserer Gesundheitszustand ausschlaggebend sein. Andererseits herrscht hier auch eine gewisse Unverbindlichkeit wegen des ständigen Kommens und Gehens, das die Solidarität erschweren kann.

Die Ungewissheit der U-Haft (werde ich verurteilt oder nicht?) führt dazu, dass die Gefangenen insgesamt vorsichtiger sind und heftige Auseinandersetzungen mit anderen Gefangenen vermeiden. Diese Ungewissheit führt aber bei manchen auch zu Angst und Verrat.

Und bei der Strafhaft kann man sagen: Auf der einen Seite ist als positiver Faktor für das Entstehen von Solidarität die gemeinsame Perspektive durch längeres Zusammenleben und bessere gegenseitige Bekanntschaft; auf der anderen Seite aber ist in Strafhaft die Gefahr des Gebrochenwerdens gerade wegen dieser Aussicht auf eine längere Strafe und der damit verbundenen Hoffnung auf vorzeitige Entlassung (Zweidrittel, Halbstrafe) größer als in U-Haft. Das Klima der Solidarität ist deshalb weniger eine Frage des Knasts als eine Sache bewusster Aktivität, des Willens und der Persönlichkeit derer, die im günstigsten (oder ungünstigsten) Fall auf einer Station oder in einem Flügel aufeinandertreffen. Es ist jedenfalls sicher, dass einige wenige Gefangene, wenn die Bedingungen günstig sind, das Klima der Solidarität auf ihrer Station sehr verbessern können – ein Grund für die Knastverwaltung, sie zu trennen.

Solidarität und Unsolidarität

Für uns ist zunächst wichtig, wie man dieses „Betriebsklima“ überhaupt erkennt, wie man es einschätzen kann – durch welche Beobachtungen. Und vor allem, wie man auf dieses Klima selbst in seiner unmittelbaren Umgebung Einfluss nehmen kann. Dafür gibt es zunächst einen Maßstab der Beobachtung: die Tauschgeschäfte. In jedem Knast sind sie üblich. In der Art, wie sie üblich sind, ob sie etwas sind, was man dauernd um sich herum beobachtet, oder ob sie mehr im Hintergrund vorgehen, ob das ganze Klima von einer egoistischen Tauschhaltung, von Geschäftemacherei bestimmt ist oder ob das Klima von einer freundschaftlicheren Art ist – daran kann man ablesen, wie es beschaffen ist. Die Tauschgeschäfte sind die unterste Stufe dieser Solidarität, an diesem Punkt geht Solidarität in Unsolidarität, in Eigensucht über. Auch diese Tauschgeschäfte können einen unterschiedlichen Charakter haben. Sie können gegenseitige Ausbeutung sein, sie können auch gegenseitige Hilfe sein. Und im günstigsten Fall sind sie uneigennützige gegenseitige Hilfe und verlieren dadurch völlig den Charakter eines Geschäfts. Das Tauschverhalten im Knast sollte man deshalb nicht grundsätzlich ablehnen. Um zu verhindern, dass man hereingelegt wird, sollte man sich bei anderen Gefangenen nach den Preisen erkundigen. Es gibt im Knast eine „Währung“ – die Tabakwährung. Was etwas kostet, wird am Wert eines Päckchens Tabak gemessen. Das ist aber nicht der Einkaufswert des Tabaks, sondern der Wert, den er im Knast hat.

Es gibt allerdings auch die konkrete und alltägliche Unsolidarität, eine alltägliche fürchterliche Gleichgültigkeit für alles, was andere angeht. Sie bestimmt die ganze gewöhnliche Sprache, den Umgangston. Was andere angeht, ob die in den Bunker kommen, ob die keinen Tabak haben, ob sie eine hohe Strafe verpasst bekommen – wie man das ausdrückt, wie man miteinander darüber redet, das wird bestimmt von einer furchtbaren Vereinzelung, die im Knast gleichzeitig herrschen kann. Tatsächlich ist das Klima in den einzelnen Knästen, Abteilungen und von Zeit zu Zeit innerhalb dieser Knäste und der Abteilungen immer ein anderes. Es fällt und steigt wie die Temperatur. Es ist also beeinflusst durch das Verhalten von Einzelnen und von Gruppen. Die Solidarität ist etwas sehr Zwiespältiges und oft Verborgenes, eine Schicht der Knastgemeinschaft, die nicht immer oben ist, sondern unterhalb einer ganz anderen Art, miteinander umzugehen. Dieses innere Klima eines Knasts ist auch etwas sehr Flexibles. Es lässt sich verändern. Die Beamtinnen, die Verwaltung, aber hauptsächlich die Gefangenen selbst stellen es her, und es ist damit ein Prozess, den man zu durchschauen versuchen sollte, um Einfluss zu nehmen. Man sollte jedenfalls nicht in den Fehler verfallen, dieses Klima der alltäglichen Unsolidarität, wie man es zunächst bemerken wird, als Beweis zu nehmen, dass es im Gefängnis überhaupt keine Solidarität gäbe.

Was Gefangene gemeinsam tun können

Das „Betriebsklima“ des Knasts ist von der Institution ebenso mitbestimmt wie von den Gefangenen selbst – und damit von den Möglichkeiten, die die Gefangenen haben, zusammenzukommen, miteinander zu sprechen, sich kennenzulernen. Diese Möglichkeiten werden mit Absicht beschränkt. Diese Kommunikation spielt sich ab bei einerseits beaufsichtigten und reglementierten Gelegenheiten, andererseits aber auch in den Zwischenräumen der totalen Kontrolle, die im Knast herrscht. Beaufsichtigt ist zwar alles, aber nicht alles lässt sich eben beaufsichtigen. Der größte Teil der Kommunikation der Gefangenen entzieht sich der Kontrolle durch die mächtige Verwaltung: die Gespräche, die Kassiber usw. Es gibt die offiziellen Einrichtungen der Kommunikation:

In Strafhaft hat man in manchen Knästen einen Aufschluss der Station von Zeit zu Zeit. Das bedeutet, dass die Zellen für einige Stunden offen bleiben, während Umschluss bedeutet, dass man eine andere Gefangene auf der Zelle „besucht“ oder sie dich. Hierzu kann man sich gut beim Hofgang verabreden.

Die nicht offizielle Kommunikation

Neben diesen „erlaubten“ Möglichkeiten, etwas zusammen zu tun, gibt es solche, die üblich sind, obwohl sie unerlaubt sind. Dazu gehört das Sprechen am Fenster. Schon am ersten Tag im Knast wird man merken, dass der Knast sich mit sich selbst unterhält. Man spricht von Zellenfenster zu Zellenfenster. Jeder Knast führt so ein Selbstgespräch, das Gespräch aller, die abends, wenn sie eingeschlossen sind, am Fenster hängen und mit ihrer Nachbarin oder mit einer unten oder oben oder manchmal quer über die ganze Zellenhausfront reden. Das geht bei alten Gefängnissen genauso wie bei neuen.

Im Knast hat man als Neuling, die nur die aggressiven Geräusche des Zellenhauses hört, das Gefühl, dass sich jeden Moment eine Bedienstete auf eine stürzen könnte. Z. B. wenn man am Fenster quatscht. Das ist eine Täuschung. Orientiere dich lieber an dem, was andere machen, und nicht an deinen eigenen Befürchtungen. Das Pendeln ist ebenso in allen Knästen üblich, wird allerdings von den Bediensteten immer zu verhindern versucht. Unter Pendeln versteht man das gegenseitige Zuwerfen eines Gegenstands, der an einer Schnur (Pendelschnur), notfalls noch mit einem Gewicht daran, befestigt ist. Gependelt wird von Fenster zu Fenster. Es ist schwierig, wenn die Fenster mit einem Maschendraht verbaut sind oder wenn Sichtblenden davor sind. Aber auch da finden immer welche eine Möglichkeit. Man muss natürlich damit rechnen, besonders bei Sachen, die sich am Fenster abspielen, dass man von den Wachhabenden im Hof gemeldet wird, die mit einem Fernglas die Fenster absuchen. Ein weiteres übliches Mittel, mit anderen in Verbindung zu kommen – wenn ihre Zellen zugeschlossen sind, sie isoliert sind oder auf einer anderen Station liegen – ist ein Kassiber, ein Stück beschriebenes Papier, das meistens winzig klein ist, um es notfalls aufessen zu können, und das man entweder selbst durch eine Tür schiebt oder von einer Hausarbeiterin bzw. einer anderen Gefangenen überbringen lässt. Wenn Hausarbeiterinnen die Zuträgerinnen sind, kann das allerdings riskant sein. Aber Hausarbeiterinnen sind dafür oft die letzte Möglichkeit.

Es gibt sicher noch eine Vielzahl anderer Verständigungsmöglichkeiten unter Ausnutzung der besonderen Bedingungen in den verschiedenen Anstalten. Nach der Hausordnung ist diese Art der Kommunikation verboten und kann mit Hausstrafen belegt werden (von TV- oder Einkaufsverbot bis hin zu Isolationshaft – dem sogenannten „Bunker“). Aber die Hausordnung ist in vielen Punkten nur dazu da, um zu zeigen: Wir können euch alles verbieten, wenn wir wollen. Wenn diese Hausordnungen strikt von den Bediensteten eingehalten würden, wäre u. U. auch das Weitergeben von Zeitungen und das Aus-dem-Fenster-Sehen, ja oft selbst das Sprechen verboten, was zum Glück noch nicht der Fall ist. Die Bediensteten versuchen ihr Bestes, das alles zu verhindern. Aber das liegt an den Vorschriften: Wenn sie übertrieben sind, dann sind sie eben nur durch übertriebene Anstrengung einzuhalten, und die Beamtinnen scheuen die übertriebene Anstrengung Kapitel 8.1. Hausstrafen.

Möglichkeiten gemeinsamen Handelns

Im Folgenden sollen einige Dinge aufgeführt werden, die als Möglichkeiten gemeinsamen Handelns von Gefangenen vorgeschlagen worden sind und womit auch bereits Erfahrungen gemacht wurden. Es sind Dinge, die im Knast zum Teil üblich sind, also nichts, was man sich erst ausdenken müsste.

Sich um Neue kümmern

Sehr wichtig ist, dass man sich um Neuzugänge kümmert, da die meistens noch keinen Einkauf haben – dass man ihnen die notwendigsten Dinge wie Tabak, Kugelschreiber, Papier, Kuverts, Briefmarken usw. beschafft. Man kann sehr leicht erfahren, wer ein Neuzugang ist (man sieht, wenn eine Zelle neu belegt wird), und man wird wissen, was sie braucht, wenn man sie fragt. Diese Hilfe wird auch öfter ausgedehnt zu einem Fonds für Tabak. Manchmal legen mehrere Leute zusammen, um dem Neuzugang etwas abzugeben. Sehr oft stößt man auf Unverständnis und Misstrauen: „Warum willst du mir helfen? Was willst du dafür von mir?“ Man sollte sich aber davon nicht abschrecken lassen und die Hoffnung verlieren. Es ist normal, wenn jemand neu in einer unbekannten und bösen Realität landet, misstrauisch zu sein. In solchen Fällen sollte man direkt darüber sprechen, die Neuankommende versuchen zu beruhigen und ihr zu erklären, dass man nichts von ihr will. Danach in Ruhe lassen. Bald wird die Neue wieder kommen und deine Hilfe selbst suchen.

Schreibarbeiten

Eine andere Möglichkeit ist die gegenseitige „Dienstleistung“ mit Schreibarbeiten. Diejenige, die eine Schreibmaschine hat, wird sowieso von anderen angegangen, ob sie nicht Anträge, Beschwerden, auch Briefe tippen kann. Man sollte das nicht ablehnen. Es ist eine gute Möglichkeit, jemanden besser kennenzulernen und auch jemandem zu helfen. Es kann einer anderen unter Umständen sehr helfen, wenn man ihre Sachen nicht nur abschreibt, sondern auch mit ihr darüber redet, die Anträge vielleicht, wenn es nötig ist, umformuliert, verbessert, ihr bestimmte juristische Bücher dafür gibt und ihr Vorschläge macht, was man in ihrem Fall unternehmen könnte. Auch ohne Schreibmaschine kann man anderen helfen! Z. B. Analphabetinnen oder Nichtdeutschsprachigen – keine Beamtin der Welt wird sich die Zeit nehmen, um für jemanden einen Antrag zu schreiben. Während des Hofgangs kann man schnell das Wort verbreiten, dass man gerne Anträge schreibt, und in kurzer Zeit werden sich bei dir Menschen melden. Das Schreiben für andere spielt eine wichtige Rolle im Knast, gerade angesichts der ständigen Unterbrechung der Kommunikation durch die Einschließung in den Zellen. Die Vereinzelung wird auch durchbrochen durch Briefe nach draußen, die man für andere schreibt – durch Schriftsätze, Schreiben an Rechtsanwältinnen, Presse usw.

Lesematerial weitergeben

Eine gute Möglichkeit, mit anderen zusammenzuarbeiten, ist auch, eine Zeitung zu verteilen und dafür zu sorgen, dass sie an möglichst viele Leute weitergegeben wird, vor allem wenn es eine Tageszeitung ist, Tageszeitungen sind sehr begehrt und man sollte die Verteilung so organisieren, dass sie nicht von einer, der man sie gegeben hat, unter den Nagel gerissen wird, sondern dass sie möglichst viele lesen.

Du kannst deine Fähigkeiten für andere einsetzen

Man kann seine eigenen Fähigkeiten – vor allem wenn es berufliche Fähigkeiten sind – für andere verwenden. Wenn man z. B. Krankenpflegerin ist, kann man sich um die Gesundheit seiner Mitgefangenen kümmern. (Das kann man allerdings auch, wenn man keine Krankenpflegerin ist, aber den medizinischen Teil dieses Ratgebers studiert hat.) Wenn man juristische Kenntnisse und die entsprechenden Bücher hat, kann man sie für andere verwenden. Man muss eben sehen, welche Fähigkeit man für andere einsetzen kann. Auch damit wird man nicht nur den anderen helfen, sondern sich selbst die Öde des Alleinseins vertreiben können. Wenn man Fremdsprachen beherrscht, kann man das für ausländische Gefangene, die oft nicht oder zu wenig Deutsch sprechen können, übersetzen.

Gemeinsamer Einkauf

Eine Möglichkeit, die schon oben angedeutet worden ist, ist der Gemeinschaftseinkauf. Das ist etwas, was denen, die kein Geld haben, unmittelbar nützen kann. Dazu Näheres Kapitel 9.4 Geld und 9.5. Einkauf.

Überlebenshilfe

Eine sehr wichtige Sache ist noch die Hilfe für isolierte und von Hausstrafen betroffene Gefangene. Lies dazu Kapitel 8 Sicherheit und Ordnung.

Interner Knastratgeber

Wenn man eine Schreibmaschine hat und einigermaßen in einem Knast Bescheid weiß, kann man – mit anderen zusammen – vielleicht einen internen „Knastratgeber“ herstellen, den man auf Durchschlagpapier oder auf sonstige Weise vervielfältigt und an andere verteilt Kapitel 3.8. Anstaltszeitungen. Man kann Muster von Dienstaufsichtsbeschwerden, von Strafanzeigen, von Briefen an die Presse und von anderen immer wiederkehrenden Sachen aufsetzen. Man kann durch ein Beispiel zeigen, wie man einen Antrag auf Haftunfähigkeit schreibt. Im Rechtsteil findest du einen Musterantrag zur Haftunfähigkeit. Man kann Ratschläge für den Umgang mit Anwältinnen und Richterinnen im Prozess geben und andere Ratschläge, die einen unmittelbaren Gebrauchswert in der U-Haft haben. Dasselbe kann man auch in Strafhaft tun. Dabei sollte man vor allen Dingen auf lokale Besonderheiten eingehen, was wir in unserem Ratgeber nicht tun können, z. B. auf die Eigenarten bestimmter Beamtinnen und bestimmter Vorschriften. Das sind natürlich noch nicht alle Möglichkeiten, sondern nur einige Beispiele. Wenn man noch andere Möglichkeiten sucht, wird man sie auch mit Sicherheit finden. In den folgenden Abschnitten noch einmal etwas Genaueres zu den wichtigsten offiziellen Gemeinschaftsveranstaltungen und anderen Möglichkeiten zusammenzukommen und was man daraus machen kann.

Anderen helfen erfüllt den grauen traurigen Alltag des Knastes mit Sinn. Außerdem ist die Freude unbeschreiblich, wenn man sieht, dass die Beamtin sich ärgert, weil du den Antrag der Neuen, die kein Deutsch spricht, korrekt ausgefüllt hast und sie sich deswegen bewegen muss.

3.3. Möglichkeiten, sich verlegen zu lassen

Die Gemeinschaftszelle

Grundsätzlich soll sowohl U-Haft als auch Strafhaft als Einzelhaft vollzogen werden. In U-Haft ist der Grund, dass du ja unschuldig sein kannst und nicht mit „bösen Kriminellen“ zusammenleben sollst. In Strafhaft ist der Grund die Menschenwürde. Andererseits gibt es noch in vielen, vor allem alten Knästen Doppelzellen. Es hängt dann von den Kapazitäten ab, ob du in eine Einzelzelle oder Doppelzelle kommst.

Die Einzelzelle ist an sich genauso vorteilhaft oder mit Nachteilen behaftet wie die Gemeinschaftszelle, je nachdem, welcher Typ man ist. Es gibt solche, die es in Gemeinschaftszellen nicht aushalten, und solche, für die die Einzelzelle die Hölle ist. Das liegt in erster Linie an einem selbst, an der Art, wie man eben auf bestimmte Umgebungen reagiert.

Um in eine Gemeinschaftszelle zu kommen, muss man einen Antrag an die Anstaltsleitung stellen.

Als Begründung dürfte am erfolgversprechendsten sein: Krankheit, Depressionen und Ähnliches – vor allem dann, wenn die Zusammenlegung auch von der Anstaltsärztin befürwortet wird. In der Regel wird man jedoch nicht mit irgendwem zusammengelegt werden wollen, sondern hat sich schon mit einer bestimmten Mitgefangenen, die gleichzeitig eine Gemeinschaftszelle beantragt – oder in deren Gemeinschaftszelle ein Platz frei geworden ist –, abgesprochen. Man braucht aber eine Menge Glück, um nun tatsächlich mit derjenigen zusammengelegt zu werden.

Es kann daher sinnvoll sein, noch eine plausible Begründung dafür zu überlegen, warum man mit einem bestimmten Menschen zusammen sein will: Problematisch ist es, zu erklären, dass man sich schon von früher kennt – die Anstaltsleitung wittert dann gleich Komplizenschaft. Geschickter ist es, man sagt einfach, dass man sich hier im Knast kennengelernt hat, dass man in derselben Gemeinschaftsgruppe oder am selben Arbeitsplatz ist und gut miteinander auskommt. Am besten verbindet man diese Begründung noch mit der Hilfsbedürftigkeit der einen (wegen Krankheit, Sprachschwierigkeiten usw.) und Hilfsbereitschaft der anderen. Erwecke aber nicht den Anschein, dass ihr euch allzu sehr mögt – auch wenn es der Fall ist. Erkläre, dass ihr gemeinsame (Bildungs-)Interessen habt, zusammen Sprachen lernen wollt usw. Vielleicht lässt sich auch eine gutwillige Psychologin, Sozialarbeiterin oder Pfarrerin dazu bewegen, den Antrag zu unterstützen. Besonders gut ist es auch, wenn man den Antrag mit den zukünftigen Resozialisierungsaussichten begründet (z. B. gemeinsam Sprachen lernen, sich über die gemeinsame berufliche Entwicklung unterhalten und gegenseitig unterstützen).

Ein weiterer guter Grund ist Umschluss, soziale Kontakte und aufgrund dessen mit einer Landsfrau eine Doppelzelle zu beantragen. Da du ja als U-Häftling einen Anspruch auf eine Einzelzelle hast, kannst du jederzeit deinen Antrag zurückziehen und wieder eine Einzelzelle verlangen. Diese Aussicht auf lästige Arbeit kann in manchen Fällen für sie ein Beweggrund sein, dir lieber gleich nachzugeben. Allerdings werden sie diese Mühe gerne auf sich nehmen, wenn sie damit rechnen, sich sonst eine kleine subversive „Zelle“ in den Knast zu pflanzen. Auch in Strafhaft hast du mittlerweile in allen Ländern ein Recht auf eine Einzelzelle, wobei es ein paar Ausnahmen gibt, darunter meist die schwammigste: „wenn die Organisation der Anstalt es erfordert“. Bekommt man keine Einzelzelle, kann man gesundheitliche Gründe anführen; oder auch andere Gründe, z. B. Fortbildung (man braucht Ruhe zum Arbeiten), oder man erklärt einfach, mit seiner Zellengenossin nicht klarzukommen. Auch wenn dies nicht stimmt, ist es sinnvoll, wenn diese deine Verlegung mit der gleichen Begründung ebenfalls beantragt. Wenn alles nichts hilft, packt man einfach sein Bündel zusammen, stellt sich in der Freistunde damit vor die Tür und weigert sich, die Zelle wieder zu betreten. Man riskiert dabei zwar, einige Stunden in die Absonderung zu kommen – aber es soll ganz wirkungsvoll sein. Auch die Beamtinnen haben keinen Bock auf Stress. Wenn sie befürchten, dass es Streit in der Zelle gibt, hast du ganz gute Chancen auf einen Wechsel.

Stationswechsel

Ebenfalls sehr schwierig ist es, einen Stationswechsel durchzusetzen. Willst du das, weil du auf der anderen Station Leute gut kennst und mehr mit ihnen zusammen sein willst als nur beim Gottesdienst, dann wird es sinnvoll sein, gerade das nicht als Grund anzugeben. Suche möglichst „harmlose“ Gründe. Dazu musst du dich vorher genauestens erkundigen, wie es auf der betreffenden Station aussieht. In Frage kämen folgende Begründungen:

Verlegung in eine andere Anstalt

Als Begründung kommt in Frage, dass die Entfernung zu den draußen lebenden Angehörigen so groß ist, dass regelmäßige Besuche nicht möglich sind. Diese Begründung kann man auch auf Ehepartner*innen beziehen, die ebenfalls inhaftiert sind, und wenn die Entfernung zwischen den Knästen regelmäßige Besuche nicht zulässt. Man könnte auch versuchen, den Antrag damit zu begründen, dass man eine bestimmte Aus- und Weiterbildung unternehmen will und dies hier nicht möglich ist. Allerdings wird man mit dieser Argumentation in U-Haft kaum Erfolgsaussichten haben. In Strafhaft gewinnt vor allem das Argument der Aus- und Weiterbildung größeres Gewicht. Doch auch familiäre Gründe sind in Strafhaft von größerer Bedeutung als in U-Haft, denn erst in Strafhaft gibt der Staat vor, dich „resozialisieren“ zu wollen.

3.4. Die offiziellen Gemeinschafts-
veranstaltungen

Die Teilnahme an Sport-, Bastel- und anderen Gruppen wird meist von deiner „Führung“ abhängig gemacht. Sie wird somit wie jede „Vergünstigung“ als Disziplinierungsmittel verwendet. Dennoch sollte man ruhig versuchen, in möglichst viele Gemeinschaftsveranstaltungen hineinzukommen, denn sie bieten neben dem kurzen Hofgang eine weitere Möglichkeit, zusammenzukommen, miteinander zu reden, Informationen auszutauschen, Probleme gemeinsam anzugehen – auch wenn das nicht das Thema der Freizeitgruppe ist. Welche Gruppe sinnvollerweise besucht werden sollte, hängt von den speziellen Bedingungen in der jeweiligen Gruppe ab – und natürlich auch von deinen Interessen. Informiere dich deshalb bei deinen Mitgefangenen darüber, wie die verschiedenen Gruppen ablaufen. Wichtig zu erfahren ist, wer die einzelnen Gruppen leitet, ob es eine Vollzugsbeamtin ist oder z. B. eine ehrenamtliche Mitarbeiterin von draußen, was in der Regel günstiger ist, wie sehr man dort beobachtet und kontrolliert wird, ob eine zusätzliche Aufpasserin dabei ist, wie stur die Gruppenleiterin ist usw. Wenn sich nachher mehrere in der Gruppe dafür einsetzen, dass z. B. die erste halbe Stunde für Gespräche untereinander freigegeben wird, so gelingt es manchmal, dies durchzusetzen. Es gibt in den Gruppen eine begrenzte Teilnehmerinnenzahl und natürlich viel zu wenig derartige Gruppen. Das hat zur Folge, dass man sich oft in eine Warteliste eintragen muss. In manchen Knästen gibt es eine Beschränkung der Anzahl an Gruppen, an denen man teilnehmen darf. Es ist deshalb sinnvoll, die Teilnahme so schnell wie möglich zu beantragen, sonst kann es dir passieren, dass du den Knast verlässt, bevor du überhaupt an der Reihe warst.

Wie man in der U-Haft in Gruppen kommt

Besonders schwierig ist es in der U-Haft, in eine solche Gruppe zu kommen, wegen der langen Wartelisten und wenigen Angebote, die es hier gibt.

Du musst einen Antrag direkt an das Schulzentrum, wo die Gruppen organisiert werden, oder an die Anstaltsleitung schreiben. Um so schneller du das machst, umso besser, am besten gleich in den ersten Tagen.

Die Beamtinnen sind in der Regel verpflichtet, dir eine Informationsbroschüre zu geben, in der alle Gruppen aufgelistet sind. Aber in Haft haben nur die Gefangenen unausweichliche Pflichten. Die Beamtinnen können immer eine Ausrede finden. Dann musst du die Hausarbeiterinnen fragen oder bis zum ersten Hofgang warten und dich dann über die Gruppen informieren.

Wenn du mit einem „schwarzen Punkt“ (OK – organisierte Kriminalität) abgestempelt bist, hast du eine generelle Gemeinschaftssperre. Versuche es trotzdem. In der U-Haft musst du, wenn du einen schwarzen Punkt hast, zunächst einen Antrag zur generellen Genehmigung der Teilnahme an Gemeinschaftsveranstaltungen an die für dich zuständige Richterin stellen. Wird der Antrag abgelehnt, dann versuche, wenn du die Ausdauer dazu hast, dich mit rechtlichen Mitteln dagegen zu wehren. Wie du dabei vorgehen musst, kannst du dem „Rechtsmittelteil“ Kapitel 21–26 Rechtsmittel entnehmen. Hast du die Genehmigung erhalten, so musst du noch ein „Anliegen“ oder einen „Vormelder“ an die Anstalt richten, mit der genauen Angabe der gewünschten Veranstaltung. Für den Fall der Überfüllung kann es auch sinnvoll sein, Ausweichmöglichkeiten anzugeben, wenn es solche gibt.

Wie man in Strafhaft in Gruppen kommt

Hier musst du dich gleich an die Anstalt wenden. Oft werden bereits während der Aufnahmeuntersuchung die „geeigneten“ Gemeinschaftsveranstaltungen für dich ausgesucht. Das Dumme daran ist, dass du zu diesem Zeitpunkt ja noch keine Gelegenheit hattest, dich über die verschiedenen Gruppen bei kompetenten Leuten – also bei deinen Mitgefangenen – zu informieren. Deshalb solltest du nicht zögern, neue Anträge zu stellen, wenn die Vorabentscheidungen Missgriffe waren. Versuche sie notfalls mit weiteren Rechtsmitteln durchzusetzen (siehe hierzu den Rechtsmittelteil).

Veranstaltungen

Neben den typischen, meist wöchentlich stattfindenden Gruppen gibt es hin und wieder (meistens über Weihnachten und Ostern) einmalige Veranstaltungen wie Filme, Theaterstücke, Musikauftritte usw., die es ermöglichen, auch mal mit Gefangenen zusammenzukommen, die man sonst nicht treffen kann, weil sie auf einer anderen Station untergebracht sind.

Kurse

Von Bedeutung für dich können auch die verschiedenen Kurse sein, die neben der Möglichkeit der Kommunikation auch von ihrem Inhalt her ganz brauchbar sein können: Erste Hilfe, Computer, Gitarre, Sprachen usw. Es gibt auch hier viel zu wenig Angebote. Versuche daher zusammen mit anderen Gefangenen, die die gleichen Interessen haben, durchzusetzen, dass neue Kurse eingerichtet werden. Rücke der Sozialarbeiterin, die meistens dafür zuständig ist, auf den Pelz. Sucht sie, wenn es möglich ist, mit mehreren zusammen auf oder, wenn das nicht geht, hintereinander. Nimm Kontakt mit kompetenten und vertrauenswürdigen Leuten draußen auf (z. B. einer Ärztin), die sich bereit erklären würden, „ehrenamtlich“ einen solchen Kurs (z. B. Erste Hilfe) durchzuführen. Kündige an, dass du dich an die Öffentlichkeit wenden wirst, wenn eure Forderung ignoriert wird.

Vieles kannst du dir natürlich auch allein aneignen: mit Hilfe von Sprachlehrbüchern und anderen Fachbüchern, die du vielleicht sogar in der Anstaltsbibliothek findest. Aber du wirst oft das Bedürfnis haben, mit anderen über das Gelernte zu diskutieren und gemeinsam zu arbeiten. Du kannst aber auch versuchen, Kurse selbst zu organisieren: Beantrage einen regelmäßigen Sonderumschluss z. B. zum Sprachenlernen mit anderen Gefangenen zu diesem Zweck. Versuche das gegebenenfalls auch rechtlich durchzusetzen. Wie groß die Chancen sind, wissen wir allerdings nicht. Eine andere Möglichkeit ist, mit interessierten Mitgefangenen die Zusammenlegung auf eine Gemeinschaftszelle zu beantragen. Du wirst feststellen, es geht notfalls auch ohne „Fachfrau“, wenn man gemeinsam ein Buch durcharbeitet und die unklaren Dinge diskutiert. Wie man dabei am besten vorgeht, hängt von dem Fachgebiet, den zur Verfügung stehenden Lernmaterialien und den eigenen Absichten ab. Z. B. kann eine laut vorlesen und anschließend wird der Stoff abschnitt- oder kapitelweise besprochen. Das ist insbesondere bei schweren Texten sinnvoll. Oder aber es bereitet sich jedes Mal eine andere besonders gründlich vor und referiert dann den anderen. Man muss eben ausprobieren, welche Arbeitsmethode sich am besten eignet.

In manchen JVAs gibt es auch Musikbands. Falls du ein Instrument ein bisschen spielen kannst oder Lust zu singen hast, kannst du dich dafür auch melden.

Berufsausbildung

Neben dem Aneignen von Wissen und Fertigkeiten, die dich interessieren oder die dir nützlich erscheinen, besteht noch die Möglichkeit, eine Berufsausbildung oder einen bestimmten Schulabschluss zu machen. Darauf wird in den Kapiteln 9.1. und 9.2. über Arbeit im Knast eingegangen – insbesondere auf das Verhältnis von Arbeit und Ausbildung im Knast (Befreiung vom Arbeitszwang bei einer Ausbildung und finanzielle Vorteile).

3.5. Gottesdienst, Seelsorge,
religiöse Arbeitskreise

Gottesdienst und Seelsorge sind vom Grundgesetz her auch im Knast besonders geschützt. D. h., dass euch Gespräche mit der Pfarrerin und Teilnahme am Gottesdienst kaum verweigert werden können.

Der absolute Anspruch auf Kontakt mit einem Seelsorger der eigenen Konfession wird in den Strafvollzugsgesetzen garantiert (z. B. §§ 40, 41 StVollzG NRW). Das bedeutet, dass das unüberwachte Gespräch mit dem Pfarrer – in der Regel auch in dessen Dienstzimmer – garantiert ist und durchgesetzt werden kann. Jedes seelsorgerliche Gespräche mit einem Pfarrer steht unter der besonderen Schweigepflicht. Von dieser Schweigepflicht kann er nur von euch selbst entbunden werden. Die Pfarrerin ist die Einzige im Vollzug, deren Schweigepflicht absolut ist; d. h., sie darf nicht über den Inhalt eurer Gespräche reden, auch wenn es dabei um Straftaten, Prozessrelevantes oder andere Dinge geht, die der Staat gerne wissen würde. Damit das auch völlig klar ist, schadet es nicht, am Anfang eines Gesprächs mit der Seelsorgerin nochmal nachzufragen, wie sie das mit der Schweigepflicht hält, und zu betonen, dass dir das wichtig ist. Ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, aber sicher ist sicher.

Das Recht auf Teilnahme am Gottesdienst und an „religiösen Veranstaltungen“ der eigenen Konfession kann dir entzogen werden, „wenn dies aus überwiegenden Gründen der Sicherheit und Ordnung geboten ist“ – also die berüchtigte Gummiformulierung! Immerhin soll der Seelsorger aber vorher gehört werden. Falls sie euch also nicht zum Gottesdienst lassen, beschwert euch beim Pfarrer, damit der hoffentlich Stunk macht.

Gut möglich, dass ihr draußen nix mit der Kirche am Hut hattet und auch nicht wisst, warum sich das jetzt im Knast ändern sollte. Kurz gesagt: Auch wenn das so ist, kannst du trotzdem von den Möglichkeiten Gebrauch machen, die die Kirchen im Knast haben.

Denn das Seelsorgegespräch (und auch der Gottesdienst) steht allen Gefangenen offen, du musst dafür weder religiös, christlich oder Kirchenmitglied sein. Es ist auch nicht auf ein bestimmtes Ziel gerichtet, wie die anderen erzwungenen Gespräche mit der Knasthierarchie. Und es steht unter der absoluten Schweigepflicht. Das ist vielleicht das Wichtigste, denn es kann Situationen geben, in denen du das dringende Bedürfnis hast, mit jemandem zu sprechen, aber vorsichtig sein musst, mit wem du das tust. Ein solches Gespräch kann – gerade in den ersten Wochen oder in Krisenmomenten – guttun; u. a. um Druck abzulassen, sich auszuheulen, volle Aufmerksamkeit zu genießen usw.

Auch der Gottesdienst kann ein Ort zum Innehalten und Nachdenken sein. Stille, Gebet und Gesang helfen dem einem oder der anderen, sich seinen Leuten draußen nahe zu fühlen. Gleichzeitig gibt es beim Gottesdienst genügend Möglichkeiten, mit anderen Gefangenen in Kontakt zu kommen.

Neben Gottesdienst und Gesprächsangebot kannst du über den Pfarrer auch an gewisse Erleichterungen des Alltags kommen. Das ist von Pfarrer zu Pfarrerin unterschiedlich und am besten wissen hier die Mitgefangenen Bescheid.

Zu den Erleichterungen gehören zum Beispiel:

Über das Pfarramt werden häufig auch andere Gruppenaktivitäten organisiert. Bei vielen Pfarrerinnen besteht Dialogbereitschaft, um selbstständig Ideen zu entwickeln. Dort kann auch mal in anderer Weise die Scheiße aus dem Knastalltag gemeinsam besprochen und sich darüber ausgetauscht werden. Gesprächskreise und ähnliche Angebote sollen – wie in der Gemeinde draußen – möglichst hierarchiearm sein. Sie können gemeinsam gestaltet und so angeeignet werden. Der Pfarrer hat zwar letztendlich Entscheidungsgewalt, aber gegen eine kontroverse Diskussion kann ja niemand was einwenden. Und du kannst den Pfarrer ruhig herausfordern, sich zu der Knastrealität zu positionieren. Denn was er da täglich sieht, kann er ja kaum ernsthaft richtig finden. Falls du von den anderen Gefangenen isoliert wirst, im Bunker landest oder von Gruppenaktivitäten ausgeschlossen bist, kann die Pfarrerin dich trotzdem besuchen. Das können sie dir und ihr nicht verwehren. Auch wenn du mitbekommst, dass eine andere Gefangene isoliert ist oder in den Bunker verlegt wird, kann es ein solidarischer Zug sein, den Pfarrer darum zu bitten, die Person zu besuchen. So kann die Isolation zumindest etwas durchbrochen werden.

Imam Muslimische Seelsorge

Falls du Muslima bist, solltest du dich vielleicht aus den oben genannten Gründen erkundigen, wie man in Kontakt mit einem muslimischen Seelsorger kommt. In den letzten Jahren wird die Figur des Imams in den Knästen immer präsenter. Und inzwischen gibt es in größeren Knästen öfter auch fest installierte muslimische Seelsorge. Wobei viele Imame offen für Diskussionen auch mit Nichtmuslimen sind.

Imame können dir unter Umständen wie die Vertreterinnen der anderen Religionen in deiner Angelegenheit helfen – auch wenn du nicht Muslima bist. Prinzipiell stehen sie auch unter der Schweigepflicht, aber es schadet nicht, das am Anfang des Gesprächs nochmal zu thematisieren, damit auch klar ist, dass dir die Schweigepflicht wichtig ist.

Orthodox-christliche Seelsorge, Rabbi und andere Konfessionen sind unterschiedlich vertreten und kommen meistens in Form eines ehrenamtlich geleiteten Kreises oder Gruppe im Knast vor.

Der Gottesdienst

Der Gottesdienst ist für die meisten die Möglichkeit, sich einmal in der Woche zu sehen, Neuigkeiten auszutauschen, auch Hefte und weiß der Geier was, oder einfach ein bisschen aus der Zelle rauszukommen, mal was anderes sehen. Und manche wollen auch einen „ordentlichen“ Gottesdienst haben, möglichst feierlich, mit Blumen, Orgel, Stimmung. Der Pope will irgendwas erzählen und vorlesen, wozu er Ruhe braucht.

Ein Vorschlag, den man ihm machen kann: Wir teilen uns den Gottesdienst – vorher und hinterher wollen wir ein Viertelstündchen zum Quatschen haben, und dazwischen sollst du deinen Rummel abziehen. Aber: Erzähl uns bitte nicht zu viel von Jesus und vom lieben Gott, verkauf uns nicht für dumm! Und lass es dir gefallen, wenn wir uns in deine Predigt einschalten, wenn uns was nicht passt. Du hast hier keine sanften Kirchenlämmer vor dir, schon gar keine reuigen Sünderinnen, die nur darauf warten, von dir bekehrt zu werden, sondern Leute mit ziemlichen Problemen – und unser Problem Nr. 1 hier ist der Knast. Wie ist das mit den Beruhigungszellen? Und was sagt die Kirche zum Kontaktsperregesetz? Und warum darf die X nicht zum Gottesdienst kommen? Warum ist am Mittwoch die Freizeit ausgefallen? Musst du diese Fragen mit deinen frommen Sprüchen zudecken? Dann bist du nicht der richtige Pfarrer für uns. Sagt die Bibel was über Richterinnen, Staatsanwältinnen und Knäste? Rück mal raus damit, das hast du doch studiert! Hat der Apostel Paulus nicht auch im Knast gesessen? Und war das mit Jesus nicht Justizmord? So dick muss man das natürlich nicht gleich bringen. Vielleicht gibt es auch die Möglichkeit, mit ihm gemeinsam den Gottesdienst zu planen. Dann können die Interessen der Gefangenen noch viel besser einbezogen werden. Und in der Gestaltung des Gottesdienstes ist der Pfarrer ziemlich frei. Da darf ihm keine Justizministerin Vorschriften machen. Höchstens die Kirche kann ihn zurückpfeifen. Das wird sie aber meist von sich aus nicht tun.

Arbeitskreise

Manchmal machen die Popen auch ganz gute Arbeitskreise, wo nicht nur rumgelabert und ab und zu Kaffee und Kuchen ausgeteilt wird, sondern wo ganz gute Diskussionen laufen, Leute von draußen eingeladen werden usw. Das kann manchmal ein Stück Hilfe zum Überleben sein. Ist es in so einem Arbeitskreis zu doof, dann kann man immer noch den Versuch machen, da was zu ändern, vielleicht lässt sich der Pope drauf ein, z. B. könnte man einzelne Abschnitte aus dem Ratgeber in so einem Arbeitskreis wunderbar diskutieren, Erfahrungen, die man in der Selbstdiagnose gemacht hat, juristische Probleme usw. Ob einer ein Pfarrer als Gesprächspartner liegt, ist natürlich Geschmacksfrage, es kommt auch auf den Typ an. In der Regel ist es wichtiger, unter den Mitgefangenen Leute zu finden, mit denen man reden kann. Allerdings: Der Pfarrer steht unter Schweigepflicht. Das ist manchmal nicht unwichtig. Dann gibt es noch die Möglichkeit, über den Pfarrer Kontakt zu Freundinnen, Angehörigen usw. aufzunehmen. Nur: Eine kaputte Ehe kann er auch nicht kitten. In jedem Fall: So groß ist die Auswahl nicht. Es lohnt sich schon, sich den Pfarrer mal anzusehen, ob er einem liegt. Wenn man merkt, dass er außer frommen Sprüchen nichts draufhat, dann hat man halt Pech gehabt. Außerdem: Es gibt ja meistens zwei von der Sorte, einen evangelischen und einen katholischen. Wechselt man eben schnell mal die Konfession.

Die Beamtinnen haben kein Recht, dich auf irgendeine Konfession festzunageln. Falls du die letzte Woche den evangelischen Gottesdienst besucht hast und jetzt Antrag auf katholischen Gottesdienst gestellt hast, kannst du immer bei Anfrage sagen: „Ich habe meine Bedenken und ich möchte mich informieren!“ Das gilt für orthodoxe Christinnen, Jüdinnen, Muslima usw.

3.6. Die Gefangenenmitverantwortung
oder Mitverwaltung

Die Mitverwaltungen werden oft als korrupte Handlangerinnen der Administratorinnen, der Leiterinnen und Verwalterinnen, bezeichnet. Das ist in dieser Allgemeinheit nicht ganz richtig. Die Mitverwaltungen spiegeln durchaus eine Haltung der Gefangenen selbst wider, die sich damit begnügt, es sich da, wo man ist, einigermaßen bequem einzurichten und die Ordnung der Gesellschaft, Ungleichheit, Eigentum, Ausbeutung, als unabwendbare, wenn nicht sogar vorteilhafte Tatsachen hinzunehmen. Man kann sogar sagen, dass ein großer Teil der Gefangenen im Grunde wenig anders denkt als die Mehrheit der Bevölkerung in der Bundesrepublik, nämlich unpolitisch, auf das Nächstliegende im Kampf ums Dasein fixiert, auf die Vorteile, die man für sich selbst oder höchstens für seine Familie, koste es, was es wolle, erreichen möchte. Um bestimmte minimale Vorteile durchzubringen, die mit einem noch größeren Maß an Anschmiererei bezahlt werden, an Verlust der Identität der Gefangenen (denn auch die Justiz ist bestrebt, aus der Gefangenen eine „Mitarbeiterin“ zu machen), eignen sich die Mitverwaltungen durchaus – in ihrer jetzigen Form. Aber ihre jetzige Form ist im Grunde nur die Politik, die die Gefangenen selbst machen. Gäbe es unter den Gefangenen eine breite und radikale politische Bewegung, so wären die Mitverwaltungen ihr Instrument – solange sie nicht von der Justiz wieder abgeschafft würde. Dass die Mitverwaltungen jetzt nur das Instrument der Administratorinnen sind, liegt nicht an den gesetzlichen Bestimmungen, die sie in Fesseln halten, sondern daran, dass die politische Bewegung der Gefangenen selbst noch nicht entfesselt ist. Es hat also wenig Sinn, die Mitverwaltungen an sich als korrupt hinzustellen und sie damit ein für alle Mal auch abzulehnen.

Die Rolle der Mitverwaltung

Die Mitverwaltung ist von den Gefangenen nicht erkämpft worden. Die Administratorinnen haben sie vielmehr als eine ganz zweckmäßige Sache zunächst selbst ausprobiert und dann eingerichtet, nachdem alle Experimente damit günstig verlaufen sind.

Die Mitverwaltung ist für die Administratorinnen eine Einrichtung, die nach dem Prinzip des „Teile und herrsche“ die Gefangenen spalten und selbst verwalten soll. So wie man mit denjenigen Gefangenen am besten zurechtkommt, denen man mit psychologischen Methoden und ähnlichen, aber älteren Mitteln der Kirche ein schlechtes Gewissen verschafft. So kommt man mit den Gefangenen insgesamt am besten zurecht, wenn man sie in ihrer Mitte die Institution, die sie verwaltet, die Anstalt, in verkleinerter Form als Mitverwaltung der Gefangenen, wählen lässt. So erscheint es den Gefangenen, als hätten sie etwas gewählt, was sie gegen die Verwaltung vertritt. In Wirklichkeit lässt sich die Verwaltung gegen die Gefangenen, in dem, was sie gewählt haben, vertreten – durch die „Interessenvertreterinnen“. Wer sich dann beschwert, erfährt, dass sie sich gefälligst bei den „Interessenvertreterinnen“ beschweren soll: Fürs schlechte Essen, für den ausgefallenen Film, für die schlechte Beheizung sind sie verantwortlich.

Die Mitverwaltung ist auch nichts Neues. Sie geht hervor aus einer jahrhundertelangen Spaltung der Gefangenen durch eine Hierarchie von Funktionen, mit der die Kontrolle über sie verstärkt wurde. Die Gefangenen sich selbst mit verwalten zu lassen, hatten schon längst vergangene Regimes entdeckt. Bereits im Mittelalter, mit der Entstehung der Gefängnisse, gab es besonders bevorrechtigte Gefangene, die als Vorarbeiter und Antreiber eine Rolle in dem subtilen Mechanismus der Bestrafung und Ausbeutung Bestrafter spielten. Zunächst wurde versucht, bestimmte ausgewählte Gefangene aus der anonymen Masse der übrigen herauszulösen und ihr gegenüberzustellen. Oder sie als kontrollierende und rückmeldende Sonde in der Masse der Gefangenen zu benutzen: als Aufseher und Antreiber einerseits und als Spitzel, auf den die Ahnungslosen hereinfallen. Im Lauf der Zeit ist man dann schließlich dazu übergegangen, die aus der Gemeinschaft herausgelösten Gefangenen als eine Gruppe von Vertreterinnen der übrigen Gefangenen zu behandeln. Jeder Staat praktiziert in der Gefangenengesellschaft seine eigene Ordnung:

Auch noch diese Demokratie findet in der reinen Diktatur eines Gefängnisses seine Entsprechung; die Gefangenen wählen sowohl ihre Abgeordneten, deren Sicherheitsdebatten sie im Rundfunk hören können, als auch ihre „Sprecherinnen“, die über den Speiseplan diskutieren. In allen diesen Stadien der Geschichte der Gefangenen kommen die Gefangenen selbst nicht anders zu Wort außer als Karikatur der offiziellen Ordnung; als patriarchale, bigotte Antreiber, als „Blockälteste“ oder Kapo oder als der seifenglatte Typus einer heutigen „Interessenvertreterin“, deren Interessen man wohl weiß, aber nicht welche sie vertritt. Er verkörpert das demokratische Stadium der Gefangenengeschichte: die Gefangenen nicht mehr als Kettensträfling und Antreiberin oder als KZ-Häftling und Blockälteste, sondern als die Wählerin und ihre Abgeordnete. Doch mehr als die Geschichte außerhalb der Mauern ist die Geschichte der Gefangenen nach innen gerichtet. Die äußeren Veränderungen sind minimal, dagegen verändern sich die Namen, das Verständnis, die Einbildungen. Diesen falschen Schein über alles auszubreiten, ist eine der hauptsächlichen Funktionen der Mitverwaltung. Schon ihr Dasein, im wörtlichen Sinn, ist Schein, und für noch mehr Schein ist sie da.

Wer verwendet wen?

Es wäre unsinnig, generell zu bestimmen, was man mit den Mitverwaltungen tun soll – ob man sie bejahen oder verneinen soll, ob man sie wählen soll oder nicht. Dafür kann es jeweils nur situationsbedingte Gründe geben. Denn wenn es Momente gibt, wo die Gefangenen durch ihre Lage gezwungen werden, für etwas zu kämpfen, was sie klar erkennen können, dann werden sie auch alles aufnehmen, was sich dafür überhaupt als Hilfsmittel, als Waffe eignet – und sie werden überhaupt alles, was um sie herum ist, als Hilfsmittel und Waffe verwenden können. Warum sollten ausgerechnet die Mitverwaltungen davon ausgeschlossen sein? Die reiche Phantasie, der sichere, erfindungsreiche Instinkt derer, die kämpfen, wird sie in die richtige Stellung bringen, wo sie zwar dem Namen nach noch dasselbe, im Inhalt jedoch schon etwas anderes sind. Während es jetzt den Administratorinnen gelingt, mit Hilfe der Mitverwaltungen die Interessen der Gefangenen gegen die Gefangenen selbst zu verwenden, könnte es einmal sein, dass die Gefangenen einen Teil der Institution gegen die Institution selbst richten und sie damit von innen heraus aufbrechen. Die endlosen Debatten um die Speisepläne und das Radioprogramm bekommen vor diesem Hintergrund, angesichts der Möglichkeit, dass es einmal andere Debatten werden, ihren nüchternen Sinn. Es kann auch dabei bleiben. Es kann aber auch anders kommen. Die Gefängnisse könnten dann einmal nicht die Unfreiheit produzieren, sondern die Freiheit.

Gefangenengewerkschaften

Eine in letzter Zeit enorm auf dem Vormarsch begriffene Form der Organisierung sind die in vielen Knästen neu gegründeten Gefangenengewerkschaften. Näheres findest du in Kapitel 9 Arbeit und Geld.

3.7. Anstaltszeitung – Gefangenenzeitung

In den meisten Knästen gibt es auch eine Gefangenenzeitung, die allerdings von der Anstalt zensiert wird. Es gibt Zeitungen von ganz unterschiedlicher Qualität. Wenn du gern schreibst, kann auch das eine gute Möglichkeit sein, um mit anderen Gefangenen in Kontakt zu kommen. Näheres findest du Kapitel 10 Kontakte nach draußen.

Der „Samistad“ oder Fanzine

Eine Gefangenenzeitung herzustellen, kann von jeder unternommen werden – von Einzelnen, von einer kleinen Gruppe auf einer Station. Der „Samistad“ ist dabei für uns vorbildlich. „Samistad“ ist ein russisches Wort und wurde gebraucht als Bezeichnung der Untergrundliteratur, die in der Sowjetunion kursierte. Das waren alle die Schriften, die niemals Aussicht hatten, von der offiziellen Presse und den Parteiverlagen gedruckt zu werden: Artikel, Nachrichten, Chroniken, Bücher. Sie wurden zunächst in einigen maschinegeschriebenen Exemplaren verbreitet, und diese Abschriften vermehrten sich dann durch immer neue Abschriften. Es gibt eine Art Verpflichtung der Samistad-Leserinnen, dass sie ihr Samistad-Exemplar mit mehreren Durchschlägen abtippen und weiterverbreiten. Auf diese Weise entstehen aus wenigen „Originalen“ hunderte und tausende von Abschriften. Es ist also eine Literatur unter der Bedingung der Kontrolle, die ein Staat über die Literatur ausübt. Eine totale Kontrolle über Geschriebenes herrscht im Gefängnis. Eigentlich könnte man annehmen, dass es dann auch hier so etwas wie einen Samistad geben müsste.

Es gibt ihn, allerdings in noch sehr unterentwickelter Form. Es gibt z. B. die mit Durchschlägen vervielfachten Flugzettel, die als Kassiber geschmuggelt werden, und es gibt regelrechte primitiv gemachte Zeitungen, die immer wieder neu auftauchen, von den Leserinnen immer wieder abgeschrieben und weitergegeben werden, bis sie in einer Razzia und Verlegungsaktion ihr Dasein beenden – um anderswo wieder aufzutauchen. Zwar haben sie kein langes Leben und sie sind auf ein paar Seiten beschränkt, aber immerhin gibt es sie und damit schon so etwas wie eine „Literatur“ im Untergrund des Knasts. Oft werden auch Texte abgeschrieben, die den Umfang einer Broschüre haben, und auch Bücher – Lebensgeschichten über hunderte von Seiten, die nie eine Aussicht haben, irgendwo gedruckt zu werden, weil sie nicht in die Zielgruppenanalyse eines Verlages passen und nicht den Erwartungen des kultivierten Publikums, dass Gedanken immer schön sein müssten, entsprechen. Es gibt kaum eine Gruppe der Gesellschaft, die mehr zur Weltliteratur beisteuern könnte als die, die nicht zu Wort kommt.

Eine Schreibmaschine ist zur Herstellung einer solchen Zeitung wohl notwendig. Wenn man keine eigene hat, sollte man jemanden finden, der die Texte abtippen kann.

Auch eine normale Illustrierte oder Tageszeitung kann zum „Samistad“ werden, wenn sie von den Leserinnen „kommentiert“ und weitergegeben wird.

3.8. Sexuelle Beziehungen im
Männerknast

Wir haben diesen Abschnitt in verschiedene Beiträge gegliedert. Im ersten Beitrag beschreibt ein Gefangener, wie er die Unterdrückung der Sexualität erlebt und darauf reagiert („Das Gemeinste am ganzen Knastsystem“). Allgemein wird in diesem Kapitel auf Sexualität im Knast eingegangen, also welche Möglichkeiten der mit sich selbst gelebten Sexualität es gibt. Und wie ändert sich durch die Zwangssituation, die der Knast darstellt, möglicherweise auch das eigene Begehren. Dies wird durch einen alten Beitrag aus den 1980ern versucht darzustellen.

Im ganzen Abschnitt ist nur von Männern die Rede; da uns das Wissen über sexuelle Beziehungen im Frauenknast fehlt, mussten wir einen eigenen Abschnitt weglassen. Das Thema Sexualität im Knast war ursprünglich überhaupt nicht vorgesehen, denn das – so schien es uns – gehört nun wirklich nicht in einen „Ratgeber“. Dieser Abschnitt des Buches war unter uns umstritten: Es sei eine Verhöhnung der sexuellen Einsamkeit und eine Verharmlosung der sexuellen Gewalttätigkeit im Knast, wenn hier gepredigt werde, die Selbstbefriedigung zu genießen und die Berührungsängste gegenüber Mitgefangenen abzubauen. Dies fanden vor allem diejenigen unter uns, die den Knast nur von außen kennen. Es waren aber gerade die Knasterfahrenen, die darauf drängten, dieses Thema nicht auszuklammern, und die sich von den vorliegenden Beiträgen eine entkrampfende, die Verdammnis um dieses Thema etwas lüftende Wirkung versprechen.

Zwar stellen Vergewaltigungen und übergriffiges Verhalten von Mitgefangenen für uns keine Formen der Sexualität dar, sondern sind sexuelle/sexualisierte Gewalt! Trotzdem hatten wir unsere Bauchschmerzen damit, Sexualität im Knast zu thematisieren, ohne aber auch gleichzeitig sexualisierte Gewalt zu benennen. Aus diesem Grund gehen wir am Ende des Kapitels darauf ein und versuchen einige Tipps für Betroffene von sexueller/sexualisierter Gewalt zusammenzutragen.

Das Gemeinste am ganzen Knastsystem

Au Backe, ja, Sexualität. Die Unterdrückung derselben ist wohl das Gemeinste am ganzen Knastsystem. Ein unheimlicher Horror, diese völlige Vernichtung der Intimsphäre; schlimmer noch als das Alleinsein, absolut tödlich über einen längeren Zeitraum hinweg – bleibt einem nix weiter als das Wichsen. Darüber groß zu jammern wäre falsch. Du musst halt so zurechtkommen – und dabei noch versuchen, nicht kaputtzugehen. Allgemeine Regeln fürs sexuelle Überleben lassen sich wohl kaum aufstellen. Ich will versuchen, anhand meiner Figur ein Beispiel aufzuzeigen; wie ich also versuche, damit fertigzuwerden; was ich gegen den Verfall unternehme. Nach fünfzehn Monaten wird die Stimulierung zum Problem. Die Phantasie, die keinerlei Anregungen mehr erfährt, lässt nach. Du stellst auf einmal fest, dass es nicht mehr reicht, an eine bestimmte Braut zu denken, um einen hochzukriegen. Stellt sich also konkret die Frage nach Wichsvorlagen. Hast du einen gewissen Bewusstseinsstand bezüglich der sexuellen Unterdrückung in diesem verpissten System erreicht, hast du gar schon versucht, das Wissen um bestimmte Beziehungen zwischen beispielsweise Sex und Aggression oder zwischen Erotik und Werbung etc. in die Praxis umzusetzen – so bedeutet das nun ganz konkret einen Rückschritt, einen Zurückfall in deine individuelle sexuelle Steinzeit. Du darfst also erotische Stimulierungen nicht mehr aus der Wirklichkeit, von wirklichen Menschen beziehen, sondern nur noch von einer vorgegaukelten Scheinrealität auf Hochglanzpapier, mehr oder weniger ästhetisch abgelichtet. Das ist finster, sehr finster. Klar, selbst der schlechteste Porno macht dich an, aktiviert deine Triebe – dagegen bist du eigentlich wehrlos.

Ich bin über ein Jahr ohne ausgekommen, zehrte noch so lange von meiner Phantasie. Wenn du aber dann feststellst, dass dir deine ganze schöne Phantasie den Schwanz kaum noch bewegt und dich das geringste Geräusch an der Tür zwingt, wieder von vorne anzufangen – dann muss einfach was geschehen. Dann hast du einen Punkt erreicht, wo du entweder was für dein Überleben tun musst, oder dein Sex geht zum Teufel. Davon abgesehen, dass das stumpfsinnige Onanieren mit halbschlaffem Schwanz sogar zu physischen Defekten führen kann, frustriert es ungemein. Es verschafft kein Gefühl der Befriedigung, sondern der Verzweiflung, der Trauer. Es macht deine Sehnsucht nach lebendigen Menschen so unendlich groß, dass du davon verrückt werden kannst. Ich bin nach wie vor erbitterter Pornogegner. Nachdem ich mich überhaupt abzufinden beginne, dass ich auf scheinreale Stimulantia angewiesen bin, versuche ich, mir wenigstens mein ideelles Bild vom Sex, von der Erotik zu erhalten. Das heißt, bevor ich auch nur einmal so'n Drecksporno, der von Frauenfeindlichkeit und Erniedrigung nur so stinkt, in die Hand nehme, verzichte ich lieber zwei Tage auf die gewohnte Intim-Gymnastik. Glücklicherweise gibt es aber auch erotische Darstellungen, die gut und schön sind; die Sexualität nicht von Erotik trennen. Dazu zählen z. B. gewisse Comics oder Tantra-Darstellungen. Na ja, erotische Romane gibts dann schließlich auch noch. Was mir noch aufgefallen ist: dass man hier drinnen viel intensiver über den ganzen Komplex der Sexualität nachdenkt, als dies jemals draußen der Fall war. Und dass das ganz enorme Erkenntnisse mit sich bringt – wenn gezielt und offen nachgedacht wird. Mir sind jedenfalls schon etliche, hundertmal längst durchgegrübelte Geschichten plötzlich wie nagelneue Seifensieder aufgegangen. Auch über Homosexualität denkt man auf einmal viel intensiver nach. Der kleine schwule Bursche in dir wird nicht länger verdrängt, sondern du bist auf einmal gezwungen, dich mit ihm zu beschäftigen. Und dann fragt sich auch der eingefleischteste Hetero, ob das Bisherige nun wirklich das Gelbe vom Ei war und wovor er eigentlich immer Angst hatte ... Soweit ich das bis jetzt übersehe, bedeutet der Knast alles andere als ein sexuelles Eldorado für unsere warmen Brüder. Kaum ein Schwuler zeigt bzw. wagt es, seine Vorliebe für Männer zu zeigen, Schwule im Knast werden oft ähnlich wie „Ausländer“ oder „Kinderficker“ behandelt. Mit einem Schwulen unterhalte ich mich seit einiger Zeit darüber. Ich frage ihn Löcher in den Bauch und lerne Etliches – auch über mich selbst, d. h., er stimuliert mich, über mich nachzudenken.

Sex im Knast

Eigentlich lassen sich ja zu diesem Thema noch weniger als zu anderen konkrete Ratschläge geben. Wir haben aber in Diskussionen im Knast gemerkt, wie viele zum Teil völlig blödsinnige oder vorsintflutliche Vorurteile und Ängste sich mit dem Thema auch heute noch verbinden und von Eltern, Lehrerinnen, Ärztinnen, aber auch in Büchern und Zeitschriften verbraten werden. Und nicht jede, die bei dem „Thema Nr. 1“ das Maul weit aufreißt, ist tatsächlich die große Sachkennerin. Wir meinen aber, dass es möglich sein müsste, auch über Sexualität und was einem dabei zu schaffen macht, ganz vernünftig miteinander zu reden, ohne gleich ins Blödeln zu verfallen. Ich erinnere mich an ein paar Gruppendiskussionen in einem Arbeitskreis im Knast, die waren wirklich spitze. Versuch das auch einmal, wenn du ein paar Leute hast, mit denen man vernünftig reden kann. Blende dieses Thema nicht aus, weil's zu „heiß“ oder zu „doof“ ist. Und wenn jemand unbedingt seine Witz-Show abziehen muss: Lass ihr den Spaß, lach besonders herzlich, denn sie hat's bestimmt nötig!

Berührungsängste

Es sieht so aus, als wäre das Problem der Geringschätzung von Homosexualität in manchen Frauenknästen schon sehr viel fortschrittlicher, freier erkannt und diskutiert, als wären schon mehr Lösungsmöglichkeiten erprobt. Zumindest sieht man in Frauenknästen öfter Frauen, die Arm in Arm gehen, sich um den Hals fallen, küssen. Das alles ist in den Männerknästen (noch?) tabu. Es gilt eben als unmännlich, schwul. Dabei wäre zumindest das ein guter Weg, aus der totalen Isolierung und Verkümmerung herauszukommen. Wem nützt denn diese Berührungsangst? Gewiss, wir werden anfälliger für den Schmerz und die Trauer bei Verlegungen und sonstige Trennungen, wenn wir intensive, auch körperliche Beziehungen und Berührungen eingehen und zulassen. Aber dieser justizförmige Irrsinn, dass die Gefangenen selbst alle Zärtlichkeiten unter Gefangenen verfolgen, lächerlich machen, mit Strafe belegen – der muss irgendwann einmal verschwinden!

Homosexualität

Als Schwuler wird man im Knast nicht nur durch die Beamtinnen, sondern auch von einem Teil der Gefangenen diskriminiert. Entweder du wirst geschnitten oder – was noch häufiger ist – gehänselt und verspottet. Da gibt es natürlich den Weg, die Homosexualität zu verbergen und zu hoffen, dass es keiner merkt. Es sind aber immer mehr Schwule im Knast auf den Trichter gekommen, dass mit ihrer Unterdrückung oder gar Ausbeutung nur durch ein offensives Schwulsein Schluss gemacht werden kann – wie dies auch draußen immer mehr Homosexuelle erkennen. Das kann so aussehen, dass du dich mit anderen Schwulen – natürlich auch Nichtschwulen – zusammentust und ihr gemeinsam auf die Spötteleien von Mitgefangenen während der Arbeit oder während des Hofgangs reagiert – selbstsicher reagiert. Die Beamtinnen verhalten sich meist dann gegenüber den schwulen Gefangenen zurückhaltend, wenn ihnen klar wird, dass es sonst Ärger auf der Station gibt. Ihr könnt die Situation von Homosexualität im Knast auch mal zum Thema eines kirchlichen Arbeitskreises, einer Gesprächsgruppe oder einer anderen Gemeinschaftsveranstaltung machen, in die vorher möglichst viele Schwule reingegangen sind. Vielleicht lässt sich auch die Einrichtung einer ständigen Gruppe für Homosexuelle bzw. über die Probleme von Homosexuellen durchsetzen. Nehmt Kontakt zur LGBT*IQ1- Bewegung draußen auf. Im Kontaktadressenteil findet ihr dazu einige Adressen. Bei dem Kapitel „Sexualität“ wird die Grenze des Knastratgebers besonders deutlich: Wir können eigentlich nur Anregungen geben, das Thema in die ernsthaften Gespräche und Diskussionen im Knast miteinzubeziehen, Leute von draußen einzuladen, die dazu was sagen können, Kontakt mit Gruppen draußen aufzunehmen – und jedenfalls nicht bei der resignierten Feststellung stehen zu bleiben, dass die Unterdrückung der Sexualität „wohl das Gemeinste am ganzen Knastsystem“ ist.

Die Veränderung der Sexualität

Die Inhaftierung bedeutet auch, dass man von Sexualität abgeschnitten wird, und das bedeutet nicht einfach nur von anderen Menschen abgeschnitten zu werden, zu denen man eine sexuelle Beziehung hat, sondern dass man in einen Zustand versetzt wird, der von vornherein künstlich ist – wie überhaupt der Knast einen Menschen in einen künstlichen Zustand versetzt, nämlich der Isolation von sozialen Beziehungen, der versuchten Aushungerung der emotionalen Beziehungen zu anderen. Die Verhaftung bedeutet also vordergründig zunächst einen Verzicht auf Sexualität. Aber gerade das ist nicht der Fall. Denn Sexualität ist etwas so Elementares, Lebensnotwendiges, dass auch die im Knast versuchte Isolation sie nicht unterbrechen kann. Der Knast kann sexuelles Bedürfnis vielleicht verbiegen, aber nicht unterbrechen. Das Bedürfnis ändert sich und passt sich an die veränderte Situation an. Die Situation ist das Eingesperrtsein. D. h., dass man allein gelassen wird mit einem Bedürfnis, das sich auf andere richtet. Dieses Bedürfnis wird sich dann, weil es einfach nicht zu unterbinden ist, auf einen selbst richten. Man ist also konfrontiert mit einem Bedürfnis, das keinen anderen Ausweg mehr lässt, als sich selbst zu befriedigen. Die Ängste, die damit verbunden sind, sind ein Teil der Unterdrückung, die ein Gefangener erfährt. Weniger als in anderen Teilen des Ratgebers kann auf dem Gebiet der Sexualität eine Norm angegeben werden, wie man sich am „zweckmäßigsten“ verhält. Trotzdem ist es vielleicht eine gewisse Hilfe für den Einzelnen, wenn ich hier die Situation, wie ich sie erlebt und beobachtet habe, zu beschreiben und in der Beschreibung Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen versuche. Dabei geht es vor allem darum, Ängste abzubauen und die Sexualität im Knast, also die Sexualität des Einzelnen und die Sexualität, die sich auf die Männer richtet, angstfrei zu beschreiben. Denn: Wie man sich verhält und unter welchen Ängsten man leidet, ist auch abhängig davon, wieweit man in der Lage ist, diese Ängste auszudrücken und im Gespräch mit anderen zu klären.

Die Isolation

Das Abschneiden eines Menschen von seiner Gesellschaftlichkeit soll ihn zu dem Zweck der Justiz zur Verfügung stellen. Er soll sich gefügig machen lassen. Das wird versucht mit einer Isolierung – Isolierung von allen seinen bisherigen Lebenselementen. Und wenn ein solcher aus seinen bisherigen Lebenselementen herausgenommener Mensch in das völlig künstliche Lebenselement der Justiz versetzt wird, dann bedeutet das erzwungener Verzicht auf einen Teil seiner selbst. Dieser Verzicht wird auch auf sexuellem Gebiet versucht. Doch ein selbst vollzogener Verzicht auf Sexualität bedeutet eine Gefügigkeit auch auf anderen Gebieten. Niemand kann auf ein elementares Bedürfnis verzichten, ohne dass sich sein ganzes Ich verzerrt. Das immer wiederkehrende Bedürfnis, das sich nicht mehr ausdrücken kann, wird sich dann andere Wege zur Befriedigung suchen – in einer scheinbar nicht sexuellen Sphäre, vielleicht auch in der Krankheit.

Phantasie und Sexualität des Einzelnen

Sexualität ist etwas, was sehr viel mit Phantasie zu tun hat, mit Vorstellung, Erinnerung. In der Isolation bedeutet die Phantasie etwas, was das Leben draußen ersetzen muss, sie bedeutet einen Ersatz für das Nichtleben draußen, einen Ersatz für wirkliche Personen, einen Ersatz für Gesellschaft. Ohne Phantasie kann Sexualität sich nicht entfalten. Phantasie versucht, sich den anderen vorzustellen, sich in den anderen hineinzuversetzen, und sie bedeutet damit einen wesentlichen Teil des Umgangs mit anderen. Denn auch draußen ist es so, dass nicht nur die Körper miteinander umgehen, sondern auch die Phantasien. Die Phantasie kann sich auf den Einzelnen selbst richten, und sie kann sich auf andere richten. Sie kann andere als Figuren oder Objekte der eigenen Wünsche erscheinen lassen. Man sollte nicht versuchen, diese Phantasie, weil sie Ängste hervorruft, einzudämmen. Man sollte im Gegenteil versuchen, diese Phantasien auszudehnen, sie zu dramatisieren, die Vorstellung der Nichtvorhandenen und einer nicht vorhandenen Gelegenheit des Umgangs mit ihnen auszubauen, sie zu „inszenieren“. Phantasie ist eines der wenigen Mittel, die einem Gefangenen übrig bleiben, um seine Isolation zu durchbrechen. Es ist zugleich das Mittel, durch das sich seine Sexualität erneuern kann. Es gibt ja nicht nur die Sexualität zwischen Mann und Frau und zwischen Männern, sondern, wenn man davon ausgeht, dass die Sexualität ein Bedürfnis ist, das nicht ohne die Zerstörung eines Menschen zu unterbrechen ist, wie Hunger und Durst, muss man auch die Sexualität des Einzelnen als etwas anerkennen, was unter der Bedingung der Isolation mindestens den gleichen Rang hat wie die Sexualität zwischen Mann und Frau und die Homosexualität. Die Sexualität des Einzelnen ist auch nicht zu verkürzen auf den Begriff Onanie, Selbstbefriedigung, weil dadurch die ganze Dimension der Phantasie wegfallen würde. In der sexuellen Beziehung mit anderen ist der Einzelne ebenso einzeln. Nur durch seine Phantasie ist er mit anderen verbunden. In welcher Weise er durch Phantasie mit anderen verbunden ist, bestimmt wesentlich die Art seiner Sexualität. Man kann also annehmen, dass die Sexualität des Einzelnen eine Art Beziehung zu anderen ist, die sich zwar von allen anderen sexuellen Beziehungen unterscheidet, aber trotzdem immer noch eine sexuelle Beziehung ist – und damit gleichrangig mit anderen Formen der Sexualität, die sich ja auch nicht beschränken lassen auf Heterosexualität und Homosexualität.

Das sexuelle Bild und die sexuelle Vorstellung

Wie notwendig die Phantasie bei Sexualität ist, zeigt sich darin, dass es auch für sie einen Ersatz gibt: das sexuelle Bild. Es bedeutet eine Verhinderung der eigenen Phantasie und damit eine Verhinderung der Individualität, wenn etwas so Persönliches wie die eigene Sexualität durch etwas Fremdes wie ein Bild stimuliert wird. Vielleicht ist das der Grund, warum solche stimulierenden Bilder an den Wänden der Zellen von der Institution geduldet werden. In der sexuellen Vorstellung wird dagegen eine Situation geschaffen, die persönlichen Charakter hat und sich der Kontrolle durch die Institution entzieht. Die sexuelle Vorstellung hat die Tendenz in sich, sich auszuweiten und zu dramatisieren. Sie ist nicht nur eine Vorstellung vom anderen, sondern eine Vorstellung von einem anderen Leben mit anderen, in dem die üblichen sexuellen Rollen aufgehoben sein können. Sich dieser Phantasie hinzugeben bedeutet nicht einfach einen Ersatz für Nichtvorhandenes, sondern eine Möglichkeit der eigenen Verwirklichung. Denn je mehr man mit ihr umgeht, desto mehr wird sie sich vernünftig machen, d. h. zum Gedanken über ein verändertes Leben mit anderen werden. Die Phantasie hat die Tendenz, sich einem körperlichen Akt zu widersetzen, sie verzögert unmittelbare Befriedigung und Entspannung durch das Interesse, das sie erzeugt. Auch der Umgang mit Phantasien braucht eine gewisse Übung und Überlegung, und man muss wissen, wie man sich auf Phantasien konzentrieren kann, um sie deutlich wahrzunehmen. Wie beim Denken bedeutet auch bei der Phantasie Konzentration deutliches Wahrnehmen. Die vorgestellte Szenerie wird dadurch intensiv und wirklich. Die Beschäftigung mit ihr enthält eine eigene Form der Befriedigung, die weit lustvoller ist als die sexuelle Entlastung ohne Vorstellung.


Weitere Möglichkeiten der Sexualität

In vielen Knästen gibt es mittlerweile die Möglichkeit unüberwachter sogenannter Langzeitbesuche (LZBs) in einem eigenen Raum. Bist du verheiratet, sollte dir dieser eigentlich gewährt werden. Ansonsten ist es eine Ermessensentscheidung des Knastes, ob du beispielsweise mit deiner Freundin, Lebenspartnerin, Verlobten LZBs erhalten kannst. Näheres dazu findest du in Kapitel 10 Kontakte nach draußen, Besuch.

Pornographische DVDs sind eigentlich überall zumindest dann nicht erlaubt und werden zur Habe genommen, wenn sie keine FSK-18-Freigabe haben. Es gibt aber auch einige – wenige – Pornos, die auch eine FSK-18-Freigabe haben. Erkundige dich bei Mitgefangenen, ob sie welche kennen.

Tipps für Betroffene von sexueller/sexualisierter Gewalt:

Wichtig ist für dich im Moment zu wissen: Es gibt einen Weg daraus! Im Prinzip hat jeder Mensch die Möglichkeit, das erlebte Trauma von einem bösen Horrortrip, der immer wieder überfallartig hochkommt, zu einer zwar schmerzhaften, aber vergangenen Phase seines Lebens zu machen – dafür braucht es Kraft und Energie, aber auch vor allem die richtige Hilfe und Unterstützung.

Vergiss nie: Es ist nicht deine Schuld, was man dir angetan hat!

Es ist o. k., wie es dir jetzt geht:

Egal, wie du dich fühlst, versuche es zu akzeptieren, nimm es, wie es ist. Das heißt nicht, dass du alles gut finden sollst, aber die Verdammung deiner Gefühle bringt gar nichts. Mit der Zeit wird sich sicherlich viel ändern, aber akzeptiere als Erstes, was ist, und versuche dann, von dort aus die nächsten Schritte zu machen.

Suche dir einen inneren sicheren Ort:

Wenn du immer wieder von bedrängenden Erinnerungen und Gefühlen überflutet wirst, soll er dir eine Zuflucht sein. Der innere sichere Ort ist ein Ort in deiner Phantasie, den du ganz nach deinen eigenen Wünschen aufbaust. Versuche dir möglichst deutlich einen Ort auszumalen, an dem du dich wohl, sicher und geborgen fühlst. Das kann ein Garten mit Blumen und Bäumen sein oder ein schönes, helles Zimmer, ein Berggipfel mit frischer Luft und tollem Ausblick oder ein Strand mit Wellenrauschen, ein ferner Planet – oder was immer du dir wünschst. Gestalte dir diesen Ort in deinen Gedanken in allen Einzelheiten und überlege dir, was du dort Schönes machen oder haben willst. Willst du dort alleine sein, oder dürfen auch ausgewählte andere dorthin? Alleinsein hat den Vorteil, dass dich keiner enttäuschen kann. Du kannst aber auch andere Menschen an den Ort laden, die dir guttun. Wenn dich mal wieder der Horror packt, kannst du versuchen, innerlich an diesen Ort zu gehen, allen Schrecken draußen zu lassen und schöne Sachen zu machen. Das ist anfangs schwierig und bedarf einiger Übung. Erlaube dir ruhig, den Ort immer wieder nach deinen Bedürfnissen umzugestalten. Die Beschäftigung damit kann helfen, dich vor dem „Überflutetwerden“ zu schützen. Das klingt wie ein billiger Trick, aber es hilft. Und du hast ein Recht darauf, dass es dir gut geht!

Du bist nicht allein:

Es gibt andere Männer, die ebenfalls sexuelle und/oder sexualisierte Gewalt erfahren haben. Versuche zu ihnen Kontakt aufzunehmen und mit ihnen zusammen das Schweigen und Alleinsein zu überwinden.

Kontaktadressen und Anlaufstellen für die Zeit nach der Haft findest du im Anhang. Schreib ihnen aber ruhig schon aus dem Knast heraus, einige Beratungsstellen kommen dich auch im Knast besuchen. Du musst dann sehen, ob in der Situation des Knastes ein gutes Gespräch möglich ist.

Organisatorisches:

So schwer die folgenden Schritte auch sein mögen, sie können dir helfen, deine Situation ein wenig zu verbessern. Suche eine Ärztin auf und lass dich untersuchen. Eine medizinische Versorgung ist wichtig, solltest du auch physische Verletzungen haben. Gerade innere Verletzungen müssen sofort behandelt werden. Lass dir die Verletzungen dokumentieren. Das hilft dir bei einer Anzeige.

Es ist schwierig und ziemlich hart, die Ängste und Schamgefühle, die bei einer Anzeige wegen Vergewaltigung auftreten, zu überwinden. Im Besonderen, da du gezwungen sein wirst, die Geschichte (mitunter mehrmals) zu erzählen. Solltest du eine Vertrauensperson unter deinen Mitgefangenen haben, kann es dir Kraft geben, vorher mit dieser darüber zu sprechen. Ansonsten hast du auch die Möglichkeit, dir von der religiösen Ansprechperson Unterstützung zu holen.

Solltest du bisher in einer Gemeinschaftszelle untergebracht sein, sollte es kein Problem sein, dass du dich in eine Einzelzelle verlegen lässt. Wenn du glaubst, dass es dir helfen könnte und dadurch nicht alle deine persönlichen Kontakte abbrechen, versuche dich nach § 11 Abs. 1 StVollzG NRW in eine andere JVA verlegen zu lassen. Dieser Paragraph sieht die Möglichkeit einer Verlegung vor, wenn wichtige Gründe vorliegen. Ein wichtiger Grund ist unter anderem die Gefahr der Rache von Mitgefangenen. Berate dich mit deiner Anwältin, wie du am besten eine Verlegung erreichen kannst. Näheres findest du in Kapitel 3.4. Die Gefangenen unter sich Möglichkeiten, sich verlegen zu lassen.

Strategien für dich:

Jeder hat unterschiedliche Strategien mit solchen gewalttätigen Erlebnissen zurechtzukommen.

Es hilft sehr, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen. Kontaktstellen findest du im Anhang. Auch für dich, allein auf der Zelle, gibt es die verschiedenen Möglichkeiten, das Erlebte zu verarbeiten. Welche für dich am besten passen, musst du schlussendlich allein herausfinden. Viele Betroffene kennen Panikattacken. Deswegen kann es hilfreich sein, sich mit den verschiedensten Atemübungen vertraut zu machen. Näheres findest du in Kapitel 13.2, Wie mensch im Knast gesund bleiben kann.

Kreatives Verarbeiten in Form von Malen oder Schreiben kann dir ebenfalls helfen, einen Abstand zu gewinnen. Oder auch, wenn es dir mehr liegt, gerade weil auch (Auto-)Aggressionen oft eine Folge von Übergriffen sind, sportliche Betätigung. Ebenfalls in Kapitel 13 findest du eine ganze Auswahl an Übungen, die du auf der Zelle machen kannst.

4.
Einsamkeit und
Isolation

Anmerkung der Redaktion: In diesem Kapitel haben wir zwei Erfahrungsberichte abgedruckt, die schon etwas älter sind (80er). Wir denken jedoch, dass diese Berichte nichts an Aktualität verloren haben. Es handelt sich aber um individuelle Geschichten, die sich für dich ganz anders darstellen mögen. Vielleicht sind sie trotzdem eine Inspiration für dich, um dem System Knast standzuhalten.

Wenn man in der Zelle sitzt, muss man irgendwie mit dem Alleinsein fertigwerden. Das geht eigentlich nur durch so etwas wie einen Plan, den man sich dazu ausdenkt. Eine solche persönliche Überlebensstrategie zu entwickeln, ist im Gefängnis sehr wichtig.

4.1. Alleinsein in der Zelle

Das Paradoxe im Knast ist, dass einem weniger körperliche Kraft als die geistige Anstrengung weiterhelfen kann. Der „Widerstand“, der aus körperlicher Kraft kommt, stößt sofort auf die noch stärkere physische Kraft der Institution und wird unterdrückt. Deswegen sind verfeinerte Formen des Widerstands notwendig. Dazu gehört vor allem, wie man sich selbst widerstandsfähig erhält. Durch physische Anstrengung allein kann man das nicht. Es ist zum Beispiel unmöglich, sich nur durch Gymnastik, Bewegung und Sport wirklich widerstandsfähig zu halten. Und auch durch blinde Aktivität ist das nicht möglich, weil eine solche Aktivität etwas ist, was von der Umgebung gesteuert sein kann. Man braucht mehr als Kraft, man braucht Wissen und eine überlegte Strategie, um der langjährigen Zermürbung durch die Institution zu entgehen und um nicht mit dem eigenen Widerstand ins Leere zu treffen oder sich nur selber damit zu treffen. Was man spontan tun möchte, ist nicht immer das Richtige.

Techniken des Widerstands

Wie man mit der Situation fertig wird, in einer Zelle allein zu bleiben, das erfordert deswegen viel Konzentration, Überlegung – gerade weil es eine äußerst künstliche Situation ist, die allen natürlichen Instinkten widerspricht. Man kann in der Zelle keine groben Dinge machen – damit wird man sofort auf die Grenzen stoßen, die von Einzelnen nicht zu durchbrechen sind. Das Alleinsein in der Zelle sollte man deshalb als Gelegenheit betrachten, sich subtilere, feinere Techniken des Widerstands anzueignen, als sie draußen notwendig sind. Man kann alles Mögliche machen, womit man sich die Zeit vertreibt, aber das bringt einen auf die Dauer nicht weiter. Man muss versuchen das zu machen, was für das eigene Überleben und das Überleben der anderen Gefangenen einen Sinn hat. Es darf nicht lediglich Zeitvertreib sein, oder Vertreibung der Gedanken. Eine solche Strategie kann darin bestehen, dass man sich zunächst einen Plan für einen Tag, für eine Woche, für einen Monat usw. macht, zum Beispiel von 8.00 bis 9.00 Uhr Zeitung lesen, dann einen Brief schreiben, dann irgendetwas anderes machen. Das sind jedoch nur sehr äußerliche Orientierungshilfen, aber auch sie können nützlich sein. Mit einer umfassenderen Strategie, die sich auf das ganze eigene Tun bezieht, wird man allerdings eine solche Tageseinteilung nicht mehr brauchen. Dann wird man tun, was man sowieso tun will.

Schreiben

Für die übrigen Tätigkeiten, zum Beispiel das Schreiben, wird man keine Tageseinteilung brauchen. Die Sprache und das Schreiben sind eine Art Ersatz für Bewegung, Freizügigkeit, Freiheit. Mit der Sprache kann man das kompensieren, was einem an „Leben“ draußen fehlt. Man sollte also die Sprache als ein Mittel benutzen, um sich die Realität um einen herum anzueignen. Man wird feststellen, dass man dadurch viel von der Angst, die man vor ihr hat, verliert. Denn man bearbeitet einen Gegenstand, und diese Arbeit macht den Gegenstand schließlich vertraut. Diese Vertrautheit mit dem, was man beschreibt, kann dir sehr helfen. Das gilt natürlich nicht nur für das Schreiben, sondern auch für andere Arten der Realitätsgestaltung, zum Beispiel Zeichnen. Das Schreiben ist auch ein Ersatz für die andere Person, die in der Zelle fehlt. Man wird immer versuchen, mit einem anderen zu einer menschlichen Beziehung zu kommen, mit einem anderen zu sprechen, einem anderen zuzuhören, und wenn es nicht auf die einfache Weise geht, dass man mit dem anderen zusammen ist, wird man es über ein Instrument versuchen. Ein banales Instrument ist das Radio, das aber über eine selbst hinwegtönt. Man ist Teilnehmer und doch gleichzeitig ausgeschlossen, man kann nur zuhören. Und um das umzudrehen, um wirklicher Teilnehmer zu sein, fängt man an zu schreiben. In diesem Schreiben ist man beides, nämlich derjenige, der etwas sagt, und derjenige, der etwas fragt, der Beobachter und der Beobachtete. Schreiben, nicht wegen irgendwelcher literarischer Fähigkeiten, sondern einfach weil es ein Instrument der Verständigung mit sich selbst und der Verständigung mit anderen ist.

Der innere Monolog

Ebenso sollte man versuchen, den inneren Monolog, das innere Selbstgespräch zu vervollkommnen. Man sollte versuchen, dieses Frage- und Antwortspiel der Gedanken so weit zu konzentrieren, dass es ein Gespräch ersetzen kann. Natürlich ersetzt es nie richtige Gespräche, aber es verschafft eine innere Stabilität, die man in der Ausgeliefertheit des Gefangenseins notwendig braucht.

Träume

Eine weitere Methode der inneren Stabilisierung ist das Aufschreiben der Träume. Allein durch das ständige Aufschreiben des Geträumten werden die unbewussten Vorgänge, die sich in den Träumen widerspiegeln, zu einem gewissen Teil „aufgearbeitet“ und dadurch bewusster. Das Ergebnis kann eine vergrößerte innere Sicherheit und innere Ruhe sein. Auch beim Aufschreiben der Träume hilft nur ständige Übung und Wiederholung. Man wird merken, dass man sich nach einiger Zeit an sehr viele Einzelheiten der Träume erinnern kann.

(Anmerkung der Redaktion: Aufpassen musst du allerdings, wenn du etwas aufschreibst, was mit deiner Tat im Zusammenhang steht und was du nicht öffentlich machen willst. Es kann immer sein, dass deine Papiere z. B. bei einer Zellenrazzia in die Hände der Knastarbeiterinnen geraten.)

Chancen des Alleinseins

Auch aus dem Alleinsein in der Zelle kann man einen Teil der Kraft ziehen, die man im Alltag des Gefängnisses braucht. Das würde bedeuten, dass man sich in der Zelle darauf vorbereitet, ohne andere auszukommen. Denn das ist die Realität. Wenn man inhaftiert ist, kann das bedeuten, dass man nicht mehr so bald freikommt. Man ist auf das eigene Ich zurückgeworfen. Es gibt trotz aller Möglichkeiten, im Knast sich mit jemandem anzufreunden, nicht mehr die Möglichkeiten, die es in Freiheit gab. Und außerdem gibt es die Isolation, die nur die Verschärfung des Alleinseins bedeutet. In dieser Situation muss man lernen, mit sich alleine zu leben. Man wird versuchen, alle früheren Erlebnisse in Gedanken zurückzuholen. Aber das ist zunächst nur die Vergangenheit, die irgendwann abstirbt. Um mit der Isolation fertigzuwerden, muss sich das eigene Denken ständig erneuern. Von der Vergangenheit allein kann man nicht weiterleben. Und um nicht jener Kommunikation ausgeliefert zu sein, die allein von der Institution bestimmt ist, vom Anstaltsradio und den organisierten „Freizeitgruppen“, muss man versuchen, ihr das eigene Ich, die eigenen Gedanken entgegenzusetzen. Das ist so wichtig, dass man solche Methoden zum Überleben entwickeln sollte – auch weil die ganze Gewalt der Institution gegen die Wahrnehmung des eigenen Lebens gerichtet ist. Und langfristigen Widerstand leisten kann nur, wer sich selbst wahrnimmt. Sie wird nicht auf die auferzwungene Orientierung durch die Institution eingehen, sie wird sich ihr nicht anpassen. Ein großer Teil des Widerstands besteht darin, wie man mit der Isolation selbst fertig wird, wie man sich selbst dagegen verteidigt. Verteidigen ist an sich etwas, was defensiv ist und als solches einen ungünstigen Platz in der Strategie hat. Wer sich verteidigt, ist bereits halb überwältigt: Man sollte deshalb versuchen, die Isolation positiv aufzufassen, als eine Situation, in der auch Sinnvolles – zum Beispiel eine Arbeit, Selbsterforschung, eine besondere Form des Widerstands – möglich ist.

Kein allgemeingültiges Rezept

Es gibt sicher sehr unterschiedliche persönliche Wege, mit der Situation des Alleinseins fertigzuwerden. Es soll hier nicht versucht werden, ein Generalrezept zu geben, sondern worauf es ankommt, ist vielmehr die Technik des überlegten Verhaltens selbst. Die folgenden Erfahrungsberichte zeigen die Gegensätzlichkeit von Strategien, aber auch die Ähnlichkeit in der Grundeinstellung, nämlich Überlegung und Planung in das eigene Verhalten miteinzubeziehen:

Eine sinnvolle Einteilung der Zeit mit allerlei nützlichen Aktivitäten ist besonders in der Totaliso wichtig – um nicht zu sagen: lebensnotwendig. A und O sind ein fester Zeitplan sowie die energische Befolgung desselben. Das fällt manchmal ungeheuer schwer. Wer sich aber hängen lässt, ist verloren. Lesen, schreiben sowie malen und basteln sind unter besonderen Umständen enorme Kraftspender. Selbst das blödeste Kreuzworträtsel hat da eine wichtige Funktion. Zum geistigen Beweglichbleiben sind verschiedene Denk- und Ratespiele besonders zu empfehlen. Solche quasi „vorgekauten“ Sachen dürfen aber nicht zum Ersatz für deinen natürlichen Empfindungs- und Einfallsreichtum werden. Zu empfehlen ist auch das Studium einer oder gar mehrerer Sprachen. Von zu vielem sturen Vokabelpauken aber ist abzuraten, damit es nicht zur Ersatzhandlung für das Denken wird. Auch ist die Aufnahmefähigkeit nach einem halben Jahr Totaliso schon ganz schön reduziert. Nach einem Jahr sind schon unheimliche Aussetzer da. Du hast auf einmal fürchterliche Schwierigkeiten, dir einfachste Namen oder Begriffe zu merken. Wenns dir mal ganz dreckig geht: ein Blatt Papier nehmen und in einer Ecke einfach anfangen, was zu malen. Oder was schreiben, was dir einfällt. Das hilft meistens. Am wichtigsten aber ist die sinnvolle Einteilung des endlos erscheinenden Tages, der dir vorkommt, als ob er hundert Stunden lang ist. Je nach Persönlichkeit sollte dabei versucht werden, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen manuellen und geistigen Tätigkeiten zu entwickeln. Bastel irgendwas – und sei es mangels Möglichkeit noch so „blödsinnig“ – schreib, male, denke, erzähl dir was, studier ein Viech, was die Wand langläuft, gucke in den Spiegel und spiel dir was vor, zieh Grimassen, erzähl dir was, lache, weine – aber hänge nicht rum! Beobachte dich selbst, denk über dich selbst nach. Studiere deinen Körper, flechte dir Zöpfe, onaniere – aber lass nicht zu, dass sich deine Seele, dein Geist von deinem Körper trennt (durch unsinniges Dauergrübeln oder auf der anderen Seite durch geistiges Abschalten, in dem du irgendwas Mechanisches machst). Mit der Iso wollen sie dich kaputtmachen – lass es nicht zu! Und klar: körperliches Fitnesstraining. Sehr nützlich sind auch alle möglichen Yogaübungen. Auch ohne große Vorkenntnisse lassen sich z. B. gewisse Atemübungen schnell erlernen (Anmerkungen der Redaktion: siehe dazu Kapitel 13). Bei relativ normalen Haftbedingungen, wenn du also andere Gefangene treffen kannst, Freizeit, Fernsehen etc. laufen, bist du zwar auch nicht viel weniger Zeit allein – immer noch 20 bis 22 Stunden – aber die Zeit, mit sinnvoller Beschäftigung ausgefüllt, vergeht ungleich schneller.

Ein anderer Selbsterfahrungsbericht:

Man versumpft, wenn man tagelang nur liest und monatelang nur die Zeitung, dann den nächsten Krimi, dann weiß ich nicht was für Bücher, dann am Ende von seiner Haftzeit unheimlich viel gelesen hat und was weiß ich für Bauernschläue im Kopf hat, jedes Kreuzworträtsel vorwärts und rückwärts lösen kann – aber gebracht für einen selber hat's wahrscheinlich nicht viel. Ich habe zeitweise versucht, so ein Programm aufzustellen – also meinetwegen morgens die Zeitung lesen, dann einen Brief schreiben, dann irgendwas anderes machen. Das habe ich ziemlich schnell wieder fallengelassen. Ich habe dann einfach immer das gemacht, wozu ich zeitweise Lust hatte. Manchmal einen halben Tag nur gelesen, dann wieder zwei Tage gar nicht gelesen. Dann nur geschrieben oder manchmal vier bis fünf Stunden nur am Fenster gesessen und mit jemandem gesprochen oder einfach nur so am Fenster gesessen und rausgeguckt. Man kann hier die oberste Scheibe über der Betonblende ausbauen und morgens wieder so einsetzen, dass es nicht mehr zu sehen ist. Ich habe also stundenlang am Fenster gesessen und über die Blende weggeguckt – zugeguckt, wie da Fußball gespielt worden ist, wie die Leute spazieren gegangen sind – zugeguckt. Das hat mir eigentlich unheimlich viel gebracht, einfach nur so am Fenster zu sitzen ...

Und dann zum Beispiel Schreibhilfe – zum größten Teil habe ich das dann abends auf der Zelle gemacht. Hab mir von den einzelnen Leuten das Aktenzeichen und den Haftbefehl geben lassen, habs mir durchgelesen, hab dann die Briefe geschrieben für den Rechtsanwalt, hab dann meine Zeitungsartikel ausgeschnitten, hab die Mappe zusammengestellt und dann noch so meinen persönlichen Kram – hab also meine Briefe geschrieben. Für die Prozessvorbereitung habe ich praktisch überhaupt nichts gemacht, weil es mir – als Politischer bin ich im Knast gewesen – viel zu riskant war, irgendwelche Unterlagen zu sammeln, weil die einem die ganze Zelle ausgeräumt haben und kein Fitzelchen Papier mehr in der Zelle gelassen haben. Die nehmen da keine Rücksicht auf Anwaltsunterlagen. Ich kann eigentlich nicht sagen, dass ich irgendwann mal Langeweile gehabt habe. Im Gegenteil – ich habe für viele Sachen manchmal keine Zeit mehr gehabt. Der Tag war so ausgefüllt, dass ich nachts noch stundenlang mit Kerze geschrieben habe oder, wenn ich was lesen wollte, dass ich das nachts mit Kerze gemacht habe. So Langeweile – ich weiß nicht, wer ein bisschen was macht in puncto Selbsthilfe, sich mit den Problemen der anderen auseinandersetzt, was ich halt für wichtig halte, um überhaupt überleben zu können da drin, ohne total vereinsamen zu müssen, da kommt man überhaupt nicht in die Verlegenheit, Langeweile zu schieben. Tagebuch führen ist auch was Gutes – soweit es geht in Stichpunkten, wenn man es selber später verwenden will. Mir selber reicht es, zwei Wörter aufzuschreiben, da kann ich ein Jahr oder ein halbes Jahr später noch 'ne ganze Seite vollschreiben. Nur Stichpunkte aufschreiben, mit denen man nur selber was anfangen kann!

Aus dem Fenster sehen

Die Dinge, die man vom Zellenfenster aus sieht, erscheinen in einer eigenartigen Verfremdung. Sie werden intensiver wahrgenommen als anderes, was man früher gesehen hat. Ich habe eigentlich jede freie Minute am Fenster verbracht und wenn nicht im Gespräch mit Mitgefangenen, so einfach nur den Knasthof beobachtend. Nach einiger Zeit merkte ich, dass im Knast ganz bestimmte Vögel lebten. So besorgte ich mir aus der Knastbibliothek entsprechende Fachbücher und las alles über eine bestimmte Taubensorte, Turmfalken, Schwarzdrossel usw. und bin über diesen Umweg auf die Verhaltensforschung und dort wieder auf ganz andere Probleme gestoßen; so ging's mir. Bei einem anderen kann's natürlich völlig anders verlaufen und wird's ganz sicher auch.

Nichtstun

Auch das Nichtstun erfordert Anstrengung, vielleicht mehr Anstrengung, als etwas zu tun, weil es einen an die eigenen Gedanken und Erinnerungen ausliefert, die mit wachsender Intensität erscheinen. Man sollte es dahin bringen, sich im eigenen Unbewussten, in den Gedanken, in der Vernunft und in den Erinnerungen ein Stück Freiheit zu erobern. Man muss sich daran gewöhnen können, auf dem Bett zu liegen und einfach die Gedanken laufen zu lassen und alles vor sich erscheinen zu lassen, was gewesen ist und worauf man seine Hoffnung setzt.

Diese Beispiele zeigen, dass es nur solche Überlebensstrategien geben kann, die jede aus sich selbst entwickelt.

4.2 Überleben in der strengen Isolationshaft

Was ist Isolationshaft?

Isolationshaft ist in der Sprache der Justiz „verschärfte Einzelhaft“. Du wirst vollständig von den ohnedies schon beschränkten Kontaktmöglichkeiten mit den anderen Gefangenen abgeschlossen: Einzelfreistunde, Ausschluss von der Teilnahme an Gemeinschaftsveranstaltungen einschließlich der Gottesdienste, Einzelduschen, bei Bewegungen durch den Trakt werden andere Gefangene vorher weggeschlossen, du bist allein bei den Vorführungen zur Ärztin, deine Zelle ist eine meistens abgelegene und gesondert bewachte Gefängniseinrichtung innerhalb des Gefängnisses, die Nachbarinnenzellen sind leer, oft bist du ganz allein in einem Sondertrakt. Das und vieles andere summiert sich zur sozialen Isolation nach innen. Hinzu kommen Maßnahmen zur sozialen Isolation nach außen: Beschränkung der Verteidigerinnenbesuche oder Besuchsverbot für Verteidigerin, die sich für dich über die reinen Prozessangelegenheiten hinaus einsetzen, Radio-, Plattenspieler- und Fernsehverbot, Beschränkung, abschreckende Überwachung und Schikanierung aller anderen Besuche, Beschränkung oder Verbot von brieflichen Kontakten. Die soziale Isolierung nach außen fand erstmals vollständig mit der „Kontaktsperre“ im September/Oktober/November 1977 statt. Die soziale Isolation wird drittens verbunden mit Demonstrationen von staatlicher Allmacht: Deine Zelle wird ständig durchsucht, du wirst abgehört, über besondere Spioninnen fortlaufend beobachtet, überraschenden Verhörversuchen ausgesetzt, von Staatsschutzleuten direkt in der Zelle heimgesucht, bedroht, deine persönlichen Sachen werden ständig durchwühlt und manchmal auch vor deinen Augen vernichtet. Dazu wirst du einem ständigen Entzug von Sinnesreizen ausgesetzt: Sichtblenden oder feine Fliegennetze beschränken und verändern deinen Sehsinn; besondere Dichtungen an der Zellentür und die Lage deiner Zelle im stillsten Winkel des Knastes entziehen dir die Geräusche; du wirst durch regelmäßige Wegnahme von Arbeitsunterlagen, Manuskripten, Lehr- und Sprachbüchern am gezielten Ausüben von Denkleistungen gehindert. Dir wird fortlaufend oder in regelmäßigen Abständen der Schlaf entzogen: Die Zellenbeleuchtung bleibt nachts an, es sind besonders starke Außenscheinwerfer angebracht, oder der Schlaf wird durch kurzzeitiges Anschalten der Zellenbeleuchtung unterbrochen.

Die Isolationshaft ist keineswegs nur auf die Gefangenen beschränkt, die der „kriminellen Vereinigung“ beschuldigt werden. Sie kann ebenso die Gefangenen treffen, die auch in der Haft rebellisch und unangepasst bleiben.

Die Auswirkungen der Isolationshaft

Sie lassen sich in mehrere Phasen unterteilen: Schock, Anpassung, Übergangsstadium, Verfall. Die ersten Stunden und Tage der Inhaftierung wirken schockartig. Die Gefangene erfährt die Allmacht des Staats bis in die letzte Faser. Sie wird – immer unter den Augen schwerbewaffneter Sonderbeamtinnen – ständig durchsucht, entkleidet, ärztlich untersucht, in Knastklamotten gesteckt, ohne Sicht und Ortsangabe transportiert, sie landet in der Spezialzelle in völliger Isolation. Die plötzliche Stille, die auf Beton reduzierte Umgebung, die lautlose Dauerbewachung durch Zellenspion, Abhöranlage usw. überwältigen sie. Es setzt ein fieberhafter Aktionsdrang ein, der vom Körper durch völlige Apathie gegengesteuert wird, eine Art Totstellreaktion. Es beginnt die Zeit der Anpassung.

Die Gefangene mobilisiert ihre ganze Phantasie, um den völligen Kontaktverlust mit den Menschen auszugleichen. Sie lernt, die Bediensteten, mit denen sie stummen Kontakt nur beim Hofgang und beim Essenfassen hat, in ihrer mechanischen Funktionsweise zu betrachten. Gleichzeitig stumpft sie aber innerhalb von Wochen gegenüber ihrer Umwelt ab, weil ihre Sinnesorgane eintrocknen. Schon bei den ersten Besuchen wirkt sie überkonzentriert, aber gleichzeitig fahrig und vergesslich. In den ersten Monaten halten sich die gezielt gesteuerte Phantasie und die sie verlangsamende Anpassungsreaktion die Waage. Im Lauf der Zeit überwiegen Nervosität, rascher Stimmungswechsel und Konzentrationsverlust.

Es kommt nun alles darauf an, dieses Anpassungsstadium so lang wie möglich auszudehnen, mehr dazu weiter unten. Gelingt das nicht, so kommt es oft nach einem halben Jahr zu einer Veränderung der stabilisierenden Phantasiewelt: Sie entzieht sich der Selbstkontrolle, wird weitschweifig, unkoordiniert, ein chaotischer Phantasiesturm beginnt, durchsetzt mit Sexualwünschen, Erinnerungsfetzen und Aktionsplänen, den Knastalltag zu erobern. Schritt für Schritt gehen dabei die Fähigkeiten verloren, die dem Abstumpfungsprozess entgegensteuern. Die Gefangene beginnt, die jetzt meist einsetzenden verbliebenen Kontakte (Anwältinnen, Besuche, Post) zu hassen, weil sie zur Wiederaufnahme der Selbstkontrolle zwingen. Jetzt setzen ausgeprägte Sprech-, Konzentrations- und Orientierungsstörungen ein. Wenn es nicht zum Halt kommt, schließt sich ein dramatisches Übergangsstadium an.

Die letzte Phase vor dem Verfall in chronisch werdende Todesangst ist geprägt von zunehmenden Falschwahrnehmungen, je nach Art der Haft – vorwiegend Geräusch-, Sichtentzug oder Überbeobachtung oder Schlafentzug – fangen die bisher in die unkontrollierte Phantasiewelt eingebetteten Falschwahrnehmungen an, sich zu verselbstständigen. Es werden geschlossene Systeme daraus wie bei akuten Psychosen. Die Gefangene wird unfähig, die lautlose Bedrohung genau zu begreifen; sie verbindet sie mit Gehör- und Gesichtshalluzinationen. Schließlich gerät sie manchmal in einen Zustand, wo sie anfängt, das lautlose Verlöschen ihrer Sinne und ihrer Kontaktfähigkeit körperlich auszudrücken. Sie erlebt die stummen Martern körperlich. Die Schmerzen, die Angst und die Verzweiflung der klassischen mechanischen Folter sind Wirklichkeit für sie, und dennoch weiß sie in jedem Augenblick, dass die noch viel grauenhaftere Folter des lautlosen Verlöschens und Verstummens dahinter steht: „Das Gefühl, es explodiert einem der Kopf (das Gefühl, die Schädeldecke müßte eigentlich zerreißen, abplatzen) – das Gefühl, es würde einem das Rückenmark ins Gehirn gepreßt, das Gefühl, das Gehirn schrumpelte einem allmählich zusammen, wie Backobst z. B. – das Gefühl, man stünde ununterbrochen, unmerklich unter Strom, man würde ferngesteuert.“ (Ulrike Meinhof)

Es gelingt vielen Gefangenen, sich auch in diesem Stadium noch zu erholen, wenn die Isolationshaft gelockert wird. Manche schaffen das nicht mehr, sie gehen aus dem Grauen mit einer chronischen Todesangst hervor, die sie nicht mehr verarbeiten können. Sie sind total appetitlos, erbrechen beim Essen, haben Durchfall sofort nach dem Essen, stumpfen völlig ab, werden völlig gleichgültig bei Besuchen. Es gibt diese Gefangenen. Das Modell Deutschland hat sich tief in ihre Körper eingezeichnet.

Überleben in Isolationshaft

Wenn wir über Überlebensmöglichkeiten schreiben, dann tun wir dies im ehrlichen Wissen, dass sie sehr begrenzt sind. Nach etwa sechs Monaten setzen schwere Persönlichkeitsveränderungen ein. Sie vertiefen sich, sobald die Gefangene für längere Zeit die Grenze zum Durchgangsstadium überschreitet. Sie bleibt auch nach ihrer Freilassung davon gezeichnet, auch wenn sie sich äußerlich völlig an die wiedergewonnenen Lebensbedingungen anpasst.

Die einzige Überlebensgarantie ist die Beseitigung des Terrorinstruments Isolationshaft und die Freilassung aller, die längere Zeit isoliert gewesen sind. Die Möglichkeiten, selbst zu überleben, können bei fortdauernder Haftsituation nur einen Zeitgewinn bedeuten. Auf jeden Fall aber machen sie es möglich, die einzige vom Staatsschutz angestrebte Lösung, nämlich dein Überwechseln auf die Seite des Staats, in allen Phasen der Haft zu verweigern. Bei jeder Überlebensstrategie ist miteinzubeziehen, warum der Staat die Sinneswahrnehmungen entzieht, deine sozialen Kontakte unterbricht, dich mit Schlafentzug martert. Er tut es nämlich, um seinen Zugriff auf deinen Körper übermächtig und unwiderstehlich erscheinen zu lassen. Er nimmt deiner Persönlichkeit die Umwelt und die Mitmenschen ab, um sie auszuleeren, um sie in ein abstraktes und neu formbares Nichts zu verwandeln. Das musst du dir immer vor Augen halten, denn von diesem Gegenwissen leiten sich deine Überlebensmöglichkeiten ab.

Die anfängliche Schockperiode überstehst du mit diesem Wissen leicht. Aber wenn die Zeit der Anpassung beginnt, solltest du genau aufpassen. In dieser Phase wird deine Phantasie aktiv wie nie zuvor in deinem Leben, während dein Körper zum ersten Mal ermattet. In beide Prozesse solltest du eingreifen. Aber nicht in der falschen Hoffnung, Körper und Phantasie wieder zusammenzubringen, das ist in der Haft unmöglich. Du solltest anfangen, gegen den ermattenden Körper anzuarbeiten: Gymnastik, autogenes Training, Atemübungen in den Knastalltag einbauen und nie eine vorgenommene Übung auslassen. Im medizinischen Teil stehen darüber eine Menge Einzelheiten. Gleichzeitig solltest du deine Phantasien zum Gegenstand genauer Überlegungen machen. Die Tagträume nehmen von Woche zu Woche mehr Raum in deinem Zellendasein ein. Nimm sie ernst, analysiere sie, und versuche, sie unter Kontrolle zu halten, sonst trennen sie sich zu weit von deiner Persönlichkeit ab. Stelle der Phantasie erfüllbare Aufgaben: Die dichtesten Erinnerungsbilder solltest du aufzeichnen oder malen, lerne also Zeichnen oder Texteschreiben, beschäftige dich mit Musik, kämpfe um eine Gitarre oder Blockflöte oder Geige, und lerne spielen, wenn du es noch nicht kannst; lege dir in einer Ecke der Zelle eine geographische Kartensammlung an, zumindest eine oder zwei Karten müssen sie dir lassen, und begebe dich auf Phantasiereisen. Gehe auch von anderen Fertigkeiten aus, und zwar solchen, die du gern weiterentwickelt hättest, als du in Freiheit warst, zu denen du aber nicht gekommen bist; beginne einen zähen Kleinkrieg, um an das heranzukommen, was du brauchst; lerne über deine Interessengebiete zu lesen, nachzudenken und zu schreiben, auch und gerade wenn es Handfertigkeiten waren. Die Knastbibliotheken helfen dir gerade auf diesen Gebieten (Schweißen, Kfz-Mechanik, Technikermathematik, Drucken usw.) überraschend weiter.

Irgendwann muss die Isolationshaft gelockert werden, und du kannst dann deine Interessen postalisch und über Besuche gezielt ausweiten. Das gilt auch für alles, was mit deiner rebellischen Identität zu tun hat. Natürlich sind hier die Beschränkungen am größten. Aber auch sie sind auf die Dauer für die Justiz nicht durchzuhalten, und zusammen mit den übrigen von dir eroberten Gebieten deiner Phantasien kannst du es durchaus vermeiden, auch im Interesse der Prozessvorbereitung, in abstrakte Begriffe und Schemata abzugleiten. Das alles ist sehr wichtig, aber auch sehr viel. Du solltest jedenfalls nichts unversucht lassen. Du gewinnst eine unheimliche Stärke daraus, wenn du dir die abstrakt gewordene Zeit wieder aneignest und dir nach deinen Entscheidungen zuteilst.

Hikmet, ein türkischer Dichter, der 14 Jahre inhaftiert war, schrieb einmal, ein Isolationsgefangener werde dann nicht zerbrochen, wenn er die Fähigkeit entwickle, die Blätter der Bäume in zehn Kilometer Abstand rascheln zu hören. Denke daran in den tiefsten Phasen der Verzweiflung.